hr-Sommerinterview Grünen-Fraktionschef Wagner: "Wollen wieder auf 20 Prozent plus x kommen"
Die Grünen sind seit Monaten im Stimmungstief. Im hr-Sommerinterview plädiert der hessische Fraktionschef Mathias Wagner trotzdem für eine Kanzlerkandidatur seiner Partei. Und er hält schwarz-grüne Koalitionen für kein Auslaufmodell.
Der Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, Mathias Wagner, strebt für seine Partei bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr ein Ende der derzeitigen Krise an. "Unser Anspruch bleibt: Wir wollen wieder 20 Prozent plus x holen", sagte er im hr-Sommerinterview.
"Aktuelle Stimmungen können sich schnell ändern", meinte Wagner zu den seit Monaten schlechten Wahlergebnissen und Umfragewerten. Im jüngsten hr-hessentrend Ende April waren die Grünen auf 15 Prozent gekommen, im aktuellen ARD-DeutschlandTrend von Anfang August auf 12 Prozent.
Trotzdem unterstützt der Landtagsfraktionschef Pläne der Grünen, mit einem eigenen Kanzlerkandidaten anzutreten. Er sei sehr dafür, damit vor allem ein "eigenständiges Politikangebot" zu unterstreichen. Dafür gebe es zwischen SPD und CDU noch viel Platz. Zwischen den Zeilen sprach sich Wagner für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Kanzlerkandidaten aus. “Er könnte es auf jeden Fall“, sagte er.
Unterstützung für CDU-Forderungen nach Frankfurter Mord
In der Asyl- und Migrationspolitik plädierte der hessische Grünen-Politiker für einen strikteren Kurs als die Bundespartei. Die Zahl der illegalen Einwanderung müsse verringert werden.
Skeptisch zeigte er sich aber gegenüber Plänen der schwarz-roten Landesregierung, Asylbewerber ohne Bleibeperspektive in Erstaufnahmeeinrichtungen zu lassen und nicht auf die Kommunen zu verteilen. Ein Konzept dafür gebe es auch noch nicht. "Wir reden hier über Menschen", gab Wagner außerdem zu bedenken. Das gehe bei anderen Parteien in dieser Frage zu sehr unter.
Uneingeschränkt stellte sich der Fraktionschef hinter eine Äußerung von Hessens CDU-Innenminister Roman Poseck nach den tödlichen Schüssen im Frankfurter Hauptbahnhof. Die Forderung nach einem strengeren Waffenrecht, mehr Kontrollbefugnissen für die Polizei und einer konsequenten Anwendung des Ausländerrechts bezeichnete der Grüne als "eindeutig richtig". In diesem Bereich müsste die Partei besser werden und einige Grüne sollten "ihre Position vielleicht ein bisschen ändern."
Das sagte Wagner im hr-Sommerinterview außerdem über ...
- das Ende von Schwarz-Grün in Hessen und mögliche Neuauflagen: Der Trennungsschmerz nach zehn Jahren mit der CDU sei längst überwunden. "Wir sind endgültig in der Opposition angekommen." Gut fände Wagner ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl 2025 in Berlin. Hessen habe gezeigt: Das Modell mit der Union als Bewahrerin und den Grünen als Erneuerern sei erfolgreich.
- die Arbeit von Schwarz-Rot in Hessen: Die neue Koalition verwalte ideenlos den Status quo. Statt ernste Probleme anzupacken, auch beim Klimaschutz, führe die Landesregierung "unselige Debatten über das Gendern" oder leiste sich personelle Eskapaden wie bei der umstrittenen Entlassung der parteilosen Wirtschaftsstaatsekretärin Lamia Messari-Becker.
- den Dauerstreit der Ampel-Bundesregierung: "Er hat das Offensichtliche angesprochen“, sagte der Fraktionschef zum Befund des Frankfurter Grünen-Bundesvorsitzenden Omid Nouripour beim ARD-Sommerinterview, in Berlin amtiere eine "Übergangsregierung". Die Hauptschuld gab auch Wagner vor allem der FDP, die Regierung und Opposition gleichzeitig sein wolle. Eine erneute Koalition mit der FDP sei nicht erstrebenswert. Einen vorzeitigen Ausstieg aus der Ampel-Regierung lehnte Wagner aber ab.
- eigene Fehler der Grünen: Die habe es vor allem in Berlin gegeben. Gerade das Heizungsgesetz sei "alles andere als der Weisheit letzter Schluss" gewesen. Nun wolle die Partei sich das Vertrauen der Bürger wieder verdienen. Dass die Grünen als "Verbotspartei" so viel Wut abbekommen, hält er aber für ungerecht. Die Ampel habe wichtige Entscheidungen getroffen und unter Federführung von Wirtschaftsministers Habeck die Energiekrise gut bewältigt.
- Ökologisches Profil und Klimakleber: Im Kampf gegen den Klimawandel gibt es laut Wagner "keine Alternative zum Optimismus". Es sei aber wichtig, die Menschen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz nicht zu verlieren. Strafbare Blockadeaktionen von Klimaklebern nutzten da niemanden. Ganz in die Öko-Nische würden sich die Grünen angesichts ihrer derzeitigen Krise nicht zurückziehen, auch wenn dies manch anderer Partei vielleicht recht wäre.
- die Cannabis-Legalisierung und eigene Erfahrungen: Selbst schon mal gekifft? "Damit kann ich nicht dienen“, antwortete der Grünen-Politiker. Die umstrittene Teil-Legalisierung des Cannabiskonsums seit April verteidigte er. Das sei ein rationaler Umgang mit einer Droge, die für Erwachsene nicht gefährlicher sei als etwa Alkohol. In anderen Ländern habe sich das bewährt. Entscheidend sei der Jugendschutz.
Wagner ist seit gut zehn Jahren Chef der grünen Landtagsfraktion. Bei der Landtagswahl im Oktober 2023 war die Partei infolge starker Verluste mit 14,8 Prozent nur noch vierstärkste Kraft geworden. Nach einem Jahrzehnt als Juniorpartner der Union wurden die Grünen Oppositionsfraktion, weil CDU-Ministerpräsident Boris Rhein ein Bündnis mit der SPD einging.
Das Interview führten Ute Wellstein und Timo Kurth.
Ende der weiteren Informationen