Will die schwarz-rote Landesregierung wirklich Lehrerstellen streichen?
Die Grünen werfen CDU und SPD den Bruch von Wahlversprechen vor. Statt Lehrerstellen zu schaffen, habe sie im Haushalt rund 200 gestrichen. Das Kultusministerium widerspricht. Wer hat Recht? Ein Faktencheck.
Ja, ist denn schon wieder Wahlkampf? Wer zu Beginn der Sommerferien durch Wiesbaden läuft, könnte sich das fragen. Dort hängen Plakate mit einem SPD-Logo und der Aufschrift "Zeit für -200 neue Lehrer".
Doch Vorsicht, die Optik täuscht: In Wahrheit sind die Plakate Teil einer Satire-Kampagne der Grünen Jugend. Sie unterstellt damit der schwarz-roten Landesregierung den Bruch von Wahlversprechen.
Die in Hessen seit Januar oppositionellen Grünen werfen CDU und SPD seit Wochen vor, in ihrem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr ausgerechnet im Bildungssektor gekürzt zu haben. Das unionsgeführte Kultusministerium bestreitet dies. Was also ist dran am angeblichen Minus bei den Lehrerstellen?
Warum das Thema so heiß diskutiert wird
Schulstreit ist in der Landespolitik eigentlich immer. Dass viele Lehrer fehlten und zu viel Unterricht ausfalle, beklagen aktuell Schulen, die Landesschülervertretung, die Bildungsgewerkschaft GEW und eben eine Oppositionspartei wie die Grünen.
Nach ihrer Meinung hat Schwarz-Rot aber einen Negativ-Umkehrtrend von historischer Bedeutung eingeleitet. Der Vorwurf hat auch einen machtpolitischen Hintergrund: Bis die SPD im Januar der kleinere Regierungspartner der Union wurde, hatten die Grünen ein Jahrzehnt lang mit der Union in Hessen regiert.
Was die Grünen genau kritisieren
"Erstmals seit zehn Jahren werden keine Stellen für Lehrkräfte neu geschaffen, sondern 200 Stellen gestrichen" - diese Kritik äußerten die Grünen schon Anfang Juni. Finanzminister Alexander Lorz (CDU) hatte gerade den Nachtragshaushalt 2024 eingebracht.
In einer Streitdebatte im Landtag hielt der Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner demonstrativ Wahlplakate von CDU und SPD vom vergangenen Herbst hoch. Darauf war zu lesen: "Die wichtigste Bank Hessens: die Schulbank" (CDU) und "Zeit für 12.500 neue Lehrer" (SPD).
Wagners Vorwurf: Schwarz-Rot habe bei Bildung, Soziales und Klimaschutz gekürzt, um "neue kostspielige Projekte" und ein Aufblähen des Regierungsapparats zu finanzieren.
Was CDU und SPD genau versprochen haben
Die Plakate, auf denen die SPD während des Landtagswahlkampfs von 12.500 neuen Lehrern für Hessen sprach, waren kein Fake der Grünen Jugend. Mit der Zahl bezogen sich die damals noch oppositionellen Sozialdemokraten auf Berechnungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), wie viele Lehrkräfte bis 2030 fehlen dürften. Im SPD-Wahlprogramm der SPD tauchte keine konkrete Zahl auf. Es hieß bloß: "Wir werden den Lehrkräftemangel beenden und Schluss machen mit Unterrichtsausfall."
Auf Zahlen legte sich auch die CDU im Wahlprogramm nicht fest. Bei ihr lautete es vage: "Wir wollen weiter kräftig in Lehrerstellen, Modernisierung, Digitalisierung und Entlastung der Schulen investieren."
Auch in ihrem Koalitionsvertrag brachten CDU und SPD keine konkreten Größen aufs Papier. Im Kapitel zur Bildung steht: "Wir wollen mehr Lehrerstellen an allen Schulen schaffen und orientieren uns dabei am konkreten Bedarf vor Ort." Um eine Reserve für Ausfälle zu haben, bekennen sie sich zu einer Unterrichtsversorgung von 105 Prozent.
Wie sich der Kultusminister verteidigt
Mit dem Vorwurf des Stellenabbaus konfrontiert, ließ Kultusminister Armin Schwarz (CDU) auf hr-Anfrage Anfang Juni antworten: "Die Aussage, dass Stellen im Bildungsbereich gekürzt würden, ist falsch." Gegenüber 2023 würden im laufenden Jahr "genau 592,5 neue Stellen für Lehrkräfte geschaffen".
Klingt nach einem eindeutigen Anstieg.
Was für die Schulen wirklich Sache ist
Im Frühjahr 2023 verabschiedete die damalige schwarz-grüne Landesregierung einen Doppelhaushalt mit der Finanzplanung für zwei Jahre. Er sah für das Jahr 2024 ein Plus von 696 Lehrerstellen vor.
Nach dem Regierungswechsel im Januar wollten CDU und SPD eigene Akzente setzen. Und sie mussten wie üblich auf neue Entwicklungen Rücksicht nehmen. In ihrem Anfang Juli verabschiedeten Nachtragsetat war für 2024 nur noch ein Plus von 592,5 Lehrerstellen notiert. Macht 103,5 Stellen weniger, als Schwarz-Grün für dieses Jahr vorgesehen hatten.
Wie das Minus zustande kommt
Wer genauer im Nachtragsetat nachschaut, entdeckt auch den von den Grünen ins Feld geführten Wert von "-200". 203,5 Lehrerstellen fielen "als Kompensation" für neue Stellen in ganz anderen Gebieten der Landesverwaltung tatsächlich weg. Es sind Lehrerstellen der Vergütungsgruppe A13, gehobener Dienst.
Ein Verlust ist das nach Darstellung des Kultusministeriums allerdings nicht. Auf hr-Anfrage schreibt das Kultusministerium: Das seien zweckgebundene Stellen gewesen, die jetzt nicht mehr benötigt würden. Man habe sie zuvor gebraucht, um den Ausfall von Lehrern und Sozialpädagogen auszugleichen, die Guthaben auf ihren Arbeitszeitkonten einlösten.
Im Gegenzug haben CDU und SPD im Nachtragshaushalt allerdings 100 neue Stellen geschaffen. Die werden allerdings nicht nach A13 bezahlt, sondern lediglich nach A12. Es handelt sich um Lehrerstellen für die zusätzliche Deutschstunde in der Jahrgangsstufe 2 - ein Wahlversprechen der CDU und Teil des sogenannten 11+1-Sofortprogramms der Landesregierung.
Wer am Ende Recht hat
Jeder ein bisschen. Die Grünen auf der einen Seite und das CDU-geführte Kultusministerium erzählen jeweils lediglich einen Teil der Wahrheit.
- Anders als von den Grünen behauptet, werden zusätzliche Stellen für Lehrkräfte geschaffen. 2024 sind es gegenüber dem Vorjahr genau 592,5 neue Stellen.
- Ein Teil der Grünen-Kritik stimmt aber: Schwarz-Rot hat für dieses Jahr weniger neue Lehrerstellen geplant, als Schwarz-Grün es wollte. Es sind rund 200 Stellen der Gehaltsstufe A13 weniger vorgesehen.
- Die im Gegenzug von CDU und SPD geschaffenen 100 Deutschlehrer-Stellen sind mit A12 schlechter bezahlt.
Was den Streit relativiert
Papier ist geduldig, auch wenn es die Seiten eines Nachtragsetats sind. Unabhängig von der Zahl an existierenden Stellen plagt Schulen, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler ein ganz anderes Problem: Viele Stellen können mangels Bewerbern gar nicht besetzt werden.