Gegenvorschlag von Enkelin und Freunden Geplanter Reich-Ranicki-Platz in Frankfurt stößt auf Kritik
Nach dem verstorbenen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und seiner Frau Teofila soll in Frankfurt ein Platz benannt werden. Doch der Vorschlag der Kommunalpolitik überzeugt Freunde und Verwandte des Paares überhaupt nicht.
Als Kritiker liebte Marcel Reich-Ranicki klare Worte, er war für deftige Verrisse bekannt. Was der 2013 verstorbene Literatur-Papst zu dem Platz gesagt hätte, der nun nach ihm und seiner Frau benannt werden soll, muss zwar offen bleiben. Aber dafür äußern sich Freunde und Verwandte der Reich-Ranickis. Und auch die sparen nicht mit Kritik.
Es geht um einen verbreiterten Bürgersteig im Stadtteil Dornbusch, eingerahmt von einer lärmenden Straße, einer Treppe zur U-Bahn und einer quietschbunten Dino-Skulptur. Das sei überhaupt kein Platz, bemängelt etwa die Schriftstellerin Eva Demski. Sie spricht von einem "Eckchen mit Mülltonnen und einem danebengegangenen Kinderkunstwerk, das rumbröselt".
Eva Demski war mit den Reich-Ranickis befreundet. Genau wie diese wohnt sie im sogenannten Dichterviertel, das so heißt, weil dort die Straßen nach berühmten Poeten benannt sind. Auch andere ehemalige Nachbarn sprechen sich gegen einen Reich-Ranicki-Platz am Dornbusch aus, der nur fünf Gehminuten vom Dichterviertel entfernt liegt.
Initiative wirbt für Platz vor Messe Frankfurt
Seit Wochen trommelt die Initiative Dichterviertel für einen ungleich prominenteren Platz: den vor dem Haupteingang der Messe Frankfurt. Dieser werde von einem großen Publikum frequentiert, was der Bedeutung der Reich-Ranickis eher gerecht werde als der Platz am Dornbusch. Außerdem sei Reich-Ranickis eigentliche Heimat die Literatur gewesen, da biete sich die Nähe zur Frankfurter Buchmesse an.
Die einzigen direkten Nachfahren der Reich-Ranickis sind deren Enkelin Carla Ranicki und ihre Kinder, die noch klein sind. Ranicki ist in Großbritannien aufgewachsen und lebt in Turin als Galeristin und Übersetzerin. Ihrem Wort kommt besonderes Gewicht zu, weil laut Regularien bei einer Platzbenennung möglichst nahe Angehörige der Namenspaten anzuhören sind.
Das sagt die Enkelin
Carla Ranicki äußerte sich nun in hr2-kultur erstmals öffentlich in der Debatte. Sie sagt, sie habe beide Plätze gesehen, und macht klar, dass auch sie den Platz vor der Messe favorisiert. Er sei zentral, und vor allem der Bezug zur Buchmesse passe zu ihren Großeltern - zu Opa Marcel sowieso, aber auch zu Oma Teofila, die als Grafikerin und Übersetzerin gewirkt habe, so Carla Ranicki.
Anders als ihr streitbarer Großvater tritt Carla Ranicki sanft und versöhnlich auf. Sie habe sich auch gefreut über die Idee, den Platz am Dornbusch nach dem berühmten Literaturkritiker zu benennen. Das sei ihr schon 2022 vorgeschlagen worden. Nun gebe es aber mit dem Platz an der Messe einen neuen Vorschlag, und den finde sie geeigneter.
Carla Ranicki fragt sich allerdings: Gibt es überhaupt noch eine Wahl?
Ortsvorsteher: Wahl ist gefallen, aber ...
Nein, die Entscheidung sei gefallen, sagt Friedrich Hesse, der Ortsvorsteher im Stadtteil Dornbusch. Der CDU-Politiker betont, dass der Ortsbeirat die Benennung des Platzes am Dornbusch einstimmig beschlossen habe. Der Beschluss wurde vor einem Monat im Amtsblatt verkündet.
Allerdings fehlt zur tatsächlichen Platzbenennung noch einiges: Die Straßenschilder sind noch nicht angebracht. Dafür fehlten noch die Voraussetzungen, sagt Hesse. Erst müsse die Stadt den Platz in einen vorzeigbaren Zustand bringen, zum Beispiel die von Eva Demski monierten Mülltonnen versetzen, ebenso wie Fahrradständer und Litfaßsäulen.
Auch Hesse räumt ein: "Der Platz ist nicht hübsch." Wenn das Ziel sei, die Reich-Ranickis möglichst öffentlichkeitswirksam zu ehren, sei der Platz an der Messe sicher geeigneter. Dem Ortsbeirat gehe es aber darum, an die beiden als Menschen aus dem Stadtteil zu erinnern, als gute Nachbarn. Denn Marcel und Teofila seien oft am Dornbusch unterwegs gewesen, etwa ins Café oder zur Apotheke.
Kulturdezernat bevorzugt Platz vor Messe
Hesses Fahrplan ist: In den kommenden Monaten wird der Platz am Dornbusch verschönert, dann bringt die Stadt die Schilder an, und im Frühsommer kommenden Jahres wird der "Reich-Ranicki-Platz" feierlich eingeweiht. Den Benennungsbeschluss zurückzunehmen, sei kein Thema, der Ortsbeirat stehe dazu.
Nun aber meldet auch die Frankfurter Stadtregierung leise Bedenken an. Eine Sprecherin des Kulturdezernats sagt auf hr-Anfrage, die Benennung sei zwar Sache der Ortsbeiräte, das Kulturdezernat könne nur beraten. Aber der Rat ist klar: "Es erscheint plausibel, mit Reich-Ranicki eine Nähe zur Buchmesse herzustellen."
Möglicherweise ist also doch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Zumal Ortsvorsteher Hesse genau wie Carla Ranicki sehr versöhnlich auftritt: "Wir wollen auch keine Konfrontation mit der anderen Seite", sagt er. Wenn jemandem ein guter Kompromiss einfalle, werde man sich das anhören.