Grünen-Spitzenkandidat Martin Häusling Letzte Runde für den grünen Dauerbrenner
Seit 2009 sitzt Martin Häusling für die Grünen im Europarlament und will dort auch noch die nächste Legislatur bleiben. Der Landwirt aus Nordhessen kämpft für die Interessen der Bauern und den Klimaschutz - aus seiner Sicht alles andere als ein Widerspruch.
Wenn es Landwirte zuletzt nach Brüssel zog, dann hatten sie zumeist eine ordentliche Portion im Gepäck. Bauernproteste sind keine Neuheit in den EU-Ländern. Erst im Februar legten Landwirte mit Traktoren und brennenden Barrikaden die EU-Hauptstadt lahm. Der Protest richtete sich gegen aus Sicht der Landwirte ausufernde Bürokratie, Flächenstilllegungen und mangelnden Schutz gegen die Konkurrenz aus dem Nicht-EU-Ausland.
Martin Häusling kennt die Klagen der Bauern. Er ist schließlich einer von ihnen. Ein Landwirt, der nach Brüssel gegangen ist, weil er mit der Agrarpolitik der EU nicht einverstanden war. Doch seine Mittel sind andere: Anfragen, Anträge, Ausschussarbeit.
Seit knapp 15 Jahren sitzt er für die Grünen im Europaparlament. Anfang Juni will er dort wiedereinziehen - was bei Listenplatz sechs eine reine Formsache sein sollte. Noch einmal vier Jahre - dann soll Schluss sein.
Kein Gegensatz von Klima- und Agrarpolitik
Die kommende Legislatur ist für Häusling aber weder Ehren- noch Strafrunde. "Ich habe schon nochmal Lust", sagt er, knapp zwei Wochen vor dem EU-weiten Urnengang. Schon in Kürze werde wieder über die Reform der "GAP" diskutiert - eine dieser EU-typischen Abkürzungen, die für "Gemeinsame Agrarpolitik" steht.
Häusling fürchtet, dass Standards für die Biolandwirtschaft oder Umweltauflagen, für die er sich seit Jahrzehnten einsetzt wieder aufgeweicht werden könnten: "Wir erleben da gerade einen Rollback. Ich habe aber die Hoffnung, dass wir das drehen können. Dem Bauern ist ja nicht geholfen, wenn man ihnen jetzt vermittelt, dass die Umwelt- und Klimaauflagen das größte Problem für sie seien."
Dass Häusling Klimaschutz und Agrarpolitik nicht als Gegensätze begreift, versteht sich angesichts seiner Biografie fast von selbst. Politisiert wurde er in den Siebzigern unter anderem durch den Protest gegen das damals geplante Atomkraftwerk Borken, das nur knapp 13 Kilometer von seinem Hof entfernt entstehen sollte.
1979 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Hessen. 1981 zog er in die Gemeindevertretung von Bad Zwesten ein. 2003 folgte das erste Mandat im Landtag, ehe es für ihn 2009 dahin ging, wo Agrarpolitik in Europa hauptsächlich gemacht wird - nach Brüssel. "Man darf nicht vergessen: Die Agrarpolitik ist das einzige Politikfeld, das voll vergemeinschaftet ist", betont er.
Handfeste Expertise gegen Vorurteile
Man könnte meinen, dass sich der Grünen-Kandidat aus Hessen geradezu als Feindbild für protestierende Bauern aufdrängt. Einer von diesen "Ökos", die ihnen aus ihrer Brüsseler Blase heraus mit Auflagen und Vorschriften vermeintlich das Leben schwer machen. Häusling aber macht bei seinen aktuellen Wahlkampfauftritten ganz andere Erfahrung. Weil er am Ende dann doch einer von ihnen ist.
Rund 100 Rinder zählt sein malerisch im Kellerwald bei Bad Zwesten (Schwalm-Eder) gelegener Betrieb, der inzwischen hauptsächlich von seinem Sohn geleitet wird. "Das baut ganz schnell Vorurteile ab, die manche Landwirte gegenüber den Grünen hegen, wenn sie merken, man weiß, wovon man redet."
Handfeste Expertise kann man dem Grünen-Kandidaten nicht absprechen. Der Hof befindet sich mittlerweile in dritter Generation in Familienbesitz. Seit 1988 wird er nach Bioland-Richtlinien bewirtschaftet. Häusling ist niemand, der mit Kritik an überbordender Bürokratie spart.
Beispiel Weideschuss: Wollen Bauern Rinder auf der eigenen Weide töten, um ihnen den Transport zum Schlachthof zu ersparen, muss ein Tierarzt anwesend sein. "Da sage ich: Ja, liebe Leute! Habt ihr schon mal bei den 200.000 Jägern einen Veterinär hingestellt, wenn sie ein Reh oder einen Hirsch schießen?"
Ein grüner Kritiker der Bürokratie
Oft allerdings richte sich die Wut gegen den falschen Adressaten. Häusling und seine Familie betreiben seit bald 25 Jahren eine eigene Käserei. Wie viele Landwirte in Nordhessen betreibt er einen kleine Hofladen, seine Frau verkauft den Käse auch auf dem diesjährigen Hessentag in Fritzlar.
Vielen kleinen Direktvermarktern werde das Leben durch übertriebene Kontrollen schwer gemacht, glaubt Häusling. "Und dann heißt es oft: Das seid ja ihr in Brüssel! In Wirklichkeit aber ist das Sache der Länder, manchmal sogar der Landkreise."
Diskussionen wiederholen sich
Das Kernproblem für die Landwirte europaweit bleibe aber ein ganz anderes - nämlich dass man immer schlechter von der Landwirtschaft leben könne. "Ich habe ja erst gestern gelesen, dass Bauern 100.000 Euro pro Jahr verdienen. Das war vielleicht in dem Ausnahmejahr nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs so. Da sind die Preise ja teilweise um 60 Prozent gestiegen."
Ein kurzer Höhenflug, dem eine ruppige Landung auf dem Boden der von Discountern beherrschten Realität folgte: "Bei den Milchpreisen sind wir inzwischen wieder auf dem Niveau der 90er-Jahre", sagt Häusling.
Milchpreise, Waldsterben, Kennzeichnungspflicht für Gentechnik. Einige Diskussionen hat Häusling in den letzten Jahrzehnten schon drei oder vier Mal führen müssen. Müde hat ihn das nicht gemacht. Zumindest für eine Runde reicht es noch.
Sendung: hr-fernsehen, 05.06.2024, 20.15 Uhr
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