Internet als "Radikalisierungsmaschine" Fünf Jahre nach Lübcke-Mord: Politiker warnen vor Extremismus

Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke jährt sich am Sonntag zum fünften Mal. Ein Rechtsextremist hatte ihn erschossen. Die Gefahr ist nach Ansicht der Landtagsfraktionen, der Bundesinnenministerin weiter präsent.

Beerdigung von Walter Lübcke. Ein Portrait von ihm steht neben Sarg, Kerzen und einem Polizisten.
Trauerfeier für Walter Lübcke in Kassel. (Archivfoto) Bild © picture-alliance/dpa
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Seine Tat gilt als der erste politisch motivierte Mord an einem bundesdeutschen Politiker durch einen Neonazi in der Bundesrepublik: Der Rechtsextremist Stephan Ernst erschoss in der Nacht auf den 2. Juni 2019 in Wolfhagen (Kassel) den damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

Er wurde von Ernst auf der Terrasse seines Wohnhauses im Stadtteil Istha mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe getötet. Der Täter verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Fünf Jahre nach der Tat haben am Freitag alle fünf Fraktionen des hessischen Landtags ihre Trauer bekundet und extremistische Gewalt verurteilt. Auch die hessische Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Hessens Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) schlossen sich an.

Faeser: "Müssen rechtsextremistische Szene entwaffnen"

So erinnerte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), selbst Hessin, an den neuen Aufruf der Familie Lübcke, gerade jetzt standhaft zu bleiben und mit klarer Haltung für die Demokratie einzutreten.

"Dazu gehört die harte Hand des Rechtsstaats, die Extremisten nicht gewähren lässt, sondern deutlich die Grenzen aufzeigt", betonte die SPD-Politikerin aus Schwalbach (Main-Taunus). "Wir müssen Radikalisierungen früh unterbinden, Extremisten im Blick behalten und die rechtsextremistische Szene entwaffnen."

Landtagspräsidentin appelliert: Für Demokratie einstehen

Die hessische Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) sagte, dass der Mord an Lübcke "auf besonders schreckliche Art und Weise" gezeigt habe, "was passiert, wenn aus Worten Taten werden".

"Jede und jeder Einzelne ist deshalb aufgerufen, öffentlich Haltung zu zeigen und für die grundlegenden Werte unserer Demokratie einzustehen", appellierte Wallmann.

CDU: Attentat als Mahnung an Demokraten

CDU-Fraktionschefin Ines Claus bezeichnete das Attentat als "eine Mahnung an uns alle, an alle Demokratinnen und Demokraten, sich auch in Zukunft unnachgiebig für unsere Werte einzusetzen und jede Form von Extremismus entschlossen zu bekämpfen". Lübcke habe hart für diese Demokratie gekämpft: "Wir werden sie in seinem Sinne weiter entschieden verteidigen."

SPD: Internet als "Radikalisierungsmaschine"

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Tobias Eckert mahnte: "Der Täter wurde gefasst und verurteilt, aber diejenigen, die ihn aufstachelten, treiben bis heute ihr Unwesen – im wirklichen Leben und im Internet, das nach wie vor als Radikalisierungsmaschine wirkt."

Die geistigen Brandstifter, die ihre Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit "hinter scheinbarer Harmlosigkeit verbergen, lassen nicht nach in ihrem Bemühen, unser Land und unsere Gesellschaft zu spalten".

Auch Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner erklärte: "Die gemeinsame Aufgabe von Politik und Gesellschaft bleibt es, Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus entschieden zu bekämpfen. Er ergänzte: "Denn aus Worten, aus geistiger Brandstiftung, können Taten werden: Das haben wir in Hessen leidvoll durch den Mord an Walter Lübcke erfahren."

AfD fordert "respektvolle Debattenkultur"

Die Bedeutung des Kampfes gegen Extremismus, Hass und Hetze betonte gleichfalls die FDP-Fraktionsvorsitzende Wiebke Knell. "Der brutale Mord am Kasseler Regierungspräsidenten hat ganz Hessen erschüttert und macht uns auch heute noch fassungslos", fügte sie hinzu. Das Attentat sei ein Angriff auf die Demokratie gewesen. 

AfD-Fraktionschef Robert Lambrou nannte es "einen schrecklichen Tiefpunkt von politisch motivierter Gewalt in Deutschland. Diese extremistische Gewalt ist ein Zivilisationsbruch. Sie ist durch nichts zu rechtfertigen und darf nie zum Mittel der Auseinandersetzung werden, egal ob sie politisch rechts, links oder religiös motiviert ist." Lambrou forderte mit Blick auf alle Parteien eine "respektvolle Debattenkultur" und die "Achtung vor der Meinung anderer".

Motiv: Lübckes liberale Haltung zur Flüchtlingspolitik

Lübckes Mörder hatte im Strafprozess dessen Eintreten für Flüchtlinge als Motiv für seine Tat genannt. Während einer Flüchtlings-Debatte in Lohfelden (Kassel) hatte Lübcke 2015 gesagt, dass es sich lohne, in Deutschland zu leben, da müsse man für Werte eintreten: "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

Die Familie des ermordeten Politikers appellierte kürzlich an politisch aktive Menschen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Sie schaue "mit Entsetzen auf die aktuellen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker - ob durch Drohungen im Netz oder körperliche Attacken", ließ sie am Sonntag über einen Sprecher mitteilen. Gleichzeitig forderte die Familie besseren Schutz für politisch Engagierte.

Schulungen zu Drohungen für Mitarbeiter des RP

Der Tod von Walter Lübcke hat im Regierungspräsidium Kassel (RP) nach Angaben des aktuellen Präsidenten Mark Weinmeister (CDU) bleibende Spuren hinterlassen. Mit Drohungen gingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorsichtiger um und leiteten sie an die Polizei weiter, sagte er.

Wie sie mit Drohungen umgehen können, erfahren ehren- und hauptamtliche Politiker nach seinen Worten bei Schulungen durch die Polizei: "Die Aufmerksamkeit ist deutlich erhöht." Eine Mitarbeiterin habe sich beispielsweise von einem verärgerten Anrufer anhören müssen, dass ja schon einmal ein Regierungspräsident gestorben sei. Die Polizei habe diesem Menschen einen Besuch abgestattet.

Zugenommen hätten Reaktionen aus der "Reichsbürger"-Szene von Menschen, die Entscheidungen des Regierungspräsidiums nicht anerkennen wollen.

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Sendung: hr-iNFO, 31.05.2024, 16 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, epd, dpa/lhe