Wie konnte Löhnberg zahlungsunfähig werden? Versäumnisse an allen Ecken und Enden

Über Jahre hat die Gemeinde Löhnberg keine Jahresabschlüsse vorgelegt und einen Schuldenberg angehäuft. Das will in der Aufsicht lange niemandem aufgefallen sein. Der erst kürzlich ins Amt nachgerückte stellvertretende Bürgermeister ist derweil zurückgetreten.

Zwei Händepaare, die mit Stiften in der Hand, auf Papiere auf dem Tisch zeigen. Dahinter Menschen in Business-Kleidung
Bild © Adobe Stock (Symbolbild)
  • Link kopiert!
Audiobeitrag
Bild © picture-alliance/dpa| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Die Geschichte der finanziellen Schieflage von Löhnberg ist ein Konglomerat aus Versäumnissen. So viel lässt sich festhalten im Fall der Gemeinde aus dem Kreis Limburg-Weilburg, die seit 2017 keine Jahresabschlüsse mehr bei der zuständigen Aufsichtsbehörde vorgelegt hat. Und der nun sogar die Zahlungsunfähigkeit droht. Ein "handfester Finanzskandal", wie die FDP in Limburg-Weilburg als Reaktion auf die Berichterstattung des hr schrieb.

Doch wer trägt die Verantwortung für die Schieflage? Die Gemeinde selbst? Der Landkreis, der womöglich in der Revision geschludert hat? Oder das Regierungspräsidium (RP) Gießen als oberste Kontrollbehörde? Je nachdem, an welcher Stelle man fragt, wird der Schwarze Peter im Kreis umhergereicht.

Fast so wie der Posten des stellvertretenden Bürgermeisters. Wie der hr erfuhr, ist der stellvertretende Bürgermeister Ulrich Reichard (SPD) in der Gemeindevorstandssitzung am Mittwochabend zurückgetreten. Er hatte das Amt stellvertretend übernommen, weil Bürgermeister Frank Schmidt (SPD) auf unbestimmte Zeit erkrankt war und sein eigentlicher Stellvertreter bereits zurückgetreten war. Nach hr-Informationen übernimmt Wolfgang Grün (CDU) nun den Vertreter-Posten.

Keine Abschlüsse, kein Problem?

Im Zentrum steht die Frage, wie eine Gemeinde, die seit 2013 unter dem Schutzschirm des Landes stand, über Jahre keine Abschlüsse vorlegen und weiter Schulden anhäufen konnte, ohne dass es jemandem auffiel. Nach Einschätzung des auf unbestimmte Zeit krankgeschriebenen Bürgermeisters Frank Schmidt (SPD) belaufen sich die Schulden der Gemeinde auf insgesamt 26,8 Millionen Euro.

Die finanzielle Kontrolle obliegt in letzter Instanz dem RP Gießen als Aufsichtsbehörde. Das Regierungspräsidium ist dafür zuständig, den Haushalt der Kommune Löhnberg zu genehmigen – oder eben nicht. Als Grundlage dafür dienen vorangegangene Jahresabschlüsse. Diese zu überprüfen, obliegt wiederum dem Kreis Limburg-Weilburg.

Weitere Informationen

Löhnberg und der Schutzschirm

Rein formell steht die Gemeine Löhnberg seit Ende 2019 nicht mehr unter dem Schutzschirm des Landes Hessen. Damit würde im Normalfall auch die Kontrollaufsicht des Regierungspräsidiums Gießen enden. Nach Angaben eines RP-Sprechers wurde jedoch eine Regelung beibehalten, wonach das RP so lange die Kontrolle über die Haushaltsgenehmigung Löhnbergs behält, bis die Gemeinde dreimal in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann. Dies sei bis heute nicht geschehen.

Ende der weiteren Informationen

Aufsicht: Keine Anhaltspunkte für Liquiditätsprobleme

Laut Hessischer Gemeindeordnung ist die Gemeindevertretung dazu verpflichtet, ihre Aufsichtsbehörde über die wesentlichen Ergebnisse der Jahresabschlüsse zu informieren. Das sei auch geschehen, teilte das RP auf Nachfrage mit. "Anhaltspunkte für Liquiditätsprobleme waren daraus für das Regierungspräsidium Gießen nicht ersichtlich."

Auf Nachfrage konkretisierte ein Sprecher des RP: "Der Gemeindevorstand unterrichtete über die vorläufige Ergebnis-, Finanz- und Vermögensrechnung sowie über wesentliche Abweichungen von der Haushaltsplanung." Eckpunkte also. Zeitgleich verzichtete die Gemeinde aber, vollständige Jahresabschlüsse zu erstellen und an den für deren Prüfung zuständigen Landkreis zu schicken.

