Erste Landesbeauftragte für Antidiskriminierung Hessens Gesicht gegen Hass, Rassismus und Ausgrenzung

Eine Gesellschaft, in der niemand wegen Religion, Herkunft, sexueller Vorlieben oder des Alters benachteiligt wird: Das ist das Ziel von Berivan Şekerci. Sie kämpft im Auftrag der Landesregierung gegen Diskriminierung.

Berivan Sekerci schaut lächelnd direkt in die Kamera, sie trägt lange offene dunkelbraune Haare, eine weiße Bluse mit einem cremefarbenen Pulli drüber und hat braune Augen
Berivan Şekerci stellt sich als Landesbeauftragte gegen Diskriminierung in Hessen. Bild © hr
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"Wie toll, beim Reinkommen hat man direkt ein Wohlfühlgefühl!" Berivan Şekerci sagt das. Sie lächelt warm und offen, wirkt aber noch etwas zurückhaltend, als sie die hellen Räume des Queeren Zentrums in Wiesbaden betritt.

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Berivan Şekerci: Antidiskriminierungsbeauftragte in Hessen

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Sie stellt sich an diesem Tag den Mitgliedern der Community vor. Seit ihrem Amtsantritt im September ist die 34-Jährige vor allem damit beschäftigt, sich einen Überblick über die Beratungsangebote in Hessen zu verschaffen und sich zu vernetzen.

Şekerci streicht sich die langen, dunkelbraunen Haare hinters Ohr. Sie freue sich sehr über den Vertrauensvorschuss, der ihr von vielen Menschen und Organisationen entgegengebracht werde, sagt sie: "Sie sind froh, dass jetzt eine Person da ist, die sich für ihre Belange einsetzen kann und die klare Haltung zeigt." Sie habe sich "fest vorgenommen, mein Bestmögliches zu geben und all diese Menschen nicht zu enttäuschen".

Ein großer Auftrag und große Erwartungen

Die Juristin aus Bad Hersfeld soll sich mit Nachdruck gegen jegliche Form von Diskriminierung - Hass, Hetze, Menschenfeindlichkeit - einsetzen. Das Land hat dafür extra eine Stelle geschaffen, die es in den meisten anderen Bundesländern nicht gibt. Häufig verfolgen Antidiskriminierungsstellen diese Ziele.

In Hessen gibt es eine solche Stabsstelle seit 2015. Von Şekerci erwartet die Landesregierung, dass sie die Antidiskriminierungsarbeit in Hessen entschieden voranbringt. Ihre Stelle ist Teil des SPD-geführten Arbeits- und Sozialministeriums. Sie betont aber, dass sie ihrer neuen Aufgabe ungeachtet ihres Parteibuchs und ihrer Religion im Sinne aller nachgehen möchte.

Zweifel an Sinnhaftigkeit der Stelle

Dennoch gibt es Kritik von der FDP-Fraktion im Landtag. Nicht an ihrer Person, wie der sozialpolitische Sprecher Yanki Pürsün betont, aber an der Stelle an sich: "Die wichtige Arbeit gegen Diskriminierung muss nach unserer Überzeugung wie bisher im Ministerium geleistet werden, ohne dafür eine Beauftragtenstelle zu schaffen."

Einen Prüfstein für Şekercis Arbeit sieht Pürsün gleich in ihrem Umgang mit der umstrittenen Aussage der CDU-Generalsekretärin Anna-Maria Bischof. Diese warnte davor, "eine ganze Generation von Talahons einzubürgern". Nach massiver Kritik an dieser Pauschalisierung gab sie sich reumütig.

Berivan Sekerci sitzt gemeinsam mit der Staatssekretärin und Mitgliedern des Queeren Zentrums dort an einem großen Holztisch zum Kennenlerngespräch, die Teilnehmer lächeln in die Kamera.
Berivan Şekerci (2. von links) im Gespräch mit Kollegen und Mitgliedern des Queeren Zentrums in Wiesbaden Bild © hr

Die AfD-Fraktion, die eher mit ausgrenzenden als integrativen Positionen auffällt, äußert ebenfalls leise Zweifel an der Sinnhaftigkeit des neuen Postens. Der Kampf für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft sei "eine Selbstverständlichkeit, für die es keine staatliche Stelle brauchen sollte", findet Volker Richter, sozialpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion.

