Freie Wähler-Spitzenkandidat Engin Eroglu Ein Mann für die schmalen Grate
Von den Grünen zu den Freien Wählern: Engin Eroglus politische Biografie ist durchaus bemerkenswert. Inzwischen hat sich der Nordhesse in Brüssel einen Ruf als Experte für EU-Währungs- und Handelspolitik erarbeitet. Und als jemand, der sich mit den Großen anlegt - beispielsweise China.
Wie Abgrenzung funktioniert, hat Engin Eroglu verstanden. Als er Mitte Mai im Frankfurter Kommunikationsmuseum auf das Podium gebeten wird, fällt ihm die undankbare Aufgabe zu, die Wogen zu glätten, die beim Auftritt von Christine Anderson - Kandidatin der AfD bei der anstehenden Europawahl - hochgeschlagen sind.
Eigentlich sollten an diesem Tag Argumente ausgetauscht werden. "Jugend debattiert" heißt das altbewährte Format, bei dem rhetorisch begabte Oberstufenschülerinnen und -schüler gegen gestandene Politikerinnen und Politiker antreten. Anderson hat dieses Podium für Polemik gegen die Bundesregierung, Altparteien und die EU genutzt. Und vor allem Kopfschütteln und Unmutsbekundungen geerntet. Nun ist der Mann von den Freien Wählern an der Reihe.
Seriös, aber nicht sonderlich auffällig
"Um es klar zu sagen", beginnt Eroglu sein Eingangsstatement, "die Europäische Union ist das Beste, was uns jemals passiert ist." Es ist klar, dass der Sohn türkischer Einwanderer als Schwalmstadt, ein ganz großes "uns" meint, das im krassen Gegensatz zum eng gefassten "wir" der AfD-Frau steht. In Gesprächen bezeichnet er sich gerne als "begeisterter Europäer". Doch auf der Bühne im Frankfurter Kommunikationsmuseum muss er das so deutlich gar nicht sagen.
Vor dem Publikum steht ein stämmiger Mann, im schwarzen Anzug, mit ebenfalls dunkler, dünner Krawatte. Die hohe Stirn wird von einer kurzen Mecki-Frisur eingefasst. Typ: Sparkassenvertreter. Seriös aber nicht sonderlich auffällig. Eroglu würde das nicht als abwertend empfinden - im Gegenteil. Schließlich ist er tatsächlich ausgebildeter Bank- und Sparkassenkaufmann.
Von der Sparkassenfilliale ins Europaparlament. Das klingt nach einer Erzählung, wie sie man sie sich bei konservativ-bürgerlichen Parteien wünscht. Grundsolide und geradlinig.
Tatsächlich aber weist Eroglus politische Biografie einige Kurven auf. Begonnen hat die politische Karriere des heute 42-Jährigen bei den Grünen - also ausgerechnet bei jener Partei, die der Bundesvorsitzende der Freien Wähler Hubert Aiwanger zum Hauptfeind erklärt hat.
Politische Laufbahn bei den Grünen
Dabei war Eroglu nicht irgendwer bei den hessischen Grünen. Mit 15 Jahren eingetreten, brachte er es bis zum Landesvorsitzenden der Grünen Jugend, führte fast 14 Jahre lang den Kreisverband Schwalm-Eder. 2011 folgte der Einzug in den Kreistag. Ein Jahr später brach er mit der Partei.
"Ich habe für mich entschieden, dass die Ziele der Grünen in einigen Bereichen richtig sind, aber der Weg der komplett falsche", erklärt Eroglu seinen Parteiaustritt heute. Das Wort "Verbotspartei" nimmt er nicht in den Mund, aber den einen gewissen Hang zur Reglementierung will er bei seiner Ex-Partei durchaus ausgemacht haben.
Hinzu kam, dass ihm das parteipolitische Taktieren im Kreistag zuwider gewesen sei. "Ich habe nicht eingesehen, warum ich gegen Vorschläge der SPD oder FDP stimmen sollte, denen ich inhaltlich zustimmte."
