hr-Sommerinterview Grünen-Spitzenkandidat Al-Wazir: Wer sich ärgert, muss keine Rechtsradikalen wählen
Aus dem Ärger um das Heizungsgesetz sollte die Bundesregierung laut Hessens Wirtschaftsminister Al-Wazir Lehren ziehen. Er sei aber keine Rechtfertigung, AfD zu wählen. Sich selbst rechnet der Grünen-Spitzenkandidat noch immer gute Chancen für die Landtagswahl aus.
Die Ampelregierung im Bund hat nach Ansicht von Hessens grünem Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir eine Mitverantwortung für das derzeitige Umfragehoch der AfD in der Bundespolitik. Im hr-Sommerinterview nahm der Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl am 8. Oktober aber auch die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht.
Sie könnten zwar angesichts der "Gesamtperformance" von SPD, Grünen und FDP und ihrem internen Streit ärgerlich sein. Aber: "Wenn man sich über ein Heizungsgesetz ärgert, dann muss man keine Rechtsradikalen wählen", sagte Al-Wazir. "Diese Verantwortung hat jeder Bürger, jede Bürgerin in der Demokratie." Es gebe zudem auch demokratische Oppositionsparteien auf Bundesebene.
"Menschen nicht überfordern"
Der Klimawandel sowie die drohende und vom grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verhinderte Energieknappheit machen laut Al-Wazir klar: Nicht mit Nostalgie, sondern nur mit Veränderungen schaffe man Sicherheit für die Zukunft.
Allerdings räumte der Grünen-Politiker ein, dass die ursprünglichen Heizungsziele der Bundesregierung "zu ambitioniert“ gewesen seien. Man dürfe die Menschen nicht überfordern, sagte der Minister und betonte: "Die Leute wissen, dass ich mit Augenmaß und Schritt für Schritt vorgehe."
Ehrgeiz, Fleischkonsum und Kitaplätze
Al-Wazir tritt bei der Landtagswahl wie Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit dem Ziel an, die nächste Regierung zu führen. Es ist das erste Mal, dass die Grünen diesen Anspruch erheben.
In der seit 2014 bestehenden schwarz-grünen Landesregierung ist der 52-Jährige Vize-Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen.
Das sagte Al-Wazir im hr-Sommerinterview außerdem über:
- das Erscheinungsbild der Ampel-Bundesregierung: Die Regierung in Berlin habe insgesamt "mehr gegen- als miteinander gearbeitet". Er hoffe sehr, dass sich das jetzt ändere. Die Menschen wollten, dass Politiker sich nicht mit sich, sondern mit der Lösung von Problemen befassten.
- seinen Regierungschef-Ehrgeiz und das Umfragetief: "Der Wahlkampf beginnt ja jetzt erst", setzt Al-Wazir auf Zeit. Traditionell schnitten Hessens Grüne bei Wahlen auch besser ab als im Bund. Und bei den Umfragewerten "sind wir schon wieder auf dem Weg heraus aus dem Tal".
- Fleischkonsum und das Image der Verbotspartei: Man müsse den Mut zu Entscheidungen haben, ohne die Menschen zu verlieren. Inzwischen verkaufe ein bekannter Wursthersteller überwiegend vegetarische Produkte. Das zeige, dass viele überlegten, "ob wir auf Kosten künftiger Generationen weiterleben können".
- Kritik am Tempo beim Windkraft-Ausbau: So schlecht ist die Bilanz laut Al-Wazir in Hessen nicht. In dem so waldreichen Bundesland sei der Windkraftausbau schwieriger und mit mehr Widerständen verbunden als etwa an der Küste. Bei der Ausweisung der nötigen Flächen liege Hessen aber bundesweit vorne. Nun werde auch der Ausbau an Tempo gewinnen, weil Genehmigungsverfahren gestrafft sowie Personal in Behörden und Justiz aufgestockt worden seien.
- Bürokratie und Infrastruktur: Insgesamt müsse Deutschland schneller werden. Dazu müsse man sich in erster Linie auf die wichtigsten Projekte konzentrieren. Aber auch Genehmigungsverfahren, etwa zur Umweltverträglichkeit, ließen sich beschleunigen. "Man muss zumindest auf Doppelprüfungen verzichten", sagte Al-Wazir dazu. Bei der Windkraft sei das gerade gesetzlich umgesetzt worden.
- fehlende Sozialwohnungen: In Hessen steige seit zwei Jahren die Zahl der Sozialwohnungen wieder. Die meisten Bundesländer seien nicht so weit. Weil zusätzlich Anstrengungen nötig seien, hätten sich die Grünen auf 60.000 neue Wohnungen in Ballungsräumen und Uni-Städten sowie 10.000 neue Wohnungen mit 50 Jahren Sozialbindung nach der Wahl festgelegt.
- das Kita-Versprechen der Grünen: Trotz der seit zehn Jahren bestehenden Kitaplatz-Garantie fehlen 37.000 Plätze in Hessen. "Eigentlich ist das eine kommunale Aufgabe", betonte Al-Wazir. Weil das Thema so wichtig sei, habe das Land Verantwortung übernommen, müsse die Bemühungen aber verstärken. Gemeinsam mit den Kommunen soll das Land nach Willen der Grünen in der nächsten Wahlperiode 20.000 neue Plätze schaffen und das Fachpersonal dafür gewinnen.
Sendung: hr-fernsehen, hr-Sommerinterview, 12.08.2023, 17.15 Uhr
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