Oberbürgermeisterwahl in Wiesbaden Grünen-Kandidatin Gesine Bonnet: Gegen die "Veränderungsangst"

In der Wiesbadener Stadtpolitik ist Gesine Bonnet schon seit einigen Jahren aktiv. Jetzt will die Grünen-Politikerin Oberbürgermeisterin werden. Sie setzt auf ihr Alleinstellungsmerkmal als einzige weibliche Kandidatin - und auf Optimismus in Krisenzeiten.

Gesine Bonnet
Gesine Bonnet Bild © hessenschau.de

Weniger als eine Woche vor der Oberbürgermeisterwahl in Wiesbaden finden sich nur wenige Lücken in Gesine Bonnets Kalender. Kaum Zeit zum Durchschnaufen, sagt sie. Die Grünen-Kandidatin lädt deshalb zum Gespräch zu sich nach Hause ein, an ihren eigenen Küchentisch in Wiesbaden-Mitte. Wahlkampf im Robert-Habeck-Stil könnte man meinen, wobei der bei der abgelaufenen Bundestagswahl nicht gerade mit Erfolg gekrönt war.

Eigentlich habe sie sich in Sachen Wahlkampf etwas von Heidi Reichinnek abgucken wollen, gesteht Bonnet. Die Linken-Politikerin habe erkannt, wie wichtig die Plattform Tiktok sei, um junge Menschen zu erreichen. Bonnet sagt, sich selbst auf der Plattform zu präsentieren, habe sie Überwindung gekostet. Aber dann hätten ihre jugendlichen Söhne gesagt: "Das ist okay, kannst du so machen."

So zeigt sich die 54-Jährige auf Tiktok mal mit Straßenumfragen zum gastronomischen Angebot Wiesbadens, mal wirbt sie damit, die erste Frau in der Reihe der bislang ausschließlich männlichen Wiesbadener Oberbürgermeister werden zu können. Am kommenden Sonntag haben die Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt die Wahl.

Sie sieht sich als "Mutmacherin" und "Brückenbauerin"

Währenddessen vermitteln die Wahlplakate in der Stadt dann doch wieder den Habeck-Stil: Was beim Kanzlerkandidaten ihrer Partei mit dem Schlagwort "Zuversicht" betitelt wurde, lautet bei ihr "Mutmacherin" oder "Brückenbauerin". Es geht ihr darum, Optimismus zu transportieren - das macht sie auch im Gespräch immer wieder deutlich.

"Die Stadt ist gerade extrem gefordert, sich zu verändern", sagt Bonnet. "Eingespielte Prozesse funktionieren oft nicht mehr." Herausforderungen sehe sie unter anderem im Strukturwandel, in der Digitalisierung und in der Energiewende. In dieser Zeit der Veränderung sei es ihr wichtig, die Bevölkerung mitzunehmen, Vertrauen aufzubauen. Und eben auch: "Optimismus reinzubringen."

Seit 18 Jahren lebt Bonnet in Wiesbaden, seit 2021 ist sie Stadtverordnete. Ein Jahr später wurde sie Fraktionschefin der Grünen im Wiesbadener Rathaus, wo ihre Partei aktuell mit SPD, Linken und Volt in einem Viererbündnis kooperiert.

Als Oberbürgermeisterin könne sie weniger aktiv an Beschlüssen mitwirken als noch in ihrer bisherigen Funktion, sagt Bonnet. Doch in dem Amt könne sie dafür sorgen, zwischen Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung zu vermitteln, "die Fäden zusammenhalten" und sich gegen die "Veränderungsangst" zu stellen, die sie bei vielen Menschen beobachte.

Wohnraummangel "kreativ" begegnen

So wolle sie als Oberbürgermeisterin dafür sorgen, dass es beim Fernwärmeausbau vorangehe, dass die Verwaltung "zukunftsfit" und digital werde, und dass mehr bezahlbare Wohnungen entstehen. Beim Thema Wohnraum gelte es, kreativer zu werden, betont sie. Einer ihrer Vorschläge sei es deshalb, Parkplätze oder Supermärkte für mehr Wohnraum zu überbauen.

"Ältere Menschen haben die größte Wohnfläche und Familien die Kleinere - und das passt nicht zusammen", sagt Bonnet. Deshalb wolle sie Anreize dafür schaffen, dass Menschen ihre Wohnungen leichter tauschen könnten.

Insgesamt will sie in vielen Bereichen auf positive Anreize und Dialog setzen. Immer wieder betont sie, wie wichtig es sei, dass die Gesellschaft sich nicht "auseinanderdividieren" lasse.

Tatsächlich polarisieren aber auch viele Vorhaben, die ihre Fraktion gemeinsam mit den anderen Parteien im Rathaus-Bündnis in den vergangenen Jahren umgesetzt hat - etwa bei der Verkehrswende. Die eingeführten Tempo-30- und Tempo-40-Zonen gelten bei vielen Wiesbadenerinnen und Wiesbadenern als Aufregerthema und stoßen auch unter weiteren Anwärtern auf das OB-Amt auf radikale Ablehnung.

