640.000-Euro-Investition des Landes Wie ein mysteriöser Hase über Verschwörungsmythen aufklären soll

Die hessische Landesregierung steckt viel Geld in eine Webseite, die auf unterhaltsame Art gegen Desinformation und Verschwörungserzählungen vorgehen soll. Ein Experte hält das Angebot rund um einen mysteriösen Hasen jedoch für schlecht gemacht.

Zwei Schülerinnen von hinten vor einem Laptop mit der Webseite "Der Fabulant" geöffnet.
Zwei Schülerinnen testen die Webseite "Der Fabulant". Bild © Ariane Focke (hr)
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Bild © Ariane Focke (hr)| zur Audio-Einzelseite
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Fake News über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, QAnon, die Illuminaten, Chemtrails: Die Bandbreite der geläufigen Verschwörungserzählungen ist nach Ansicht der Landesregierung lang, der Aufklärungsbedarf groß. Mit rund 640.000 Euro aus einem entsprechenden Landesprogramm sollen nun "Verschwörungsmythen mit Fakten entzaubert werden", heißt es in einer Mitteilung des Innenministeriums zum Start des neuen Online-Portals "Der Fabulant" Anfang April.

"Der Fabulant" ist der fiktive Charakter, der durch die Webseite führt: Ein weißer, einäugiger Hase, angelehnt an den weißen Hasen aus Lewis Carolls "Alice im Wunderland". Er soll Einblicke in das "rabbit hole", die Untiefen der Verschwörungserzählungen geben – und diese vor allem widerlegen.

Screenshot der Webseite, Logo "Der Fabulant" mit weißen Hasen und pinker Farbe vor schwarzem Hintergrund.
Mit bunten Farben und dem weißen Hasen soll das Portal zugleich unterhalten und aufklären. Bild © Screenshot www.derfabulant.de

Das Online-Angebot soll Schwurblern entgegentreten, wirkt auf den ersten Blick jedoch selbst leicht verschwurbelt. Offenbar ist das gewollt: "Der Fabulant tritt selbst etwas mysteriös auf", heißt es aus dem Innenministerium, dadurch werde die Information "humorvoll verpackt". Wie gut kann ein "Fabulant" in Hasengestalt dem "Fabulieren über krude Theorien" – so Innenminister Peter Beuth (CDU) – tatsächlich entgegenwirken?

"Gut gemeint, aber nicht unbedingt gut gemacht"

Michael Butter, Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen, hält das Geld des Landes in dem Projekt für "nicht besonders gut angelegt". Butter befasst sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien, hat bereits mehrere Bücher zu dem Thema verfasst und sich das neue Portal genauer angeschaut. "Es ist gut gemeint, aber nicht unbedingt gut gemacht."

Der Spagat zwischen Unterhaltung und Aufklärung sei nicht gut gelungen, sagt er. "Das beißt sich, weil der Humor voraussetzungsreich ist und darunter die Aufklärung leidet." Was Butter damit meint, wird zum Beispiel in einem Artikel über die sogenannte Neue Weltordnung deutlich. Der Text endet so:

"So wird die Verschwörungsraupe Nimmersatt immer weiter mit absurden Mythen aus den verschiedensten Milieus gefüttert und entpuppt sich letztlich als ungefilterte '1984'-Fan-Ficiton mit Hang zum Antisemitismus. Im Angesicht dieses logikfreien Perpetuum Mobile der Verschwörungsnarrative hätte George Orwell wohl nur enttäuscht den Kopf geschüttelt." 

Wer diesen Absatz verstehen will, muss wissen, wovon Orwells Roman "1984" handelt und was mit einem "Perpetuum Mobile" gemeint ist.

Prof. Michael Butter
Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte. Bild © Imago Images

Butter kritisiert inhaltliche Fehler auf der Seite

"Abgesehen davon gibt es eine ganze Reihe von faktischen Fehlern, Dingen, die schlichtweg falsch sind", sagt Butter. Ein Beispiel finde sich im Artikel über die Illuminaten. Darin heißt es:

"Seinen antisemitischen Anstrich bekam der Mythos Anfang des 20. Jahrhunderts, vor allem durch die angebliche Verbindung der 'Protokolle des Weisen von Zion' mit den Illuminaten. Es entstand der Glaube an eine 'jüdische Verschwörung' innerhalb des Ordens, um die Finanzwelt und die internationale Politik zu kontrollieren."

Historisch sei dies "kompletter Unsinn", sagt Butter. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts sei aus den Verdächtigungen gegenüber Illuminaten und Freimaurern im Hinblick auf die Französische Revolution die Idee einer freimaurerisch-jüdischen Verschwörung geworden. Die Juden hätten in der Verschwörungstheorie somit die Illuminaten ersetzt, die erst später wieder in den Fokus gerieten.