Seine Fraktion werde beobachten, ob Şekerci "dann auch breitflächig oder nur einseitig für Antidiskriminierung einsteht".

Im U-Ausschuss zu Hanau auf sich aufmerksam gemacht

Am liebsten wäre ihr, wenn es ihre Stelle zukünftig nicht mehr geben müsste, sagt Şekerci selbst: "Weil unsere Gesellschaft so weit vorangeschritten ist, dass sie sensibel ist und man sich gegenseitig zuhört statt zu pauschalisieren." Aber sie weiß, dass die Gesellschaft so weit nun mal nicht ist.

Berivan Şekerci ist in Wiesbaden keine Unbekannte. Sie machte durch ihre akribische und engagierte Mitarbeit im Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag in Hanau auf sich aufmerksam.

"Was die Angehörigen der Opfer in Hanau erlitten haben, etwa durch Gefährderansprachen, war die schlimmste Form von Rassismus", findet Şekerci. Der U-Ausschuss habe Handlungsempfehlungen verfasst, damit so etwas in Zukunft vermieden oder besser gehandhabt werden könne.

Sie schaut lieber nach vorn

Als Tochter türkischer Einwanderer hat Şekerci selbst Diskriminierung erlebt. Darüber sprechen möchte sie nicht. Sie sagt, sie wolle nicht mit Negativbeispielen Rassismus reproduzieren.

"Natürlich kenne ich Erfahrungen etwa von Männern, die aufgrund ihres Aussehens oder Namens als Menschen mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden", sagt sie: "Bei der Jobsuche lassen viele lieber das Bewerbungsbild weg, weil sie so eher eine Zusage zum Vorstellungsgespräch bekommen." Benachteiligung beim Zugang zum Arbeits- oder Wohnungsmarkt müsse offen thematisiert werden.

Zitat
Betroffene wünschen sich eine Person, die klare Haltung zeigt und für sie einsteht - und das bin ich definitiv! Zitat von Berivan Şekerci
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Nicht nur Rassismus oder Sexismus will die 34-Jährige bekämpfen, sie möchte auch weniger öffentliche Formen von Diskriminierung stärker in den Fokus rücken - etwa aufgrund des sozioökonomischen Status, einer Behinderung oder des Alters.

"Ältere, vor allem pflegebedürftige Menschen haben oft das Gefühl, ein Stück weit von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden", hat sie beobachtet. Hier fehlten häufig entsprechende Netzwerke. "Welche Angebote gibt es ihnen gegenüber, wie gestalten wir für sie den Zugang und Anschluss an die Gesellschaft?"

Rauer Umgang mit Betroffenen

Auch die queere Community in Hessen, die sich oft Anfeindungen im Alltag ausgesetzt sieht, setzt große Hoffnungen in die neue Landesbeauftragte. So schildert es zumindest Kle Tablack vom Queeren Zentrum in Wiesbaden.

Tablack wirbt dafür, Angebote für queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen weiterzuführen: "Wir leben in einer Zeit, in der der politische Wind rauer wird und Menschen der Ansicht sind, dass nur die Mehrheit zählt." Von Diskriminierung betroffene Menschen dürften nicht allein gelassen werden.

Kle Tablack lächelt in die Kamera, trägt kurz geschnittene Haare, ein Brille und ein Shirt mit einer Sonne und regebogenfarbenen Strahlen.
Kle Tablack: "Antidiskriminierungs-Arbeit ist wichtig - nicht alle Menschen haben die gleichen Chancen." Bild © hr

Kipo Brehm vom Queeren Zentrum möchte mit der Antidiskriminierungsbeauftragten auch kritische Aspekte offen besprechen: "Ob es das Genderverbot in Hessen betrifft oder die gesellschaftliche Stimmung - wichtig ist, dass die Bedarfe unserer Community in der Politik gehört werden und wir daran zukunftsorientiert arbeiten können."

