Umstrittene Finanzspritze in Kassel Große Nachfrage nach Einwohner-Energie-Geld
Die Stadt Kassel zahlt allen Einwohnern einmalig 75 Euro Energie-Geld - auf Antrag. Fast 50.000 Anträge sind in der ersten Woche eingegangen. Unklarheit besteht weiter, wie der Zuschuss auf Sozialleistungen angerechnet wird.
In Zeiten steigender Energiepreise will die Stadt Kassel ihre Bürgerinnen und Bürger mit einem Einwohner-Energie-Geld (EEG ) unterstützen. 75 Euro erhält jede Person - altersunabhängig. Insgesamt 15,4 Millionen Euro lässt sich die Stadt diese Hilfe kosten.
Seit dem 5. Oktober kann das Geld online oder per Post beantragt werden. Nach einer Woche seien bereits an die 50.000 Online-Anträge eingegangen, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. Dazu hätten mehr als 1.000 Menschen ihren Antrag per Post eingereicht.
Schon vorab hatte das Energie-Geld für Wirbel gesorgt. Der Alleingang von Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) hatte mit dazu geführt, dass die Koalition mit den Grünen im Juni platzte. Ob der Vorschlag im Stadtparlament eine Mehrheit finden würde, war lange unklar. Die Grünen hatten den Vorschlag als "Wahlkampfgeschenk" bezeichnet. Im kommenden Frühjahr wird in der Stadt ein neuer Oberbürgermeister gewählt.Ähnlich argumentierte auch die Linke. Im Juli stimmte die Stadtverordnetenversammlung schließlich dem Antrag mit 39 von 60 Stimmen zu.
EEG nur für Energieberatung?
Streit gab es über die Frage, ob das Energiegeld auf Sozialleistungen angerechnet wird. In einem FAQ der Stadt heißt es jetzt dazu: "Nach Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erhalten Transferleistungsempfängerinnen und ‐empfänger das EEG rechtssicher und ohne Anrechnung auf das Einkommen bei einer nachgewiesenen Verwendung der Zuwendung für einen anderen Zweck als den in den Regelbedarfen umfassten".
Somit können Empfänger von Sozialleistungen das EEG nur für Leistungen in Anspruch nehmen, die über den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen, beispielsweise für eine Energieberatung. Während Antrag und Auszahlung des EEG bereits angelaufen ist, wird sich die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag der Linken bei ihrer nächsten Sitzung am 17. Oktober noch einmal mit den Auszahlungsmodalitäten und Nicht- Anrechenbarkeit des Einwohner-Energie-Geldes beschäftigen.
Jobcenter: Menschen nicht unter Generalverdacht stellen
Dass bei der Anrechnung auf Sozialleistungen noch einige Fragezeichen im Raum stehen, hören die Mitarbeitenden im Jobcenter Stadt Kassel immer wieder. "Wir haben Anfragen dazu", berichtet Pressesprecher Ekkehard Passolt. In den Gesprächen mit Kundinnen und Kunden sei das EEG immer wieder Thema. Allerdings könne man noch keine rechtssichere Auskunft geben.
Seit Ende vergangener Woche liegt die Endfassung der Förderrichtlinie dem Jobcenter vor. Die Frage der Anrechnung müsse jetzt geprüft werden, so Passolt. Unabhängig vom Ergebnis werde man die auf Unterstützung angewiesenen Menschen nicht unter 'Generalverdacht' stellen. Man vertraue darauf, dass Kundinnen und Kunden den Erhalt der Zahlung angeben, da sie generell verpflichtet seien, Einkünfte anzugeben. Das gelte auch für das Einwohner-Energie-Geld.
Äußerungen aus Sozialamt und Jobcenter, die dem hr vorliegen, lassen Zweifel aufkommen, ob die empfohlene Energieberatung sinnvoll ist, zumal eine solche Auskunft an vielen Stellen kostenlos angeboten wird.
205.000 Bürger können Antrag stellen
Bis zum 20. Oktober werden die Info-Schreiben der Stadt an alle rund 205.000 Bürgerinnen und Bürger verteilt, gestaffelt nach Postleitzahlen. Nach Erhalt des Schreibens kann jeder die 75 Euro auf einem Online-Portal der Stadt beantragen. Neben Geburtsdatum, Bankverbindung und E-Mail-Adresse benötigen alle eine individuelle Zugangskennung aus dem Anschreiben.
Wer den Betrag nicht selbst benötige, könne die 75 Euro auch spenden, heißt es von Seiten der Stadt Kassel. Dabei sei eine direkte Spende nicht möglich, da in der Förderrichtlinie ein Verwendungszweck genannt wird.
"Treppe 4" wirbt um Spenden
Mit der Aktion "Energiegeld spenden" haben die Organisationen des Hauses der Sozialwirtschaft "Treppe 4" eine Möglichkeit geschaffen, das Geld dort zu spenden, wo es am nötigsten gebraucht wird. Der Zusammenschluss sozialer Vereine aus der Region hat ein Spendenkonto für den Energiezuschuss eingerichtet.
Von den Spenden profitieren die Kasseler Tafel, die Soziale Hilfe Kassel und die 14 Familienzentren der Stadt. Im Fall einer Spende wird der Betrag an alle drei Organisationen zu gleichen Teilen weitergegeben. Man kann das Geld aber auch gezielt einer der drei Einrichtungen zugutekommen lassen.
Neben "Treppe 4" hat auch die Liga der freien Wohlfahrtspflege allen Menschen empfohlen, das Geld zu beantragen. Gleichzeitig rufen sie diejenigen, die nicht darauf angewiesen sind, dazu auf, den Betrag für soziale Projekte und Angebote in Kassel zu spenden.
Sendung: hr4, 12.10.2022, 16:30 Uhr
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