Personal frustriert, Betroffene benachteiligt Darmstadts Ausländerbehörde ist heillos überfordert
Das Personal frustriert, die Digitalisierung verschlafen, die Wartezeiten ewig - und keiner geht ans Telefon: In der Darmstädter Ausländerbehörde herrscht chronischer Ausnahmezustand. Das hat für Betroffene schwerwiegende Folgen.
Derzeit leben rund 35.000 Ausländer in Darmstadt. Sie alle sind hin und wieder auf die Dienste der städtischen Ausländerbehörde angewiesen, wenn sie in der Stadt arbeiten und wohnen wollen. Dort können sie etwa ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen oder die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Theoretisch.
In der Praxis klagen Betroffene über monatelange Wartezeiten und unbearbeitete Anträge. Viele scheitern schon an der Kontaktaufnahme zur Behörde.
"Teilweise 80 Mal am Tag angerufen"
Aktuell beträgt die Wartezeit auf einer Termin je nach Anliegen bis zu acht Monate, wie die Stadt einräumt. Oft scheitert es aber schon an einer simplen Terminvereinbarung. "Teilweise habe ich über 80 Mal am Tag angerufen, auch in den Sprechzeiten. Aber es hat nie jemand abgenommen", schildert Student Mohamed B. aus Tunesien dem hr seine erfolglosen Versuche, Kontakt zur Behörde aufzunehmen.
Auch Briefe und Mails seien unbeantwortet geblieben. Sein Aufenthaltstitel ist Ende vergangenen Jahres abgelaufen, jetzt fürchtet B., nach Ablauf seines Studiums Ende des aktuellen Semesters keinen Job zu bekommen.
Keiner da, Job verloren
Wie ihm geht es vielen in Darmstadt. Christy, Mathematikstudentin aus Indien, versucht seit mehr als einem Monat die Behörde zu erreichen, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern, wie der AStA der TU Darmstadt in einer Mitteilung schildert. "In den Sprechzeiten ist die Telefonleitung ständig belegt und vor Ort will mich niemand reinlassen. Auch per E-Mail sind sie nicht erreichbar", klagt Christy.
Bianca aus Brasilien, die gerade im ersten Semester an der TU studiert, hat sogar einen Job verloren, weil es ihr seit ihrer Einreise nach Deutschland nicht gelang, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Sie konnte die Behörde schlicht nicht erreichen. Den Studentenjob, mit dem sie ihr Studium finanzieren wollte und der ihr bereits zugesagt war, konnte sie wegen der fehlenden Bescheinigung nicht antreten. Der AStA wirft der Stadt vor, die Existenz und das Studium ausländischer Studierender zu gefährden.
Überforderte Mitarbeiter, schlechte Bezahlung
Der Stadt sind die Probleme nach eigenen Angaben schon seit Jahren bekannt. Wirft man einen Blick hinter die Kulissen der Behörde, verwundern die Missstände kaum. Bürgermeister Rafael Reißer (CDU) gibt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Stadtverordneten Uli Franke (Linke) unumwunden zu, dass die Behörde heillos überfordert ist und dort praktisch das blanke Chaos herrscht. Er berichtet von "hoher Fluktuation" beim Personal, von "steigendem Arbeitsaufwand" und "massivem Arbeitsdruck".
Durch den Verlust etablierter Arbeitskräfte habe sich zudem das Fachwissen "kontinuierlich verringert", gleichzeitig habe sich die Arbeit angehäuft. Vor allem neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien durch den "täglichen Leistungsdruck" von "Selbstzweifel und Unsicherheit" geplagt, was in den meisten Fällen zur Kündigung führe.
Nichts wie weg
Noch bedenklicher wird es bei Reißers Begründung für die hohe Fluktuation: Viele Beschäftigte der Ausländerbehörde würden sich in benachbarten Landkreisen bewerben, weil sie dort für die gleiche Arbeit besser bezahlt würden. Zudem fänden sie dort meist bessere Arbeitsbedingen vor, wie etwa "digitalisierte Arbeitsprozesse" oder die Möglichkeit, mehrtägig von zu Hause zu arbeiten.
Im Umkehrschluss heißt das: Die Stadt Darmstadt bezahlt zu schlecht, die Behörde ist nicht digitalisiert und das Personal kann kaum oder gar nicht im Homeoffice arbeiten. Mit diesen Feststellungen endet die Antwort. Lösungsansätze? Fehlanzeige.
Ausländerbeirat beklagt Tatenlosigkeit der Stadt
Dem Ausländerbeirat in Darmstadt sind die Zustände schon seit langem ein Dorn im Auge. "Seit drei Jahren reden wir uns jetzt schon den Mund fusselig", sagt der Vorsitzende Ümit Cengiz. Trotz mehrerer Gespräche unter anderem mit Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) habe sich aber nichts geändert.
"Die Menschen brauchen aber ihren Aufenthaltstitel, um arbeiten zu können oder sich für eine Wohnung zu bewerben", erklärt Cengiz. "Wer gibt schon einem Menschen einen Job oder eine Wohnung, wenn er nicht weiß, ob die Person in ein paar Wochen überhaupt noch im Land ist?"
Für Cengiz haben die Missstände neben dem Personalmangel auch viel mit veralteten Arbeitsmethoden zu tun: "Digitalisierung ist auch hier wie so oft das A und O." Die Behörde müsse digitaler werden und ihre Dienste auch online anbieten: "Mein Auto kann ich im Internet ummelden, aber bei der Ausländerbehörde geht da nichts."
Dabei könne man sich auf diesem Weg viel Zeit, Arbeit und auch Ärger sparen. Und Mohamed B. müsste auch nicht mehr 80 Mal am Tag zum Telefon greifen.
Sendung: hr4, hessenschaureport, 11.02.2021, 16.30 Uhr