Angebliche Abschlüsse wurden nicht kontrolliert

So erteilte das RP Gießen Genehmigungen für die Löhnberger Haushalte der vergangenen Jahre, ohne dass die Liquidität der Gemeinde schwarz auf weiß nachgewiesen wurde. An dieser Stelle braucht es einen kleinen Exkurs in die hessische Kommunaldatenbank.

Diese soll es Kommunen ermöglichen, Daten schnell und ressourchenschonend zu übermitteln. Das soll nicht nur Mitarbeiter entlasten, sondern auch "Effizienz in den Arbeitsabläufen" fördern, wie das Land angibt.

In diesem System, auf das neben dem RP auch die Gemeinde Löhnberg Zugriff hat, soll es möglich sein, per Vermerk anzugeben, dass ein Jahresabschluss zur Prüfung vorliegt. Nach hr-Recherchen haben Verantwortliche der Gemeinde genau das in der Vergangenheit getan – ohne jedoch wie erwähnt die Abschlüsse vorzulegen.

Dies hätte wohl auch dem RP bei einer genaueren Kontrolle auffallen können. Beim RP Gießen heißt es: Man sei davon ausgegangen, dass die Angaben der Gemeinde Löhnberg der Wahrheit entsprächen.

Welche Rolle hat der Kreis Limburg-Weilburg?

Und der Landkreis? Das Rechnungsprüfungsamt des Kreises arbeitet auf Auftrag, das heißt, die Gemeinde wiederum müsste sich aktiv um eine solche Revision beim Kreis bemühen.

"Dies ist im Hinblick auf Löhnberg seit 2016 nicht geschehen", teilt der Kreis auf Anfrage mit. Erst kurzfristig habe es nun einen solchen Auftrag für 2017 gegeben, dieser würde aktuell bearbeitet.

Kurz gesagt: Weil dem Kreis über Jahre keine prüffähigen Abschlüsse vorlagen, sah man dort keinen Anlass, dem RP als Kontrollinstanz eine finanzielle Schieflage in Löhnberg zu melden. Zwar habe man immer mal bei der Gemeinde um solche prüffähigen Abschlüsse gebeten, heißt es.

Doch dies sei versandet. In der Bringschuld sah sich der Kreis offenkundig nicht, eher als Hilfeleister. Im Kreis verweist man bei der Frage nach Verantwortlichkeiten auf das RP als oberste Instanz zurück.

Fehler im System

Hier offenbart sich ein Fehler im Prüfsystem. Denn so war es die Gemeinde, die ihrer Aufsicht versichern konnte, alles sei in Ordnung, ohne dass diese Angaben auf Hand und Fuß überprüft wurden.

Wollte die Gemeinde bewusst über die Lage hinwegtäuschen? Oder wurde aus einer Überforderung heraus unsauber gearbeitet, euphemistisch gesprochen. Auf entsprechende Nachfragen des hr hat sich dazu bis Mittwochnachmittag kein Gemeindevertreter geäußert.  

"Nicht hinnehmbare" finanzielle Zustände

Völlig neu ist die finanzielle Schieflage der Gemeinde übrigens nicht: Das RP Gießen hatte schon im Februar in einem Schreiben an den Bürgermeister darauf gedrängt, die "nicht hinnehmbaren" finanziellen Zustände in Löhnberg zu beseitigen.

Ans Licht gekommen waren diese, nachdem die Gemeinde wegen personeller Engpässe eine Amtshilfebitte an den Kreis gerichtet hatte. Es folgte bereits im Januar eine Haushaltsanalyse mit vernichtendem Urteil.

Gefordert wurden in den Schreiben, das dem hr vorliegt, nicht nur Maßnahmen zur Konsolidierung. Dem Rathauschef wurde auch aufgetragen, das Schreiben zeitnah im Wortlaut der Gemeindevertretung vorzulegen, damit alle davon Kenntnis haben. Vorgelesen wurde es erst vergangene Woche Donnerstag in der Gemeindevertretung.

Wie geht's weiter?

Nach Einschätzung von Bürgermeister Schmidt ist Löhnberg trotz des Minus von 26,8 Millionen Euro nicht zahlungsunfähig. In einem ersten Schritt haben der Kreis und das RP Gießen der Gemeinde einen Liquiditätskredit in Höhe von vier Millionen Euro zugesichert. Dafür müsse die Gemeinde festlegen, wo Geld eingespart werden kann. Außerdem muss Löhnberg die fehlenden Jahresabschlüsse abgeben.

Ob der Kredit ausreicht, um das Loch im Haushalt von Löhnberg auszugleichen, ist unklar. "Das ist ein erster Schritt", sagte der Beigeordnete Reichard, Die Aufstellung der fehlenden Jahresabschlüsse dürfte insgesamt ein bis zwei Jahre dauern, so die Einschätzung der Revision des Landkreises.

Weitere Informationen

Sendung: hr4, 24.05.2024, 12.30 Uhr

Ende der weiteren Informationen
Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars

Quelle: hessenschau.de