Hessische Reaktionen auf EU-Wahl CDU fühlt sich als Trendsetter, Grüne senken Zeigefinger
Die Union vorne, der AfD-Höhenflug gestoppt, die Grünen halbiert: Nach der Europawahl reicht die Gefühlspalette der Reaktionen in Hessen von Selbstlob bis Katerstimmung.
Mit weitem Abstand obenauf, alleine so stark wie SPD und Grüne zusammen – die CDU kennt das Gefühl bereits von der Landtagswahl im Herbst. Knapp acht Monate später hat sie wieder Grund zum Jubeln.
"Die Union ist die letzte verbliebene Volkspartei in Deutschland" – so wertete Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein am Montag, dass bei der Europawahl bundesweit sogar alle Parteien der Bundesregierung zusammen auf weniger Stimmen als CDU und CSU kamen.
Damit hätten die Bürger "ein klares Signal" gegen die Ampelregierung gesetzt, sagte Rhein. Die CDU und die christlich-konservative EVP-Fraktion, der sie in Brüssel angehört, würden als stärkste Kraft an Stabilität und Sicherheit in Europa arbeiten.
Tendenziell wie im Bund
Das hessische Europawahlergebnis entspricht tendenziell dem von ganz Deutschland. Hier wie dort liegt die Union mit starken Zuwächsen gegenüber der vorherigen Europawahl mit 30,0 Prozent der Stimmen weit vorne - in Hessen ein Plus von 4,2 Prozentpunkten.
Einen merklichen Unterschied zum Bund gibt es: In Hessen liegt nicht die AfD auf Platz zwei, sondern die seit Januar mit der CDU regierende SPD. Mit 16,4 Prozent (-2,0) überbietet die Partei von Kanzler Olaf Scholz in Hessen aber nur leicht ihr Bundesergebnis.
CDU: Bestätigung für Realpolitik
Die Hessen-CDU, deren Landesvorsitzender Rhein ist, sieht die Politik des Ministerpräsidenten bestätigt. Generalsekretärin Anna-Maria Bischof sagte, den Zugewinn auf 30 Prozent (+4,2) verdanke die CDU auch der "Renaissance der Realpolitik in Hessen". Unter diesem Schlagworte hatte Rhein Anfang des Jahres die schwarz-grüne Koalition in Hessen beendet und ein Bündnis mit der SPD begonnen.
Die EVP pocht nun als stärkste Fraktion im EU-Parlament auf die Wiederwahl der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. SPD und Grüne kritisieren, EVP-Chef Manfred Weber (CSU) und von der Leyen hätten bislang keine eindeutige Absage an eine Unterstützung durch die rechte italienische Partei "Fratelli d'Italia" um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erteilt.
Hessens wiedergewählter CDU-Spitzenkandidat Sven Simon wies gegenüber dem hr diese Kritik zurück, ohne auf eine mögliche Zusammenarbeit mit Meloni einzugehen. Er sagte, es bleibe bei den Kriterien für mögliche Partner in Straßburg: Sie müssten für Europa, für den Rechtsstaat und für die Ukraine sein. Von der Leyens vorheriges Bündnis aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen habe zudem auch im neuen Parlament rechnerisch eine Mehrheit.
Grüne finden AfD-Zahlen besorgniserregend
Von "Katerstimmung" trotz seiner Wiederwahl ins EU-Parlament berichtete Martin Häusling, Spitzenkandidat der hessischen Grünen, gegenüber dem hr. Auch wenn die Umfragen Hinweise gaben: Mit einem so schlechten Ergebnis habe man nicht gerechnet. Besorgniserregend sei, dass die AfD "anscheinend völlig resistent gegen Skandale" sei.
In Hessen wie in ganz Deutschland halbierten die Grünen ihr Ergebnis gegenüber der Europawahl 2019 fast. 12,9 Prozent (-10,6) bedeuten im Bundesland lediglich Platz vier.
Klimaschutz soll Top-Thema bleiben
Klimaschutz werde trotzdem das zentrale Thema der kommenden Jahre bleiben, sagte Häusling. Die Grünen müssten mehr erklären, dass es nicht nur um Kosten, sondern um Chancen gehe. Gerade die sinkende Akzeptanz für seine Partei bei jungen Menschen zeigt laut Häusling, dass die Grünen mit "Zeigefinger hoch" und dem Appell "Wir müssen uns ändern" nicht weitermachen könnten.
Anderson hofft auf Versöhnung mit Le Pen
Die hessische AfD-Spitzenkandidatin Christine Anderson hofft darauf, mit ihren deutschen Parteikollegen in der neuen Legislaturperiode wieder in die Rechtsaußenfraktion Identität und Demokratie (ID) aufgenommen zu werden. Der SZ sagte sie nach der Europawahl, sie strebe eine erneute Zusammenarbeit an, "möglichst mit dem Rassemblement National".
Anderson leitet derzeit die Delegation in Straßburg. Nachdem Spitzenkandidat Maximilian Krah in einem Interview die Waffen-SS verharmlost hatte, war die AfD aus der ID ausgeschlossen worden. Maßgeblich betrieben hatte das der französische Rassemblement National um Marine Le Pen. Die neu gewählten AfD-Abgeordneten stimmten am Montag bei ihrer konstituierenden Sitzung dafür, Krah nicht aufzunehmen.
Auf das deutlich schwächere Abschneiden seiner Partei als bei der Landtagswahl im Herbst angesprochen, sagte AfD-Co-Landeschef Robert Lambrou: Es sei gegenüber der Europawahl, dass die Partei 13,6 Prozent (+3,7) erreicht habe. "Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass mit einem anderen Spitzenkandidaten mehr möglich gewesen wäre", räumte er ein.
SPD-Politiker Bullmann will mehr Herz
Das schlechteste SPD-Ergebnis bei allen bisherigen Europawahlen wollte ihr hessischer Spitzenkandidat Udo Bullmann nicht an Kanzler Olaf Scholz festmachen, auf den der Wahlkampf der SPD maßgeblich zugeschnitten war. Es habe sich gezeigt, dass die Menschen durch die Corona-Pandemie, Inflation und Kriege tief verunsichert seien.
"Man muss neue Sicherheiten bieten, eine klare Sprache sprechen und mit Herz und Leidenschaft dafür kämpfen, dass wir das in Europa richten", forderte Bullmann von seiner Partei. Das sei zu kurz gekommen. Deshalb hätten die "Hassprediger vom rechten Rand" ihr Geschäft betreiben können.
FDP enttäuscht und angespornt
"Die Enttäuschung ist da", räumte die hessische FDP-Spitzenkandidatin Isabel Schnitzler im Gespräch mit dem hr ein. Anders als ihre Partei, die in Hessen 6,3 Prozent erreichte und den Einzug ins Europaparlament schaffte, hat sie ihn knapp verpasst. Das Ergebnis zeige auch, "dass wir den Wähler nicht mit dem zufriedenstellen können, was wir in der Bundesregierung zurzeit gerade fabrizieren".
Als "Ansporn und Auftrag" und eine "stabile Grundlage für kommende Wahlen", bezeichnete die FDP-Landesvorsitzende und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger das Abschneiden der Liberalen.
Eroglu wird Chef der Freie-Wähler-Gruppe
Nicht allein über seine Wiederwahl ins Parlament freute sich Hessens Freie-Wähler-Vorsitzender und Spitzenkandidat Engin Eroglu. Die Freien Wähler konnten die Zahl der Mandate von zwei auf drei erhöhen. Dass er demnächst Chef der kleinen Delegation sein wird, bedeute "gigantisch mehr Verantwortung für ihn".
Bedauerlich sei, dass wegen der berechtigten Kritik an der Ampel-Bundesregierung kaum Platz für Europa-Themen im Wahlkampf gewesen sei, sagte Eroglu. Um die auch diesmal erstarkten rechten Ränder wieder zu schwächen, brauche es auch in Berlin eine Politik, die Probleme löse und nicht schaffe.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 10.06.2024, 19.30 Uhr
Redaktion: Wolfgang Türk