Gewerkschaft schlägt Alarm Prognose: In Hessen fehlen bald 10.000 ausgebildete Lehrer
Immer mehr Lehrer unterrichten an einer Schule, ohne dafür offiziell ausgebildet zu sein. Zu diesem Schluss kommt die Bildungsgewerkschaft GEW und prognostiziert die Zahl in zwei Jahren auf 10.000 Menschen.
Dass es in Hessen und anderswo in der Bundesrepublik an Lehrerinnen und Lehrern mangelt, ist nicht neu. Immer wieder beklagen Gewerkschaften entweder die fehlenden Beamten im Schulbetrieb oder die Bedingungen, unter denen sie arbeiten.
Besonders ist allerdings, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nun auch Alarm schlägt, weil nicht nur insgesamt zu wenige, sondern auch zu wenig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen unterrichten würden. Der Anteil nicht ausgebildeter Lehrkräfte steige immer weiter.
Schon in zwei Jahren könnten nach Berechnungen der Gewerkschaft GEW mehr als 10.000 ausgebildete Lehrkräfte in Hessen fehlen. Selbst im Jahr 2035 - hier rechne man mit sinkenden Schülerzahlen - werde der Bedarf das Angebot an ausgebildeten Lehrkräften noch um 9.000 übersteigen, so die Prognose.
Lücke könnte mit Personen "ohne adäquate Ausbildung" gefüllt werden
Der Prognose der GEW liegen Daten vom Statistischen Bundesamt und der Kultusministerkonferenz zugrunde. Daraus geht unter anderem auch hervor, dass im Schuljahr 2023/24 fast 8.800 Lehrkräfte ohne Lehramt in Hessen unterrichtet haben - gut 13 Prozent aller Lehrkräfte.
Bis zum Jahr 2030 könne sich die Zahl auf mehr als 10.000 Personen (rund 15 Prozent) erhöhen. Die GEW geht davon aus, dass die Lücke auch "durch Personen gefüllt wird, die keine adäquate Ausbildung für den Schuldienst erworben haben", sagt deren Vorsitzender Thilo Hartmann.
Quereinsteiger sind Teil des Schulalltags
Wer Lehrer oder Lehrerin werden will, absolviert in der Regel ein Studium zweier Schulfächer auf Lehramt, danach das Referendariat - also die Lehrerausbildung - und man ist mit zwei Staatsexamen in der Tasche gerüstet, um an einer Schule festangestellt oder verbeamtet zu unterrichten. So der Optimalfall.
Doch dieser reguläre Weg erwies sich in der Vergangenheit als einer, der aufkommende Löcher im Personalapparat der Schulen nicht ausreichend schnell stopfen konnte. Viele angehende Lehrerinnen und Lehrer brechen ihr Studium ab - bundesweit rund 41 Prozent, mehr als in vielen anderen Studiengängen. Neben den ohnehin zu wenigen Lehrern werden laut GEW perspektivisch viele in den Ruhestand gehen und zu wenige nachkommen.
Deshalb wurde zuletzt Quereinsteigern die Tür geöffnet: So können ab Mai auch Uni-Absolventinnen und -absolventen ohne lehramtsbezogenes Studium gleichgestellt in den Schuldienst eintreten, wenn sie an einer bis zu dreieinhalbjährigen Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen.
"Diese eröffnet einen statusgleichen Zugang zur Laufbahn von Lehrerinnen und Lehrern in Hessen", heißt es vom Kultusministerium in Wiesbaden. Ein studiertes Schulfach - statt bisher zwei - muss der Quereinsteiger mitbringen und kann zu einem "Ein-Fach-Lehrer" werden.
Ministerium: Zahlen falsch interpretiert
Auf hr-Nachfrage bestätigt das Ministerium, dass der allgemeine Fachkräftemangel für alle Branchen eine Herausforderung sei, auch für die Schulen. 2014 erwarteten Forscher noch 300.000 Menschen zu viel in lehrenden Berufen.
"Damals gab es den Vorwurf, weshalb so viele Lehrkräfte ausgebildet würden, die doch alle nur arbeitslos würden. Es kam komplett anders", erklärte eine Sprecherin. Die Zahlen der Gewerkschaft würden ein falsches Bild zeichnen.
Auch andere Lehrkräfte unter denjenigen ohne Lehramtsprüfung
Unter die fast 8.800 Lehrer ohne Ausbildung fielen unter anderem unterrichtende Erzieherinnen und Erzieher sowie Sozialpädagogen, aber auch Lehrkräfte ohne Lehramtsprüfung an Privatschulen.
Hinzu kämen jene befristet Beschäftigten, die Lehrkräfte in Mutterschutz, Elternzeit oder bei langfristigen Erkrankungen vertreten würden. In seiner Antwort an den hr schlüsselte das Kultusministerium die Zahlen allerdings nicht konkret auf.
Es sei nie möglich, so das Ministerium, Vertretungen nur mit Lehrkräften mit Lehramt zu organisieren. Sonst müssten für jede Fächerkombination und jede Region ausgebildete Lehrkräfte wie auf einer Ersatzbank vorhalten werden, die im Vertretungsfall eingesetzt werden können, so das Ministerium. Trete dieser Fall nicht ein, wären sie arbeitslos.
GEW kritisiert "Nebelkerze" des Ministeriums
Der Gewerkschaft zufolge kommt das einem Kleinreden der Zahl gleich; einer Nebelkerze - sprichwörtlicher Sand in die Augen der Menschen. Jeder Achte, der unterrichte, habe das nicht mit einer abschließenden Prüfung zur Befähigung gelernt. In Grundschulen läge der Anteil noch höher, heißt es hier. Es gehe nicht um Vertretungslehrer, sondern um solche, die im regulären Schulbetrieb eingesetzt werden.
"Mein Eindruck ist, dass das Kultusministerium daran interessiert ist, dieses Problem nicht wahrnehmen zu müssen", so GEW-Vorsitzender Hartmann. So könne man es auch nicht lösen.
Ohne Quereinsteiger aufgeschmissen
Dabei leisteten die Quereinsteiger ohne Befähigung ihm zufolge in ihrem Rahmen einen tollen und wichtigen Job. "Ohne sie wäre die Schulen aufgeschmissen", sagte er dem hr. Doch in der Regel würden sie, um nicht dauerhaft festangestellt werden zu müssen, nach einer Zeit nicht mehr weiterbeschäftigt. Hier brauche es eine konsequente Weiterbildung der Menschen, um sie richtig in den Schuldienst zu integrieren.
Das Kultusministerium verwies in seiner Antwort auf die eigenen erheblichen Anstrengungen, um im Rahmen des Quereinstiegs fachlich geeignete Personen zu Lehrkräften weiterzubilden.
"So konnten seit dem Jahr 2021 zum Beispiel rund 320 Personen für einen Quereinstieg in den Schuldienst, über 400 Personen für einen Quereinstieg ins Referendariat und mehr als 50 ausländische Lehrkräfte gewonnen werden", teilte die Ministeriumssprecherin mit.
Man beschreite in Hessen einen pragmatischen Weg, durch verschiedene Maßnahmen die Schulen bestmöglich personell zu versorgen. Trotz schwieriger Finanzlage steige das Bildungsbudget in diesem Jahr, mehr als 2.100 Stellen würden zusätzlich geschaffen. "Wir agieren und werben unter jungen Menschen in Oberstufen für den Lehrkräfteberuf", so das Versprechen.
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