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Finanzkrise in Löhnberg spitzt sich zu

Ortsschild von Löhnberg

Nachdem bekannt wurde, dass das mittelhessische Löhnberg teilweise zahlungsunfähig ist, kommen weitere Details zutage. Aufsichtsbehörden werfen Löhnberg nun "unrichtige" Angaben vor. Im Parlament ist die Rede von "falschen Zahlen".

Noch vor einem Jahr feierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung "Das Wunder von Löhnberg". Ein langer Text auf Seite 3 huldigte der 4.200-Einwohner-Gemeinde im Kreis Limburg-Weilburg.

Investitionen in den Dorfkern, Bauplätze für Einfamilienhäuser, kostenlose Kinderbetreuung – all das sollten Wunderwaffen sein gegen die Landflucht und für eine stabile Finanzlage. Rund 400 Menschen sollen in den letzten Jahren zugezogen sein, vor allem junge Familien. Löhnberg, die Vorzeige-Kommune.

Mittlerweile ist bekannt: Löhnberg hat akute Geldprobleme. Und: Die Verwaltung soll gegenüber Aufsichtsbehörden und der eigenen Gemeindevertretung falsche Angaben zu ihren Finanzen gemacht haben.

Das geht sowohl aus Anfragen hervor, die der hr infolge der kürzlich bekannt gewordenen teilweisen Zahlungsunfähigkeit der Kommune an das Regierungspräsidium (RP) Gießen und das Innenministerium gestellt hat, als auch aus einer Sitzung des Löhnberger Haupt- und Finanzausschusses am Dienstagabend.

Angaben "unrichtig"

Laut RP geht es dabei um die Angabe der Gemeinde, dass der für die jeweilige Haushaltsgenehmigung erforderliche Jahresabschluss dem unabhängigen Rechnungsprüfungsamt des Landkreises Limburg-Weilburg zur Prüfung vorliegt. Außerdem gehe es um Angaben zur vorhandenen Liquidität und zur Inanspruchnahme von Liquiditätskrediten.

Auch das Innenministerium bestätigt: Frühere Angaben Löhnbergs zum Sachstand der aufgestellten Jahresabschlüsse hätten sich später als "unrichtig" herausgestellt.

Jahrelang mit vorläufigen Zahlen hantiert

Löhnberg hantierte offenbar jahrelang mit vorläufigen Zahlen – sowohl in der internen Finanzverwaltung und den kommunalpolitischen Gremien, als auch gegenüber externen Aufsichtsbehörden.

Viele Jahresabschlüsse wurden bisher nicht oder erst mit jahrelanger Verspätung zur Revision vorgelegt. Der letzte geprüfte Abschluss stammt von 2016. Er wurde 2022 vorgelegt. Trotzdem genehmigte das RP immer neue Haushalte.

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Rechtslage zu Jahresabschlüssen

Laut Hessischer Gemeindeordnung soll der Gemeindevorstand den Jahresabschluss innerhalb von vier Monaten nach Ende eines Haushaltsjahrs aufstellen. Die Kommunen sind verpflichtet, ihre Jahresabschlüsse durch das Rechnungsprüfungsamt prüfen zu lassen. Bis spätestens zum Jahresende des zweiten darauf folgenden Jahres soll dann die Gemeindevertretung über den vom Rechnungsprüfungsamt geprüften Jahresabschluss und die Entlastung des Gemeindevorstands entscheiden.

Ende der weiteren Informationen

Das RP als Aufsichtsbehörde teilt mit: Man sei "aufgrund der Angabe der Kommune" davon ausgegangen, dass Löhnberg seine Jahresabschlüsse beim Landkreis zur Revision vorgelegt habe.

Dem RP selbst habe die Kommune lediglich vorläufige Rechnungsergebnisse vorlegen müssen, was auch erfolgt sei. Aus diesen Angaben habe sich kein Anlass ergeben, die Liquidität Löhnbergs anzuzweifeln.

Auf hr-Anfrage wies die Gemeinde jedoch den Vorwurf zurück, falsche Angaben gemacht zu haben. Eine Sprecherin teilte mit: Löhnberg habe nicht angegeben, dass prüffähige Jahresabschlüsse erstellt wurden.

Löhnberg braucht vier Millionen Euro

Obwohl viele Fragen zum Wie und Warum noch offen sind, ist eins klar: Löhnberg ist aktuell zumindest teilweise zahlungsunfähig. Nach Angaben der Gemeinde brauche man zunächst einen Liquiditätskredit von rund vier Millionen Euro.

Allein beim Landkreis Limburg-Weilburg stehen 700.000 Euro aus, die eigentlich für die Kreisumlage fällig sind. Beim Abwasserverband gibt es Außenstände von 579.000 Euro.

Das RP teilt nun auf Anfrage mit: Zum Jahresende 2022 habe Löhnberg noch angegeben, keinen Liquiditätskreditbestand zu haben und darüber hinaus die eigenen liquiden Mittel auf mehr als eine Million Euro beziffert. "Diese Angaben lassen sich mit den vorhandenen Liquiditätsproblemen der Gemeinde nicht in Einklang bringen."

Vorläufige Analyse ergibt jahrelanges Defizit

Die politische Lage vor Ort ist weiterhin unruhig. Am Dienstag tagte der Haupt- und Finanzausschuss. Bürgermeister Frank Schmidt (SPD) ist allerdings seit Wochen krankgeschrieben, sein bisheriger Stellvertreter und auch dessen Nachfolger sind mittlerweile zurückgetreten. 