Ungenauer Quellenverweis

Ein Fehler ganz anderer Art findet sich im FAQ der Seite. Dort heißt es auf die Frage "Wer glaubt an Verschwörungsmythen?", dass 46 Prozent der Befragten der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 2020 der Meinung seien, es gäbe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen hätten.

In der als Quelle verlinkten Studie von 2021 findet sich diese Zahl jedoch nicht: Hier ist von 22,9 Prozent der Befragten die Rede. Die 46 Prozent hingegen sind das Ergebnis der älteren Studie von 2019.

Weitere Informationen

Wer steckt hinter dem "Fabulant"?

  • "Der Fabulant" wird von Modus Zad betrieben, einer Berliner Non-Profit-Organisation zur Extremismus-Prävention. Auf hr-Anfrage erläutert die Organisation, dass fünf Mitarbeitende aus den Bereichen Pädagogik, Extremismusprävention, Datenanalyse und Social Media Management an der Plattform arbeiteten.
  • Das Hessische Innenministerium erklärte, der Portalanbieter Modus Zad solle in der Umsetzung eine hohe Eigenständigkeit haben, man stehe jedoch im engen Austausch.
  • Neben den 640.000 Euro aus dem Landesprogramm "Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" für einen Förderzeitraum bis Ende 2024 beteiligt sich auch die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) an der Finanzierung.
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Die für den Betrieb der Seite beauftragte Organisation Modus Zad erklärt auf hr-Anfrage, man stehe Hinweisen und Kritik offen gegenüber und greife diese konstruktiv auf. Neben der Korrektur falscher oder missverständlicher Informationen gebe es die Möglichkeit, Fehler transparent zu machen "und analytisch Fehlerursachen zu identifizieren und zu korrigieren", heißt es.

Aus Butters Sicht zeigt sich durch den Fehler beim Quellenverweis auf die veraltete Mitte-Studie mit dramatischer wirkenden Zahlen jedoch auch "eine gewisse Agenda der Seite: dass man möglichst viel Besorgnis über Verschwörungstheorien verbreiten will."

Videobeitrag

Prof. Michael Butter über den "Fabulant"

Mann in Interview-Situation, mit Schriftzug "Michael Butter Professor Uni Tübingen"
Bild © hr
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Er habe den Eindruck, dass sich das Portal an Menschen richte, "die die Fakten schon kennen und eher Unterhaltung suchen und sich in ihrer Ablehnung von Verschwörungstheorien bestätigt fühlen wollen." Das sei nicht der Zweck, zu dem die Seite ins Leben gerufen wurde.

Was ist die Zielgruppe?

Laut Modus Zad richtet sich das Portal "an alle, die im privaten oder professionellen Kontext mit Verschwörungsgläubigen in Kontakt stehen", etwa an Angehörige von Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben oder pädagogische Fachkräfte.

Das bunte Design und die Aufmachung rund um den Hasen kann den Eindruck erwecken, dass insbesondere eine jüngere Zielgruppe angesprochen werden sollte. Das Innenministerium präzisierte hingegen auf Nachfrage, das Angebot sei generationenübergreifend zu verstehen.

Aber wie finden diese Menschen die Seite? Um eine möglichst breite Öffentlichkeit über die Themen aufzuklären, werde das Portal von einer Social Media Strategie mit eigenen Kanälen auf LindekIn, Facebook, Twitter und Instagram begleitet, erklärt Modus Zad. Dabei sei auch die Vernetzung mit anderen Akteuren wichtig. Beispielsweise die hessische Polizei hatte das Portal auf ihren Social Media Kanälen bereits zum Projektstart beworben.

Portal soll über 10.000 Menschen erreichen

Noch ist "Der Fabulant" mit seinen dazugehörigen Kanälen jung, doch von den angestrebten über 10.000 Personen, die es laut Modus Zad bis Ende 2024 erreichen soll, scheint das Projekt nach zwei Wochen noch fern: Der Instagram-Kanal hat rund 180 Follower, das erste Video auf dem Youtube-Kanal unter 100 Aufrufe. Zu den Abrufzahlen des Portals will das Innenministerium zu dem frühen Zeitpunkt noch nichts sagen.

Für Michael Butter wären die 640.000 Euro des Landes gegen die Verbreitung von Verschwörungsmythen in bereits bestehenden Angeboten oder Beratungsstellen besser angelegt gewesen. "Es gibt ohnehin schon zu viele solcher Seiten, die zu zersplittert und dadurch schlecht auffindbar sind", meint er.

An der Aufmerksamkeit für ihr Projekt wollen Modus Zad und das Hessische Innenministerium arbeiten. Zum Beispiel am Hessentag im Juni in Pfungstadt (Darmstadt-Dieburg), da soll der Fabulant in Gestalt und abseits vom Bildschirm auftreten, Informationsmaterialien verteilen und mit Menschen ins Gespräch kommen.

Videobeitrag

Online-Portal über Verschwörungsmythen

hs
Bild © hs
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Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 17.04.2023, 17 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Pia Stenner, Ariane Focke, Christiane Schulmayer