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"Möglichst viele Menschen sensibilisieren"

Angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Strömungen in Deutschland hält Şekerci es für entscheidend, ein deutliches Zeichen dagegen zu setzen: "Weil in der gesellschaftlichen Mitte zum Teil Grenzen verwischen und etwa rechtsextreme Meinungsbilder mehr angenommen und nicht hinterfragt werden." Es sei dann an ihr, als Antidiskriminierungsbeauftragte zu sagen: "Moment, das ist nicht richtig." Und möglichst viele Menschen zu sensibilisieren.

Die 34-Jährige sieht sich in der richtigen Position dafür: "Ich bin ein Mensch mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setze mich gern für benachteiligte Menschen ein."

Zugleich wolle sie positiv nach vorne schauen. Deutschland könne stolz sein auf seine Verfassung, die persönliche Freiheitsentfaltung garantiere, findet Berivan Şekerci: "Deswegen sollten wir als Gesellschaft alles daransetzen, dass sie erhalten bleibt."

Sie will Beratunsgangebote ausbauen

Mit Erleichterung wird sie vernommen haben, dass die schwarz-rote Landesregierung das Demokratieförderprogramm "Hessen - aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" bis ins kommende Jahr hinein in der derzeitigen Höhe weiter finanziert. Bis vor kurzem war das alles andere als klar, weshalb viele Träger derartiger Beratungsangebote Alarm geschlagen hatten. Innenminister Roman Poseck (CDU) schrieb dem hr: "Trotz der schwierigen Haushaltslage werden wir ein neues Programm für die nächsten Jahre auflegen, für das nach derzeitigem Planungsstand Mittel in bisheriger Höhe zur Verfügung stehen."

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Ich habe einen großen Gerechtigkeitssinn! Zitat von Berivan Sekerci
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Die neue Landesbeauftragte Berivan Şekerci will aber mehr als das, sie will in Hessen Beratungsangebote ausbauen. Sie will Bildung, gesellschaftliche Aufklärung und Präventionsarbeit stärken, aber auch gesetzliche Lücken in der Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie schließen. "Ich bringe die Anliegen der Betroffenen in die Landesregierung ein", sagt sie.

Ihr Ziel sei es, die Akzeptanz von Vielfalt zu stärken und eine inklusive Zukunft für alle zu gestalten. Wobei sie betont: "Natürlich ist das die Aufgabe der Landesregierung, aber auch die Gesellschaft muss aktiv daran mitwirken." Berivan Şekerci lächelt und sagt: "Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaft bereit ist, sich ins Positive zu entwickeln."

Weitere Informationen

Mehr Straftaten und Beratungsanfragen

Mehr als 10.000 Betroffene wandten sich im vergangenen Jahr an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das waren fast 2.000 mehr als im Vorjahr und so viele wie noch nie.
In Hessen stieg die Nachfrage nach Beratungsangeboten zu erlebtem Rechtsextremismus und Rassismus 2023 auf einen Rekordwert. Das hessische Beratungsnetzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus registrierte 307 Beratungsfälle. Für das laufende Jahr erwartet es noch mehr.
Auch das Landeskriminalamt registrierte mit 235 Fällen von Hasskriminalität und Rassismus im vergangenen Jahr fast 100 einschlägige Straftaten mehr als 2022. Die queerfeindliche Gewalt nahm nach Angaben des Innenministeriums ebenfalls zu: um 33 auf 83 derartige Straftaten im Jahr 2023.
Die Fallzahlen bei Beratungsanfragen und auch Straftaten sind nicht repräsentativ, da viele Vorkommnisse nach Auskunft von Experten nicht gemeldet werden.

Ende der weiteren Informationen

Redaktion: Stephan Loichinger

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de