Im Ausschuss sprach nun Wolfgang Grün (CDU), der aktuelle Stellvertreter, erstmals offen über Zahlen.

Laut Grün habe mittlerweile eine vorläufige Haushaltsanalyse des Landkreises ergeben: Vier der Haushalte ab 2017 seien defizitär gewesen. Insgesamt gehe es um ein Minus von rund zwei Millionen Euro.

Schwere Vorwürfe gegen Bürgermeister

Grün meint: Diese defizitären Zahlen habe der Bürgermeister so nicht an den Gemeindevorstand und das Gemeindeparlament kommuniziert. Dort seien stets ausgeglichene Zahlen präsentiert worden. Es seien auch keine Nachtragshaushalte erstellt und eingebracht worden, wie es eigentlich hätte sein müssen.

Rathaus von Löhnberg

Laut Grün seien die Haushaltszahlen der vergangenen Jahre falsch dargestellt worden, um ein Minus zu verdecken – warum, könne er aktuell nicht sagen.

Jens Liebel, Fraktionsvorsitzender der SPD, sagte auf die Frage, warum er die Haushalte abgesegnet habe: "Weil ich gedacht habe, die Haushalte sind nicht defizitär."

Wie geht es weiter?

Dr. Frank Schmidt

Noch ist Schmidt im Amt, derzeit aber auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Die CDU- und SPD-Fraktionssprecher sagen: Sie könnten sich kaum vorstellen, dass er noch mal als Bürgermeister zurückkommen werde.

Sie meinen: Denkbar sei, ein Abwahlverfahren anzustoßen. Möglich sei aber auch ein vollständiger Rücktritt des Parlaments. Bereits vor der Gemeindevertretungssitzung am Donnerstag gibt es Gerüchte über mögliche Rücktritte einzelner Gemeindevertreter.

Bürgermeister Frank Schmidt antworte auf hr-Anfrage zu den Vorwürfen bisher nicht. Eine Sprecherin der Gemeinde verwies auf seinen Krankenstand. Er sei derzeit nicht erreichbar.

Viele Fragen weiter offen

Eine Frage, die weiterhin niemand beantworten kann: Warum hatte es in all den Jahren keine Konsequenzen, dass Löhnberg keine vollständigen Jahresabschlüsse zur Prüfung eingereicht hat?

Auch die Frage, ob die Vorgänge in Löhnberg strafrechtlich relevant sein könnten, steht im Raum. Nach aktuellen Angaben des Landkreises bestehe derzeit aber kein Kontakt zur Staatsanwaltschaft.

Das Innenministerium teilt mit: Man sehe keinen Fehler aufseiten der Aufsichtsbehörden. Man müsse grundsätzlich auf die Richtigkeit der Angaben vertrauen können.

Rechnungshof kritisierte Löhnberg schon 2019

Besonders brisant: Der Hessische Landesrechnungshof hat die kleine Gemeinde schon länger auf dem Schirm und prüft auch aktuell die Haushaltsstruktur der Gemeinde. Zwar seien ein bis zwei Jahre Rückstand bei den Jahresabschlüssen von Kommunen nicht ungewöhnlich, so der Rechnungshof. "Den Jahresabschluss 2017 jedoch erst Ende 2023 zur Revision vorzulegen ist jedoch auffällig."

Unter dem Stichwort: "Bitte nicht nachmachen" hatte der Rechnungshof schon 2019 Löhnberg für kreditfinanzierte Investitionen kritisiert - trotz bereits hoher Schulden. Außerdem wurden schon damals verspätete Jahresabschlüsse, Fehler in den Gebührenkalkulationen und im Haushaltssicherungskonzept der Gemeinde bemängelt.

Der Rechnungshof meint: Solche Rückstände müssten Konsequenzen haben. Hier sei die Genehmigungsbehörde gefordert, tätig zu werden - also das RP Gießen.

Konkrete Konsequenzen für Löhnberg

Die desolate Finanzlage wird für die Menschen in Löhnberg jedenfalls Folgen haben. Der Gemeindevorstand arbeitet nach eigenen Angaben derzeit an einem Haushaltssicherungskonzept. Nach hr-Informationen soll es eine Verringerung der Netto-Neuverschuldung um 25 Prozent zum Ziel haben.

Im Haupt- und Finanzausschuss heißt es: Aktuell habe man alle Investitionen gestoppt und alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt. Die Gemeinde plane außerdem, kommunale Steuern und Gebühren deutlich zu erhöhen, beispielsweise Grundsteuer oder Friedhofsgebühr.

Um Geld zu sparen, sollen beispielsweise auch Vereinsförderungen gestrichen werden und die Bewegungs- und Musikförderung in den gemeindeeigenen Kitas und der Grundschule wegfallen.

An einen besonders großen Posten wolle man aber noch nicht ran: die kostenlose Kinderbetreuung, obwohl die gemeindeeigenen Kindergärten jährlich ein Minus von rund 1,4 Millionen machen. Die Kleinsten sollten nicht unter der Finanzsituation leiden, heißt es. Trotzdem könne man derzeit auch die Einführung von Kitagebühren nicht ausschließen.

So manche zugezogene Familie in Löhnberg könnte am Ende womöglich noch ein blaues Wunder erleben.

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