Dienstgeheimnis ausgeplaudert Ex-Landespolizeichef erhielt Strafbefehl wegen "NSU 2.0"-Affäre
Hessens früherer Landespolizei-Chef Münch verlor wegen der "NSU 2.0"-Affäre seinen Posten. Nun stellt sich heraus: Ein Gericht bestrafte ihn später, weil er Wissen über Drohschreiben gegen Linken-Politikerin Wissler ausgeplaudert hatte.
Gegen den ehemaligen hessischen Landespolizeipräsidenten Udo Münch ist im Zusammenhang mit der Affäre um "NSU 2.0"-Drohschreiben ein Strafbefehl ergangen. Er wurde verwarnt, weil er Dienstgeheimnisse verletzt hat - und das bei einer besonderen Geheimhaltungspflicht.
Zudem wurde eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 350 Euro unter Vorbehalt verhängt - also auf Bewährung. Der rechtskräftig gewordene Strafbefehl erging im Februar dieses Jahres durch das Amtsgericht Wiesbaden, wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt dem hr nun auf Nachfrage mitteilte.
Vor mehr als zweieinhalb Jahren hatte Münch als Teilnehmer eines Hintergrundgesprächs mit Journalisten im Innenministerium ausgeplaudert, dass auch die Linken-Vorsitzende Janine Wissler Drohschreiben erhielt.
"Ermittlungserfolg gefährdet"
In der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft an den hr heißt es: "Diese Information war zu diesem Zeitpunkt geheimhaltungsbedürftig, um den Erfolg der laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden und um die Geschädigte Wissler vor weiteren Drohschreiben zu schützen."
Die Hass-Schreiben waren unter Anspielung auf die rechtsextreme "NSU"-Mordserie mit "NSU 2.0" unterzeichnet. Sie gingen an mehrere prominente Frauen, zuerst 2018 per Fax mit einer Morddrohung an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız. Die Schreiben enthielten vertrauliche Daten der Opfer, die zuvor von Polizeicomputern abgefragt worden waren.
Als Münch Anfang Juni 2020 verriet, dass auch die damalige Landtagsabgeordnete und heutige Linken-Bundeschefin Wissler unter den Opfern ist, war der Täter unbekannt. Vergangenen November wurde ein damals 54-Jähriger aus Berlin als Verfasser von rund 80 Drohschreiben vom Landgericht Frankfurt verurteilt. Er erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten.
Die unerlaubte Äußerung Münchs war öffentlich bekannt, der mehr als zweieinhalb Jahre später ergangene Strafbefehl bislang nicht. Münch selbst hatte bereits vor einer Expertenkommission bedauert, dass ihm die Äußerung vor den Journalisten gewissermaßen herausgerutscht sei. Absichtlich sei die Preisgabe der Information nicht erfolgt.
Böhmermanns Frage
Wissler beklagte als Zeugin im Prozess, nach der Indiskretion Münchs sei die Zahl der Drohschreiben gestiegen. Die Umstände der Entlassung des Polizeichefs hat das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann gerade noch einmal am Rand einer Sendung aufgegriffen. Sie wandte sich mit dem Titel "Was die Polizei mit dem NSU 2.0 zu tun hat" gegen die These, dass es nur einen Täter gibt.
"Warum musste der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch wirklich zurücktreten?" - fragte Böhmermann am Ende, was hinter einem Strafverfahren stecke und warum die Öffentlichkeit nichts darüber erfahre.
Innenministerium: Es gab nur den einen Rücktrittsgrund
Münch hatte am 3. Juni 2020 über die Bedrohung Wisslers gesprochen. Dass der Polizeichef den Rücktritt eingereicht habe und in den Ruhestand versetzt werde, gab Innenminister Peter Beuth (CDU) am 14. Juli 2020 bekannt.
In der Begründung, die Beuth gab, spielte das Ausplaudern aber keine Rolle. Der Strafbefehl wegen der Verletzung des Dienstgeheimnisses erging erst sehr viel später - im Februar 2023.
Die Indiskretion beim Journalisten-Hintergrundgespräch und die deshalb laufenden Ermittlungen hatten laut Innenministerium für Münchs Abgang keine maßgebliche Bedeutung. Ein Jahr nach dem Vorfall sei die Staatsanwaltschaft erstmals in der Sache an das Innenministerium herangetreten, sagte ein Sprecher Beuths auf Anfrage. Demnach schrieben die Ermittler das Ministerium am 26. Juli 2021 wegen des Verdachts der unerlaubten Informationsweitergabe an.
Das Ministerium bekräftigte auf Nachfrage vielmehr seine bisherige Begründung für Münchs Rücktritt: Jener hat demnach die Verantwortung dafür übernommen, dass Informationen über illegale Datenabfragen auf polizeilichen Computern "nicht adäquat weitergegeben wurden".
Beuth stand unter Druck
In der Zeit von Münchs Rücktritt stand Beuth erheblich unter Druck. Die Affäre war bundesweit ein Thema. Illegale Abfragen von Polizeicomputern aus Frankfurt waren bereits bekannt gewesen.
Als dann herauskam, dass es auch welche in Wiesbaden gegeben hatte, übernahm Münch auch nach eigenen Angaben die Verantwortung dafür, dass er diese Information des Landeskriminalamtes (LKA) nicht an den Minister weitergeleitet habe.
Langes Verfahren gegen Münch
Aber warum vergingen mehr als zweieinhalb Jahre von Münchs verbotenem Reden über die Drohschreiben gegen Wissler bis zum Strafbefehl? Die Strafanzeige wegen des Verdachts der Weitergabe gegen Unbekannt hatte das Landeskriminalamt gestellt. Das entspreche dem Standardvorgehen der Sicherheitsbehörden, heißt es aus dem Innenministerium.
Dass sich alles so lange hinzog, lag laut Staatsanwaltschaft schon daran, dass es mehr als ein Jahr bei Ermittlungen gegen Unbekannt geblieben sei. Dann habe auch geklärt werden müssen, ob es neben Münch weitere Beteiligte gegeben habe. Schließlich seien viele Zeugen befragt worden.
Auf die Frage, weshalb die Ermittlungen gegen den Ex-Chef der Landespolizei und ihr Ausgang nicht öffentlich gemacht wurden, heißt es aus dem Ministerium: Die Entscheidung darüber, wann und in welcher Form öffentlich über solche Verfahren kommuniziert wird, obliege allein der Staatsanwaltschaft.
Streit um die Rolle von Polizisten
Dass hessische Polizisten "zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der NSU-2.0-Drohschreiben-Serie" gewesen seien, hatte Innenminister Beuth bereits aus der Anklage gegen den später verurteilten Mann aus Berlin abgeleitet. In der Urteilsbegründung teilte auch die Vorsitzende Richterin am Frankfurter Landgericht die Alleintäter-These: Gegenüber dem Verurteilten zeigte sie sich mit Blick auf die Drohschreiben überzeugt davon, "dass Sie die alle allein geschrieben haben".
Die Polizei ermittele aber selbst noch, wandte Böhmermann nun ein. Er führte unter anderem die mutmaßliche Verstrickung eines Frankfurter Polizeikommissars an, der auch in der aufgeflogenen rechten Whatsapp-Chatgruppe "Itiotentreff" maßgeblich mitgemischt haben soll.
Die Staatsanwaltschaft bestätigte im Anschluss an die Kritik, dass die Ermittlungen gegen zwei Frankfurter Polizisten wegen der Drohschreiben noch nicht abgeschlossen seien.
Sendung: hr-iNFO, 13.10.2023, 16.30 Uhr
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