"Sehr befremdet" nach umstrittener Aussage Familie von Walter Lübcke kritisiert CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich Merz' Aussagen zum Mord an Kassels ehemaligem Regierungspräsidenten Walter Lübcke sorgt für Kritik. Lübckes Familie zeigte sich jetzt "sehr befremdet" über die Äußerungen des CDU-Chefs und mutmaßlich künftigen Kanzlers.
"Ich frage mal die Ganzen, die da draußen herumlaufen, Antifa und gegen Rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?" Das fragte Friedrich Merz (CDU) in München am vergangenen Wochenende, als Demonstranten vor der Tür beim Wahlkampfabschluss der CDU und CSU standen.
Eine Aussage, die sie so nicht stehen lassen wolle, meldete sich nun die Witwe des getöteten CDU-Politikers, Irmgard Braun-Lübcke, zu Wort. Entgegen der Darstellung von Merz habe es nach der Ermordung ihres Mannes "ein starkes gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten" gegeben, teilte die Familie am Donnerstag dem hr mit (Statement im Wortlaut). Zunächst hatte die HNA darüber berichtet.
Tausende Menschen nach Mord auf der Straße
Nach dem Mord an Lübcke im Juni 2019 waren tausende Bürgerinnen und Bürger in dessen Heimatort Wolfhagen, Kassel und in vielen weiteren Orten in Deutschland auf die Straße gegangen. Sie hätten sich damit "klar gegen Gewalt, Hass und Hetze sowie eindeutig für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit positioniert", so Braun-Lübcke.
Das habe der Familie sehr viel Kraft gegeben und gezeigt: "Wir sind nicht allein, du bist nicht allein, wir treten gemeinsam ein für den Bestand unserer Demokratie."
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Demokratie-Initiative: "Wo war Friedrich Merz?"
Bereits am Dienstag hatte die Kasseler Demokratie-Initiative "Offen für Vielfalt" Merz’ Äußerungen als "unangemessen und unangebracht" bezeichnet. Sie seien wenig wertschätzend für diejenigen, die sich seit Jahren "für das Gedenken an den CDU-Politiker Walter Lübcke und gegen Rechtsextremismus engagieren", heißt es weiter.
Dazu stellte die Initiative die Frage: "Wo war Friedrich Merz?" Man habe ihn in all den Jahren weder auf den Demos anlässlich der Ermordung Lübckes noch bei einer der Mahnwachen rund um den Gerichtsprozess in Frankfurt oder auf einer der jährlich stattfindenden Gedenkfeiern in Kassel gesehen.
2024 hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Gedenkfeier zum fünften Todestag von Lübcke gesprochen und zu mehr Geschlossenheit im Kampf gegen rechten Terror aufgerufen.
Walter Lübcke-Schule stützt Haltung der Familie
Die Schulgemeinde der Walter-Lübcke-Schule in Lübckes Heimatstadt Wolfhagen zeigte sich von den Aussagen des Kanzlerkandidaten sehr befremdet. Die Schulleitung betonte ausdrücklich, man stütze die Haltung der Familie Lübcke.
Die Schule habe sich bewusst nach dem ermordeten Regierungspräsidenten benannt, "um die freiheitlich-demokratischen Grundüberzeugungen des Politikers und vor allem des Menschen Walter Lübcke an künftige Generationen weiterzutragen".
Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne) postete am Donnerstag ein Foto auf Instagram, das ihn mit einer Walter Lübcke-Tasse zeigt. In der Beschreibung lud er Merz auf einen Kaffee in Kassel ein, "um über demokratische Werte zu sprechen".
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Auch SPD-Minister Timon Gremmels, der in Kassel aufgewachsen ist, meldete sich bei Instagram zu Wort und appellierte an Merz, sich bei den Nordhessen zu entschuldigen, "die zu tausenden nach der Ermordung von Walter Lübcke gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind". Merz müsse die Größe haben, sich zu korrigieren, so Gremmels, "vor allem wenn man Bundeskanzler werden will".
