Nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts Hessen wird Arbeit von Häftlingen besser bezahlen müssen

Gut zwei Euro die Stunde, mehr kann ein Häftling mit Arbeit hinter Gittern nicht verdienen. Das ist dem Bundesverfassungsgericht zu wenig. Auch wenn andere Bundesländer verklagt wurden, weiß Hessens Justizminister Poseck: Er muss reagieren.

Tischlerei in einer JVA (Archiv)
Tischlerei in einer JVA Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Urteil zu Mini-Löhnen von Gefangenen

hs 20.06.2023
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Betten für Flüchtlingsunterkünfte, Kletternetze für Spielplätze, Stühle für Polizeiwachen und sogar Gitterstäbe für Justizvollzugsanstalten: Die Produktpalette der Werkstätten in hessischen Gefängnissen ist groß.

Die Nachfrage auch: Denn es lockt bei ordentlicher Qualität ein geringer Preis. Schließlich erhalten Gefangene maximal 18,33 Euro - pro Arbeitstag.

Das dürfte sich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Mini-Löhnen für Häftlinge vom Dienstag ändern. Landesjustizminister Roman Poseck (CDU) hat in einer ersten Reaktion angekündigt, die Praxis der Bezahlung in den Gefängnissen des Bundeslandes zu überprüfen. "Die Notwendigkeit von Veränderungen ist gut denkbar", sagte der Minister.

Hessen (noch) nicht beklagt

Es waren zwar die Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern, deren Vergütungsysteme die Karlsruher Richter nach Klagen von Häftlingen als verfassungswidrig bewerteten. