Entlassene Staatssekretärin fordert Wirtschaftsminister Mansoori soll Vorwurf öffentlich zurücknehmen
Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori hatte Staatssekretärin Lamia Messari-Becker wegen eines "nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens" entlassen. Nun fordert sie, dass er diese Behauptung öffentlich zurücknimmt. Denn offenbar gibt es keine offizielle Beschwerde darüber, dass Messari-Becker ihr Amt missbraucht habe.
Eine reale hessische Politikaffäre der 90er-Jahre diente Schriftsteller Martin Walser als Vorlage für seinen Roman "Finks Krieg": Ein Beamter in der hessischen Staatskanzlei, der im Buch den Namen Stefan Fink trägt, kämpft um seine angekratzte Ehre.
Man habe ihn versetzen müssen, so behauptete die fiktive Staatskanzlei damals öffentlich, weil sich Vertreter von Religionsgemeinschaften über ihn beschwert hätten. Wer sich da angeblich beschwert hatte, um was es im Detail gegangen sein sollte - all das blieb unklar. Fink fühlte sich verunglimpft - und hilflos gegenüber den übermächtigen Gegnern.
Bis vor kurzem hoch geachtete Professorin
All das dürfte der geschassten parteilosen Staatssekretärin Lamia Messari-Becker derzeit ungewollt vertraut vorkommen. Sie war bis vor kurzem hoch geachtete Professorin und Fachfrau für Gebäudetechnologie und nachhaltige Stadtentwicklung, gern gesehene Talkshow-Expertin, vielfach ausgezeichnete Preisträgerin.
Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) überredete sie, als Staatssekretärin in die Regierung zu wechseln. Stolz war er auf die Personalie. Sie sei ein großer Gewinn, schwärmte Mansoori: "Sie bringt wissenschaftliche Expertise, ambitionierte Ideen und eine gesunde Portion Pragmatismus mit."
Auch Messari-Becker freute sich, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in echte Politik umsetzen zu können: "Auch, weil ich als Wissenschaftlerin die Verantwortung spüre, die Phase des Wandels, in der wir uns befinden, so zu gestalten, dass ein zentrales Versprechen wieder gilt: Unsere Kinder sollen es besser haben als wir."
Entlassen per WhatsApp
Offenbar hatte sie keine Ahnung, worauf sie sich mit dem Wechsel in die Politik einließ. Nach knapp sechs Monaten wurde sie als Staatssekretärin entlassen. In einer WhatsApp-Nachricht an einem Sonntagabend teilte der Minister ihr das mit.
In einer Pressemitteilung einige Stunden später begründete er den Rauswurf damit, sie habe sich eines "nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens" schuldig gemacht, "das meinen Werten und Ansprüchen an meine engsten Mitarbeitenden widerspricht".
Welches Fehlverhalten?
Was für ein Fehlverhalten? Was für Werte? Näher ausgeführt wurde dieser Vorwurf öffentlich nicht. Aber Mansoori und sein Umfeld sorgten dafür, dass bald das Gerücht umging, sie habe an der Schule ihrer Tochter ihr Amt als Staatssekretärin missbraucht, um Druck in einem Notenstreit auszuüben. Messari-Becker widerspricht und sagt, sie habe sich nichts vorzuwerfen.
Was ihr im Detail vorgeworfen wird, ist nach wie vor unklar. Ihre Anwälte haben beim Kultusministerium nachgefragt, ob eine Beschwerde gegen sie vorliege. Wenn ein Schulleiter Grund hätte, sich über das Auftreten einer Staatssekretärin zu beschweren, wäre das der vorgeschriebene Dienstweg. Sie bekam bislang keine Antwort auf diese Frage.
Keine offizielle Beschwerde
Auch die Fraktion der Grünen im Landtag hat in einer eigens anberaumten Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses Minister Mansoori gefragt, ob im Kultusministerium etwas Belastendes gegen seine Ex-Staatssekretärin vorliege. Seine Antwort: "Ich bin nicht der Kultusminister. Fragen Sie den Kultusminister!"
Das haben die Grünen getan - und keine Antwort erhalten. Dem hr wurde auf mehrmaliges Nachfragen aus dem Kultusministerium mitgeteilt: "Wir äußern uns weder zu Personal-Angelegenheiten noch zu laufenden Verfahren eines anderen Ressorts und verweisen an das hessische Wirtschaftsministerium."
Dieses Ministeriums-Ping-Pong wirft die Frage auf, ob überhaupt etwas Belastbares gegen Messari-Becker vorliegt. Nach hr-Informationen gibt es keine offizielle Beschwerde eines Schulleiters oder Lehrers gegen sie.
Verdacht: andere Gründe
Damit liegt der Verdacht nahe, dass der Minister sie aus ganz anderen Gründen loswerden wollte: Die viel gelobte Fachfrau geriet im Ministerium schnell mit dem anderen Staatssekretär aneinander, Umut Sönmez (SPD), Studienfreund und enger Vertrauter von Mansoori.
Von Kompetenzgerangel und Einflussnahme wurde da schon Wochen vor der Entlassung gemunkelt. Der Eindruck entstand, die beiden SPD-Männer kämen mit der parteilosen Fachfrau nicht klar. Das allerdings war ein Eindruck, den Minister Mansoori auf keinen Fall erwecken wollte. Denn in der SPD kommt es nicht gut an, wenn Männer mit selbstbewussten Frauen nicht umgehen können.
Spekulationen ausgesetzt
Deswegen entließ er seine Staatssekretärin nicht - wie weithin üblich - einfach ohne Begründung, sondern brachte in einer Pressemitteilung das angebliche Fehlverhalten ins Spiel. Erst damit wurde es zur Affäre. Denn Messari-Becker sah sich plötzlich den wildesten Spekulationen über ihr angebliches Fehlverhalten ausgesetzt.
Belege dafür wurden bisher weder ihr noch der Öffentlichkeit vorgelegt, sodass sie darauf auch gar nicht antworten kann. Wie soll sie auf Vorwürfe reagieren, die gar nicht konkret benannt werden? Sie will diese Rufschädigung nicht auf sich sitzen lassen und lässt ihre Anwälte rechtliche Schritte ausloten. In einem Brief an Mansoori wurde er jetzt zu "Unterlassung und Widerruf" aufgefordert.
Macht er das nicht, bleibt ihr nur der Gang vor Gericht. In einem rechtlichen Verfahren müssten Beweise auf den Tisch gelegt werden.
Affäre auch politisch nicht ausgestanden
Politisch ist die Affäre Messari-Becker auch noch nicht ausgestanden. Die Grünen haben auf ihre Fragen noch keine befriedigenden Antworten erhalten. Und auch die FDP hält die Umstände ihrer Entlassung für "dubios", wie der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Stefan Naas, im hr-Sommerinterview sagte:
"Einen Grund zu nennen, nämlich 'persönliches Fehlverhalten', um dann aber den Grund nicht näher zu beleuchten, das halte ich für falsch, und das wirft ein ganz, ganz schlechtes Licht auf ihn."
Koalitionspartner CDU auf Distanz
Die Versuchung könnte für die Opposition im Landtag groß werden, in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Antworten auf ihre Fragen zu finden. Von der CDU, der Koalitionspartnerin der SPD in der Regierung, ist bislang zu der ganzen Angelegenheit kaum etwas zu vernehmen. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) bedauerte im RTL-Sommerinterview, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Minister und Staatssekretärin nicht mehr gegeben sei. "Und dann ist es ein leider normaler Vorgang, dass der Minister sich trennen möchte von seiner Staatssekretärin. Mehr ist im Augenblick nicht dazu zu sagen."
In der Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses gab es mit keiner einzigen Wortmeldung den Versuch, Mansoori zu unterstützen. Der Eindruck: Die Entlassung der Staatssekretärin ist sein Problem und soll auch seins bleiben.
Unfreiwillige Mitspielerin
Lamia Messari-Becker ist derweil unfreiwillige Mitspielerin in einem Spiel, das sie sicher nicht so spielen wollte, als sie aus dem Wissenschaftsbetrieb in die Politik wechselte. Aber sie will auch nicht einfach aufgeben, anders als Stefan Fink, der hessische Beamte in Walsers Roman, der die wahre Geschichte aus der hessischen Staatskanzlei als Vorlage hatte.
Als Fink nach jahrelangem Kampf merkte, dass er keine Chance zu gewinnen hatte, gab er auf und zog sich in ein Kloster zurück.