Warum junge Menschen die AfD gewählt und die Grünen abgestraft haben
Bei der Europawahl konnten erstmals 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben - ein Wunsch eher linker Parteien. Doch mehr junge Wähler als früher stimmten für rechts.
Wähler und Wählerinnen unter 25 haben bei der Europawahl in Deutschland im Vergleich zu 2019 vor allem die AfD und kleinere Parteien gewählt. Ihre Stimmen bestätigen das, was kürzlich die Trendstudie "Jugend in Deutschland" ergab: Junge Menschen sind unzufrieden mit ihrer Situation in Deutschland - und mit der Ampelregierung.
Und: Jüngere binden sich nicht so an eine bestimmte Partei, wie ältere Menschen das tun. Stattdessen wählten sie "sehr viel stärker situativ", sagt Ursula Birsl, Demokratieforscherin an der Philipps-Universität Marburg. Das bedeute aber gleichzeitig, dass man sie noch gut erreichen könne, so Birsl.
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Zwar liegen Zahlen zum Wahlverhalten der Angehörigen der einzelnen Altersgruppen und somit der unter 25-Jährigen für Hessen noch nicht vor. Das Statistische Landesamt teilte am Montag mit, dass es diese erst nach der Auswertung der repräsentativen Wahlstatistik gebe. Aber für Deutschland hat das Forschungsinstitut infratest dimap das Verhalten der Jungwähler schon ausgewertet.
AfD punktet bei Jungwählern deutschlandweit
Den Zahlen zufolge wählten 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen deutschlandweit die AfD. Das bedeutet auf Bundesebene ein Plus von 11 Prozentpunkten. Zulegen konnten in der Altersgruppe auch die Unionsparteien (plus 5 auf 17) und die SPD (plus 1 auf 9 Prozent). Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreichte aus dem Stand 6 Prozent. Die Kleinstparteien landeten mit einem Plus von 3 Prozent bei ingesamt 28 Prozent.
Dagegen brach die Zustimmung für die Grünen massiv ein: Sie fuhren bei den Jungwählern ein Minus von 23 Punkten ein und kommen nur noch auf 11 Prozent.
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Schaut man sich die Verteilung nach Geschlecht unabhängig vom Alter an, so haben 19 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen der AfD ihre Stimme gegeben. Im Vergleich zur Wahl 2019 hat sich der Wert bei den Männern um 6, bei den Frauen um 4 Prozentpunkte erhöht.
Dabei erfolgte die Wahlentscheidung für die AfD erstmals mehrheitlich aus Überzeugung (51 Prozent), wie infratest dimap herausfand. Nur noch 44 Prozent gaben an, das Kreuz bei der AfD aus Enttäuschung über die anderen Parteien gemacht zu haben.
Niedrigere Wahlbeteiligung bei jungen Frankfurtern
Immerhin für Frankfurt liegt schon eine Auswertung nach Altersgruppen vor. Hierbei fällt auf, dass die jungen Wählerinnen und Wähler in Hessens größter Stadt ganz anders wählten als in ganz Deutschland. Nach Angaben der Stadtverwaltung machten 15,9 Prozent der unter 25-Jährigen ihr Kreuz bei den Grünen. Auf Platz zwei folgte die kleine Europa-Partei Volt mit 13,9 Prozent, auf Rang drei die gemeinhin abgehängten Linken mit 13 Prozent.
Die Wahlbeteiligung bei den 16- bis 24-Jährigen lag in Frankfurt mit 51,4 Prozent allerdings niedriger als noch 2019 (56,8 Prozent) - und das, obwohl die Gesamtwahlbeteiligung nach Angaben der Stadt noch nie so hoch war. Daraus lässt sich vielleicht ein Stück Enttäuschung über die Arbeit der Parteien ablesen. Hessenweit lag die Wahlbeteiligung mit 63,1 Prozent im Vergleich zu 2019 um 4,7 Prozentpunkte höher als 2019. Zahlen für andere Städte in Hessen liegen derzeit nicht vor.
Große Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Stadt- und Landjugend hält die Marburger Demokratieforscherin Ursula Birsl zwar für möglich, doch noch für "reine Spekulation". Es habe sich allerdings bei vergangenen Wahlen gezeigt, dass die Grünen vor allem bei jungen Wählern in den Städten punkten konnten.
Fast jede dritte Stimme für Kleinstparteien
Neben der AfD profitierten bei der Wahl am Sonntag vor allem Kleinstparteien von Jungwählern. 28 Prozent gaben ihre Stimme Parteien wie Volt, die für ein starkes Europa eintritt. Birsl sieht für kleine Parteien einen klaren Vorteil.
Diese könnten ihre Inhalte besser vermitteln, da sie sich auf ein bestimmtes Thema fokussierten, so die Demokratieforscherin. Durch die fehlende Fünf-Prozent-Hürde bei der Europawahl in Deutschland könnten so zumindest ein oder zwei Abgeordnete ins Parlament einziehen und die Themen, die jungen Menschen wichtig seien, vertreten.