Vorliebe für Handels- und Währungspolitik
Der pragmatische Ansatz der Freien Wähler in Hessen habe ihn da mehr angesprochen. "Da wird innerparteilich hart diskutiert - aber zur Sache." Auch in der neuen Partei stieg er auf: 2019 zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Im selben Jahr gelang ihm der Einzug in Europa-Parlament.
Eigentlich, sagt Eroglu, sei der politische Alltag in Brüssel dem im Kreistag gar nicht so unähnlich. Beide Gremien böten die Möglichkeit zu gestalten - das mache Politik für ihn aus. Da er aus der Finanzbranche stammt, überrascht es wenig, dass seine Vorliebe der Handels- und Währungspolitik gilt. Und die wird nun einmal in Brüssel gemacht. "Und ich kann das. Nicht nur mit Halb- oder Viertelwissen."
Eroglu hat sich in den fünf Jahren in Brüssel einen Namen gemacht. Er gehört dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung und dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten an, ist zudem Mitglied in der Delegation für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei und zusätzlich in mehreren parlamentarischen Kooperationsausschüssen tätig, die an der Beziehung von EU und den Staaten Zentralasiens arbeiten.
Freude an der Mehrheitsbeschaffung
Das Spannungsfeld, in dem sich Eroglu bewegt, ist das einer Institution, die zugleich Wirtschaftsgüter und Werte exportieren möchte. Oft genug sei es ein "schmaler Grat". So ist Eroglu einerseits stolz, dass das Investitionsabkommen mit China (CAI) keine Mehrheit im Parlament fand. Ein Grund waren die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen durch das Pekinger Regime.
Auf der anderen Seite ist er ein entschiedener Gegner des Lieferkettengesetzes - das von den EU-Staaten mit einigen Abstrichen im März verabschiedet wurde. Grundsätzlich sei ein Gesetz, das europäische Unternehmen verpflichtet, die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherzustellen, wünschenswert, findet auch Eroglu. Jedoch müsse dies, um wirklich zu greifen, mit den Ländern der G7 abgestimmt werden, also auch Großbritannien, Kanada, Japan und den USA.
Für jemanden, der gerne auf schmalen Graten wandelt, sei das Europäische Parlament genau der richtige Ort, ist Eroglu überzeugt. "Wir haben ja hier nicht die klassische Aufteilung: Regierung - Opposition." Für jedes Projekt müssten neue Mehrheiten beschafft werden. Ihm liege das mehr, als nach "Parteipfeifen" zu tanzen.
Gegenentwurf zu Aiwanger
Der Schwalmstädter hat sich für seine politischen Ambitionen eine Partei ausgesucht, die sich qua Selbstverständnis in einem permanenten Selbstfindungsprozess befindet - und eigentlich nicht einmal wirklich Partei sein möchte. Dass die einstige Wählergemeinschaft bundesweit überhaupt wahrgenommen wird, liegt hauptsächlich an den Erfolgen der Freien Wähler in Bayern. Und am umstrittenen Polarisierungskurs des Parteivorsitzenden Hubert Aiwanger.
Der Mann, der sich bei Anti-Ampel-Protesten als Volkstribun der Wutbürgerschaft inszeniert und die Freien Wähler rechts der CDU, vielleicht sogar der CSU etablieren möchte, ist im Auftreten der krasse Gegenentwurf zur hessischen Nummer zwei auf der Europawahlliste. Auf den Wahlplakaten stehen sie dennoch einträchtig nebeneinander.
Das habe er bewusst so entschieden, betont Eroglu. Weil das den Binnenpluralismus der Freien Wähler gut repräsentiere. "Das sind halt die Freien Wähler", sagt Eroglu. Ein bisschen klingt es wie: "Mia san mia."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 06.06.2024, 19.30 Uhr
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