CDU-Spitzenkandidat Sven Simon Der Professor, der nicht so soft ist wie sein Sound
An der Uni und in der Politik hat Sven Simon gleich zwei Karrieren im Eiltempo gemacht. In geschliffenen Reden warnt der Europawahl-Spitzenkandidat der Hessen-CDU vor dem Scheitern des EU-Projekts. Zur Rettung hält er Härten in der Migrationsfrage für unvermeidlich.
Wahlbotschaften können die Intelligenz beleidigen. Klar, dass jemanden wie Sven Simon das stört. Der Mann ist schließlich Professor.
Das Plakat mit dem Slogan "Europäische Kernenergie an, grüne Ideologie aus" zum Beispiel findet Simon "vielleicht doch etwas plump". Als er das neulich in Frankfurt vor einem größeren Publikum sagte, lächelte er mild. Denn das Plakat ist seines.
Der Mann ist schließlich Politiker. Als Spitzenkandidat der hessischen CDU will der 45-Jährige aus Buseck (Gießen) am Sonntag nach 2019 zum zweiten Mal ins Europaparlament gewählt werden.
Karriere und Selbstdistanzierung
Bevor er in Straßburg und Brüssel Abgeordneter wurde, legte Simon eine steile Akademiker-Karriere hin. Doktortitel mit Anfang 30 in Gießen, Professor für Völker- und Europarecht in Marburg mit Ende 30. Zwischendrin Gast-Professuren in den USA und in Berlin.
Die ironische Selbstdistanzierung eines solchen Mannes von den Grobheiten des Wahlkampfes auf einem Sommerfest der Frankfurter CDU mag mehr als Pose sein. Aber wie viel mehr?
Sanfte Stimme, harte Kante
Bei einem der zentralen Themen des Europa-Wahlkampfes überbietet Simon seine Partei gelegentlich. Dann spricht er von "illegaler Massenmigration“. Das Wahlprogramm der CDU meidet den Begriff, den die AfD gepachtet zu haben schien. Simon nutzte ihn unter anderem vergangenen Dezember bei einer Rede zur Wahl vor dem Parlament in Straßburg.
Der Mittvierziger mit dem jungenhaften Gesicht und der soften Stimme kann hart sein. "Es wird auch traurige Bilder geben müssen" – der Satz fällt, als der CDU-Politiker in der hr-Europawahl-Reihe "Blinddate mit den Wählern" einen Flüchtling trifft. In Einzelfällen sage ihm sein Herz zwar: Bleiberecht. "Abstrakt und global" betrachtet gehe das aber angesichts der hohen Flüchtlingszahlen nicht.
An der Brandmauer will Simon damit nicht rütteln - im Gegenteil, sagt er. "Geschichtsvergessene, ressentimentgeladen Lügen" wirft er der AfD vor, ihrer Spitzenkandidatin Christine Anderson mit ihrer Anti-EU-Polemik einen "Angriff aufs Hirn". Mehr Abschiebungen, vor allem jedoch weniger Einwanderung durch stärkeren Grenzschutz: Der CDU-Mann will nach eigenem Bekunden damit nicht nur das Sterben im Mittelmeer beenden, Schlepper stoppen. Er will die Demokratie vor der erstarkten Rechten retten.
Seine schlimmsten Befürchtungen fasst der Professor auf der Wahlkampfbühne in einen Merksatz, der auf kein Plakat passt: "Wenn es den demokratischen Parteien der liberalen Demokratie nicht schnell gelingt, die illegale Migration zu beenden, dann wird die illegale Migration die demokratischen Parteien der liberalen Demokratie beenden."
Ohne Äh ums Ganze
"Manchmal kommt der Wissenschaftler durch", räumt der 45-Jährige ein. Er hält im Nebenberuf noch immer Vorlesungen an der Uni in Marburg. Mag das Abstraktionsniveau auch bei seinen Auftritten im Hauptberuf hoch sein: Nicht nur bei Wahlkampf-Heimspielen wie dem vor den Frankfurter Parteikollegen ist es still, wenn er am Mikrofon steht.
Ohne Manuskript spricht Simon eine halbe Stunde lang druckreif. Kein Verhaspeln, kein Versprecher, kein einziges Äh. Kunstpausen vermitteln Nachdenklichkeit. Die Stimme vermittelt Wohlgefühl.
In diesem Sound bestreitet Simon seinen Kampf ums Große und Ganze. Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand will er mit einem geeinigten, marktwirtschaftlich orientierten Europa verteidigen. So sei es schon gewesen, als er vor 25 Jahren bei der Europa-Union der CDU einstieg. "Damals sah ich, dass das Friedensprojekt in den Grundfesten gefährdet ist."
Traum vom neuen EU-Vertrag
Geschliffener Vortrag auch auf Englisch, eine Habilitationsschrift über die Europäische Einheit und ein Talent zum Vernetzen: In Brüssel war das karrierefördernd. In der konservativ-christdemokratischen EVP-Fraktion, der CDU und CSU angehören, übernahm der Hesse Simon in der Mitte seiner ersten Legislaturperiode den wichtigen Posten des verfassungspolitischen Sprechers.