Unzufriedene junge Menschen
Doch warum haben junge Menschen verstärkt ihr Kreuz bei der AfD gemacht? Eine mögliche Antwort lieferte erst kürzlich die Trendstudie "Jugend in Deutschland". Die Autoren der Studie stellten fest, dass die Zufriedenheit junger Menschen derzeit auf einem absoluten Tiefpunkt sei.
Der Mitautor der Studie, Kilian Hampel, erklärt, dass dies vor allem die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse betreffe, aber auch die wirtschaftliche Lage und den sozialen Zusammenhalt. Das spiegele sich vor allem in den Präferenzen für Parteien wider. Menschen, deren Lebensstandard akut in Gefahr sei, wählten eher die AfD.
Die Europawahl möchte Hampel nicht als Protestwahl junger Menschen verstehen. Es sei eher ein Hilferuf, dass sie gehört werden möchten. "Sie wurden von der AfD gehört, und dafür haben sie sich gerade entschieden", sagt Hampel.
Dennoch gehen Hampel und seine Kollegen nicht davon aus, dass die derzeitige Verschiebung nach rechts auf Dauer so bleiben müsse. Die AfD habe jedoch zunächst auf komplexe Themen leichte Antworten gefunden und junge Menschen direkt angesprochen - vor allem bei Tiktok.
Tiktok-Sieg für die AfD
So schätzten es auch die Experten der Bildungsstätte Anne Frank am Montag ein. Tiktok trug demnach maßgeblich zum Ergebnis der Europawahl bei. Gerade die Zustimmung junger Wähler führen die Forscher auf die Präsenz der AfD bei Tiktok zurück.
Dabei seien die demokratischen Parteien auf der Plattform unterrepräsentiert. So entstehe bei jungen Menschen der Eindruck, dass sich vor allem die AfD ihrer Themen annehme.
Aus diesem Grund forderte die Bildungsstätte Anne Frank die demokratischen Parteien wenige Tage vor der Wahl auf, aktiver gegen die Übermacht der AfD bei Tiktok vorzugehen. Besonders Jugendliche fühlten sich laut Bildungsstätte von rechten und rechtsextremen Inhalten angesprochen.
Es werde ein Wir-gegen-die-Gefühl vermittelt und mit Inhalten an der Grenze zum Verbotenen gespielt, was gerade bei Jugendlichen hängen bleiben könne, erklärten die Experten der Bildungsstätte Anne Frank. Accounts der AfD oder aus dem Umfeld der Partei machten dabei regelmäßig mit.
"Enttäuschte Wählerschaft" bei Grünen
Verloren bei den Jungwählerinnen und -wählern haben vor allem die Grünen. Stand bei ihnen die Ökopartei 2019 noch hoch im Kurs, mussten sie bei der aktuellen Wahl deutschlandweit einen herben Zwei-Drittel-Verlust in dieser Altersklasse einstecken.
Und das, obwohl bundesweit 38 Prozent angaben, die Grünen kümmerten sich "am stärksten um Folgen der Politik für kommende Generationen".
Demokratieforscherin Birsl sieht einen Grund im schlechten Abschneiden der Partei in einer enttäuschten Wählerschaft. 2019 seien die Grünen von einer starken Klimaschutzbewegung getragen worden, in der Bundesregierung hätten sie die Hoffnungen jedoch enttäuscht. In der Ampel habe sich die Partei nicht wie erhofft durchsetzen können. Vor allem junge Wählerinnen und Wählern aus der akademisch gebildeten Mittelschicht hätten ihre Interessen von den Grünen als nicht mehr ausreichend wahrgenommen empfunden, führt Birsl aus.
Zudem spiele in Zeiten von Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt die Friedenspolitik eine Rolle bei der Wahlentscheidung - im Übrigen auch für die Wählerschaft der SPD. Viele der ehemaligen Grünen-Wähler und auch die der SPD hätten sich daraufhin entschieden, gar nicht zu wählen, so Birsl.
Rechtsruck in Teilen von Europa
Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland laut Birsl eine Sonderrolle ein. Einen Rechtsruck wie in Deutschland könne man nicht in allen europäischen Ländern verzeichnen, sagt die Demokratieforscherin. Es gebe beispielsweise autoritäre nationalistische Parteien in Ungarn und in den Niederlanden, die im Vergleich zu den nationalen Wahlen verloren hätten. Während in Italien, Frankreich und Österreich Rechtspopulisten stärkste Kraft wurden, feierten in Skandinavien linke und grüne Parteien Erfolge.
Birsl sagt, die AfD sei mittlerweile im deutschen Parteiensystem verfestigt. Dem hätten auch die Correctiv-Recherche um das Potsdamer Treffen zu "Remigration"-Plänen und die Verfahren um die beiden AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Peter Bystron nichts anhaben können.
In der Wahlentscheidung der Jungwähler sieht die Marburger Demokratieforscherin vor allem eines: einen Denkzettel für die Ampelregierung.
Sendung: YOU FM, 10.06.2024, 6 Uhr
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