Peter Altmaier: Gespräch suchen
Der CDU-Politiker Peter Altmaier, der unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrere Ministerposten innehatte, nannte Lübcke in einem Beitrag auf X einen großartigen Menschen und Demokraten, der mit seinem Leben für seine Überzeugung bezahlt habe.
"Wenn seine Witwe ihr Befremden mit Blick auf letzte Woche äußert, sollten wir das Gespräch mit (ihr) suchen und für Klarstellung sorgen", schrieb er.
Lübcke-Witwe: "gemeinsam für Werte eintreten"
Gegenwind bekommt Merz jetzt auch von den Linken in Hessen. "Friedrich Merz hat keine Ahnung oder er lügt ganz bewusst", erklärte Jakob Migenda, Landesvorsitzender der Linken. Vertreter der CDU sollten die "Gefahr von rechts nicht immer weiter bagatellisieren". Das, sagte Migenda, gelte zuallererst für Merz.
Lübckes Witwe verband ihr Statement nach Merz’ Aussage mit einer Forderung an jeden einzelnen und die Politik: Vieles, was bisher selbstverständlich war, habe heute keine Gültigkeit mehr. Deshalb seien alle mehr denn je gefordert, "die Menschen zusammenzuführen und gemeinsam für Werte einzutreten, wie es mein Mann getan hat".
"Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen"
Walter Lübcke wurde am 2. Juni 2019 von dem Rechtsradikalen Stephan Ernst auf der Terrasse seines Hauses im Wolfhager Ortsteil Istha (Kassel) erschossen.
Lübcke galt als aufrechter Demokrat. Zivilcourage, Solidarität und Mitmenschlichkeit hätten sein Handeln geprägt, sagte Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) bei einer Gedenkfeier vier Jahre nach seinem Tod. Genau das führte wohl zu der Tat. Lübckes Mörder hatte im Strafprozess dessen Eintreten für Flüchtlinge als Motiv genannt.
Während der Vorstellung einer Flüchtlingsunterkunft in Lohfelden (Kassel) hatte Lübcke 2015 gesagt, dass es sich lohne, in Deutschland zu leben, da müsse man für Werte eintreten: "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Danach war Lübcke immer wieder rechtem Hass ausgesetzt, es folgten sogar Mordrohungen.
Ernst war bei der Veranstaltung im Jahr 2015 vor Ort. Er wurde im Januar 2021 wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der als Mittäter angeklagte Markus H. wurde vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen.
Das Statement von Irmgard Braun-Lübcke im Wortlaut
Die Aussage von Friedrich Merz am Samstag beim gemeinsamen Wahlkampfabschluss der CSU und CDU in München hat meine Familie und mich sehr befremdet und ich möchte sie so nicht stehen lassen.Zitat Ende
Vielmehr gab es damals, entgegen seiner Darstellung, nach der Ermordung meines Mannes ein starkes gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten. Tausende Bürgerinnen und Bürger - ob linke, liberale oder konservative Demokratinnen und Demokraten – sind in Wolfhagen, Kassel und in sehr vielen weiteren Orten in Deutschland auf die Straße gegangen. Gemeinsam haben sie sich klar gegen Gewalt, Hass und Hetze sowie eindeutig für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit positioniert. Dies gab uns als Familie sehr viel Kraft und zeigte, wir sind nicht allein, du bist nicht allein, wir treten gemeinsam ein für den Bestand unserer Demokratie.
Heute, in dieser schwierigen Zeit, in der so Vieles, was bisher selbstverständlich war, ins Wanken gerät bzw. keine Gültigkeit mehr hat, sind wir alle mehr denn je gefordert, insbesondere die Politik, die Menschen zusammenzuführen und gemeinsam für Werte einzutreten, wie es mein Mann getan hat. Zitat von Irmgard Braun-Lübcke