Bonnet glaubt weiter an Akzeptanz der Verkehrswende

"Natürlich haben wir ein Problem", sagt Bonnet. Das Problem sehe sie jedoch darin, dass die Zahl der Autos immer weiter wachse, die Stadt dafür aber nicht ausgelegt sei. Auch für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, sei es wichtig zu verstehen, "dass sie nur dann gut durchkommen, wenn wir möglichst vielen Menschen eine attraktive Alternative zum Auto anbieten", sagt Bonnet.

Deshalb müsse der ÖPNV verbessert werden, es brauche mehr Radwege, aber bessere Bedingungen für den Fußverkehr. "Dann können diejenigen besser durchkommen, die nicht dazu in der Lage sind, weil sie zum Beispiel im Schichtdienst arbeiten oder weil sie bestimmte Dinge transportieren müssen."

... und Verhältnismäßigkeit beim Thema Sicherheit

Ähnlich wie beim Verkehr liegen auch beim Thema Sicherheit die Forderungen vieler OB-Kandidaten weit entfernt von dem, wofür Bonnet steht. So fordern einige ihrer Mitbewerber einen Ausbau der Videoüberwachung oder eine Ausweitung von Waffenverbotszonen in der Stadt.

"Ich bin heilfroh, dass wir unseren Fastnachtszug hier gut über die Bühne gebracht haben", sagt Bonnet. Dafür habe die Stadt etwas getan, beispielsweise durch Zufahrtssperren - und das halte sie für richtig.

Dennoch sagt sie auch: "Wenn man mal die Kriminalstatistik anguckt, ist diese Stadt gar nicht unsicherer geworden." Tatsächlich erklärte das hessische Innenministerium Wiesbaden im vergangenen Jahr zur sichersten kreisfreien Großstadt Hessens.

Das Problem sieht die Grünen-Kandidatin darin, "dass das Sicherheitsgefühl der Menschen in einem ganz diffusen Sinne gestört ist". Dagegen dürfe man aus ihrer Sicht nicht mit unverhältnismäßigen Freiheitseinschränkungen vorgehen, sondern müsse dafür sorgen, den Menschen ihre Ängste zu nehmen. Wenn diese sich beispielsweise gegen Geflüchtete richteten, dann sei es gefragt, Vorurteile abzubauen, sagt die 54-Jährige.

Nach der Bundestagswahl: "Jetzt erst recht"

Und da ist sie wieder bei ihrem Thema: Auf Dialog setzen, die Stadt zusammenhalten, mit Optimismus überzeugen - es zieht sich durch von Themen wie Sicherheit über Wohnen und Verkehr bis hin zum Klimaschutz, für den sie sich in Wiesbaden weiter einsetzen will. Aber kommt diese Haltung in krisengeplagten Zeiten bei Wählerinnen und Wählern noch an?

"Ja, es sind Riesenherausforderungen", sagt Bonnet, aber für sie sei klar: "Wir müssen nach vorne gehen." Was niedergeschrieben wie eine schwache Floskel klingt, kauft man ihr im Gespräch ab. Den Optimismus, über den sie spricht, strahlt sie aus: Sie lächelt viel, wirkt gleichzeitig entschlossen und bestimmt.

Dass ihre Partei auf Bundesebene - wo mit dem Schlagwort Zuversicht geworben wurde - nur zwei Wochen vor der OB-Wahl in Wiesbaden mehr als drei Prozentpunkte verlor, sieht sie nicht als Motivations-Dämpfer. Bonnet macht daraus ein: "Jetzt erst recht."

Alleinstellungsmerkmal: einzige weibliche Kandidatin

Anders als bei der Bundestagswahl komme es bei der OB-Wahl weniger auf die Parteien und stärker auf die Personen an, betont sie. Einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern sieht die freiberufliche Redakteurin und Moderatorin darin, dass sie gleichzeitig Erfahrungen aus der Wirtschaft und aus der Stadtpolitik mitbringe.

Ihr wohl offensichtlichstes Alleinstellungsmerkmal ist der Fakt, dass sie unter zehn Kandidierenden die einzige Frau ist. Als Vorteil will Bonnet das nicht bezeichnen: Es zeige im Gegenteil, wie sehr Politik noch immer ein Männergeschäft sei. "Auch für mich ist es nicht so leicht, das mit Kindern als alleinerziehende Mutter auf die Reihe zu kriegen", sagt sie.

Dennoch könne sie auch aus ihrer Perspektive als Mutter, die durch das Engagement im Elternbeirat und Förderverein der Schule ihrer Kinder politisch aktiv wurde, wichtige Erfahrungen in das Amt einbringen. Dass sie die einzige Frau in der Runde ist, will Gesine Bonnet bei dieser Wahl für sich zu nutzen - nicht nur auf Tiktok.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de