Dass endlich ein von vielen Pro-Europäern geforderter Verfassungskonvent zustande kommt und die EU mit geänderten Verträgen handlungsfähiger macht: Daran hängen offenkundig sein Herz und sein Verstand. Simon nennt es seinen "Traum". Der CDU-Politiker denkt vor allem an eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Vorschläge für eine politische Union mit einer vom Parlament gewählten und abwählbaren Regierung liegen vor. Er hat daran mitgearbeitet.
Inzwischen hört man, Simon werde sogar für den künftigen Chefposten der deutschen CDU/CSU-Delegation innerhalb der EVP gehandelt. Einer der Stellvertreter ist er schon. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen leistete als EVP-Spitzenkandidatin Simon bei einem Besuch in Frankfurt Wahlkampfhilfe.
Fremdeln mit der Heimatbasis
In der Hessen-CDU gehört Simon zwar dem Präsidium an. Eine maßgebliche Rolle spielt er hier aber nicht, was wohl keine der beiden Seiten bedauert. In Wiesbaden konnte man bei seiner ersten Kandidatur fürs Europaparlament hören, Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier habe ihn aus dem Hut gezaubert. Mit starkem Mentor und vermeintlich ohne Ochsentour stürmte Simon die Karriereleiter hinauf. Manchen, den er überholte, stört wohl nicht nur der fehlende Stallgeruch.
"Er hat mich gefördert und ich habe viel von ihm gelernt", sagt Simon über Bouffier. Dass ihm die Nähe zum einstigen Hessen-CDU-Übervater harte Basisarbeit ersparte, bestreitet er. Nicht nur die Terminkalender der eigenen Wahlkämpfe seien heftig. Als Wahlkampfmanager Bouffiers bei der CDU in Gießen habe er ja selbst auch jede Menge Plakate geklebt.
Allerdings konnte der neue starke Mann in der Hessen-CDU mit Simons Förderer nicht so gut: Ministerpräsident Boris Rhein hat nach seinem Hessen-Wahlerfolg nicht nur den grünen Koalitionspartner aussortiert, sondern auch einige Männer der alten Bouffier-Garde.
Vorbild Bouffier, Vorbild Rhein
Das ändert die Lage. Vor der Europawahl lobte Rhein den EU-Abgeordneten Simon immerhin: Der sei "ein versierter Europapolitiker" und wisse wie kein Zweiter, dass Hessens Interessen in der Welt gehört werden müssten.
Wäre man argwöhnisch, man könnte einen versteckten Aufruf an Simon heraushören. Dessen Horizont geht weit über die erwartete Lobbyarbeit für sein Bundesland hinaus - manchem zu weit. Aber Simon lobt zurück: Sein Verhältnis zu Rhein sei so gut wie das zu Bouffier. "Er ist ein Vorbild für eine Renaissance der Realpolitik." Wie Hessens Regierungschef bei der Landtagswahl führt auch er in der Klima- oder Energiepolitik seinen Wahlkampf gegen die Grünen.
Wiesbaden als Downgrade
Offiziell stand Simon als Nachrücker für das mit Bouffiers Abgang freigewordene Landtagsmandat bereit. Es muss ihm als Downgrade erschienen sein, jedenfalls lehnte er dankend ab. Wiesbaden kommt auch nicht vor, wenn der Jura-Professor begründet, warum ihm Politik als Hauptberuf gut gewählt scheint. Sie habe ihm einen "zusätzlichen Erkenntnisgewinn verschafft, den ich ohne Einblicke in die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments als Wissenschaftler allein nicht hätte haben können."
Ein Albtraum und ein Freispruch
Zum Erkenntnisgewinn beim rasanten Aufstieg trugen auch bittere Lehren bei. Etwa die, dass Europapolitiker meist wenig mediale Aufmerksamkeit erfahren. Einer seiner Büro-Mitarbeiter ist sogar bekannter als der Abgeordnete aus Buseck: Bundesweit macht gerade Johannes Volkmann aus Lahnau (Lahn-Dill) Furore. Denn er ist ein Enkel von Ex-CDU-Kanzler Helmut Kohl.
Aber Simon hat weit Schlimmeres erlebt, als sein Name doch einmal groß in die Schlagzeilen geriet. Ein Plagiatsvorwurf, der einen Nicht-Politiker womöglich nicht ereilt hätte, wurde zum Fast-Absturz. Die Uni Gießen nahm ihm den Doktortitel weg, ruderte nach dem entschiedenen Einspruch dreier Gutachter wieder zurück.
Von einem "Freispruch erster Klasse" spricht Simon. Aber es muss ein Albtraum gewesen sein. "Es gibt Ungerechtigkeiten in diesem Job“, sagt er mit hörbarer Bitterkeit.
Kurze Wahlparty
Für Sonntag sieht es gut aus: Simons Wiederwahl darf als gewiss gelten. Die CDU hatte beim jüngsten ARD-Deutschlandtrend zur Europawahl die Nase weit vorne. Umfragen sehen auch die EVP, der sie angehört, wieder als stärkste Fraktion. Und Spitzenkandidatin von der Leyen hofft auf eine zweite Amtszeit als Kommissionschefin.
Feiern könnte der CDU-Politiker im Frankfurter Römer, wo er den Wahlabend verbringt. Eine lange Party ist nicht drin. Um 8 Uhr am Montag muss der Jura-Professor Simon zu einer Vorlesung in Marburg ran. Danach reist der Politiker Simon nach Brüssel.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 03.06.2024, 19.30 Uhr
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