Nach Bund-Länder-Beratungen Ministerpräsident Rhein hätte sich von Flüchtlingsgipfel mehr gewünscht
Hessens Ministerpräsident Rhein hat nach dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern weitere Fortschritte gefordert. Die Ergebnisse seien vertretbar, aber er habe sich mehr gewünscht, sagte er in Richtung Bundesregierung.
Bund und Länder haben beim sogenannten Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt eine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel für die Finanzierung der Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden vertagt.
Entscheidung bis November
Wie aus der Vereinbarung hervorgeht, die die Ministerpräsidenten am Mittwochabend mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trafen, wird der Bund zunächst für das laufende Jahr die Flüchtlingspauschale an die Länder um eine Milliarde Euro erhöhen. Damit sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren.
Bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 15. Juni soll eine Arbeitsgruppe an einer neuen Struktur in der Flüchtlingsfinanzierung arbeiten und einen Zwischenbericht vorlegen. Bis November soll über diese Frage entschieden werden, dann unter hessischem Vorsitz.
500 Millionen Euro vom Land
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte am Mittwochabend zu der zusätzlichen Milliarde: "Der Grund für die Finanzierung ist klar: Der Bund allein hält den Schlüssel zur Steuerung und Begrenzung der Migration in der Hand. Solange er diesen Schlüssel nicht ausreichend nutzt, muss er sich an den Kosten der Länder und Kommunen beteiligen."
2022 hat Hessen seinem Regierungschef zufolge rund 800 Millionen Euro an die Kommunen überwiesen: "Davon waren 500 Millionen Euro vom Land und lediglich 300 Millionen Euro vom Bund."
"Als Anwälte der Kommunen mit Bundesregierung gerungen"
Der Ministerpräsident nannte die Ergebnisse des Gipfels im heute-journal des ZDF insgesamt vertretbar. "Aus meiner Sicht gibt es aber ein viel wichtigeres Ergebnis, nämlich, dass die Bundesregierung anerkennt, dass die Finanzierung dieser Situation eine dauerhafte Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist. Das ist schon mal gut, aber wir haben uns natürlich mehr gewünscht und deswegen müssen wir dringend weiter im Gespräch sein mit der Bundesregierung."
Rhein sagte, die Ministerpräsidenten der Länder hätten "als Anwälte der Kommunen mit der Bundesregierung gerungen". Er bedauerte, dass sich der Bund "leider" nicht bereit erklärt habe, "unmittelbar zu der von den Ländern geforderten Pro-Kopf-Berechnung zurückzukehren". Um die Kommunen dauerhaft zu entlasten, müsse wieder gelten: Je mehr Flüchtlinge kommen, desto mehr Geld muss der Bund künftig zahlen. Rhein sprach in diesem Zusammenhang von einem "atmenden System".
Rhein fordert Konsequenz bei "irregulärer Migration"
"Wir wollen eigentlich zurück zu unserem guten alten Vier-Säulen-System", betonte Rhein im heute journal. Alle 16 Bundesländer waren sich nach seinen Worten einig darin, an dem bis 2021 aus ihrer Sicht bewährten Modell festzuhalten. Dazu zähle die "vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete". Der Bund wolle das so nicht, sagte Rhein. Er forderte: "Mit dem dauernden Feilschen bei diesem wichtigen und sensiblen Thema muss endlich Schluss sein."
Rhein erklärte weiter: "Wir brauchen ein weites Herz für Hilfsbedürftige und gleichzeitig mehr Konsequenz gegenüber irregulärer Migration." Dazu müssten die Außengrenzen der Europäischen Union besser geschützt, über Asylanträge schon an den Grenzen entschieden und abgelehnte Asylbewerber konsequent zurückgeführt werden, forderte Rhein. "Es muss bei diesem Thema in den nächsten Monaten spürbare Fortschritte geben, nicht zuletzt auf europäischer Ebene."
Ausreisegewahrsam soll verlängert werden
Um Abschiebungen konsequenter durchzusetzen, verständigten sich Bund und Länder nach Angaben von Bundeskanzler Scholz darauf, die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams von derzeit 10 auf 28 Tage zu verlängern. Vereinbart wurden demnach auch erweiterte Zuständigkeiten der Bundespolizei und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justiz- und Ausländerbehörden.
Wenn Asylsuchende klagen, dauern die Verfahren in Deutschland im Schnitt 26 Monate, in Hessen sogar 33,9 Monate. Darauf angesprochen sagte Rhein im heute journal: "Da ist was im Argen." Er verwies darauf, dass im Doppelhaushalt 2023/2024 fast 500 neue Stellen für die Justiz geschaffen worden seien, "um genau solche Situationen besser in den Griff zu bekommen".
Meiste Flüchtlinge nicht mehr aus der Ukraine
In Hessen waren im vergangenen Jahr insgesamt 101.848 Flüchtlinge erfasst worden, darunter waren damals noch 81.237 Ukrainer und 20.611 Flüchtlinge aus anderen Staaten. Im gesamten Jahr 2022 stellten 5.765 afghanische, 3.256 syrische und 3.706 türkische Staatsbürger in Hessen einen Asylantrag.
Im laufenden Jahr wurden bis einschließlich 7. Mai insgesamt 9.540 Flüchtlinge in Hessen registriert. Davon kamen 1.845 aus der Ukraine. Insgesamt 7.695 Personen reisten aus anderen Ländern ein. Davon hatten 2.180 Personen die afghanische, 949 Personen die türkische und 718 Personen die syrische Staatsangehörigkeit. Rhein sagte, allein in den ersten vier Monaten des Jahres sei die Zahl der Asyl-Erstanträge um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen.
Kommunen enttäuscht über Beschlüsse
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte dazu, die Flüchtlinge kämen jetzt wieder mehrheitlich aus Ländern "mit geringen Aussichten auf ein dauerhaftes Bleiberecht". Gleichzeitig seien die Rückführoptionen aufgrund mangelnder Kooperation der Herkunftsländer schlecht bis unmöglich. Damit steige der Druck auf die Kommunen, weil sie immer mehr Migranten unterbringen müssten.
Die Kommunen äußerten sich entsprechend enttäuscht über die Bund-Länder-Beschlüsse in der Flüchtlingspolitik. Der Präsident des Hessischen Städtetags, Fuldas Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU), kritisierte, die Frage nach einer dauerhaften Finanzierung bleibe erneut offen.
Mit dem vorgesehenen Geld ließen sich die Investitions- und Betriebskosten, die den Städten und Gemeinden schon jetzt entstanden seien, nicht annähernd abfedern, so Wingenfeld. Einige "erhebliche Handlungsfelder" wie Gesundheit und Bildung seien bei dem Gipfel zudem überhaupt nicht angesprochen worden.
Der Präsident des Hessischen Landkreistags und Landrat des Lahn-Dill-Kreises, Wolfgang Schuster (SPD), sprach dagegen von einem "Schritt in die richtige Richtung", wenngleich insbesondere die finanziellen Zusagen nicht ausreichten. Sowohl Wingenfeld als auch Schuster forderten das Land auf, die vom Bund aktuell sowie zukünftig zur Verfügung gestellten Mittel vollständig an die Städte, Gemeinden und Landkreise weiterzuleiten.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.05.2023, 19.30 Uhr
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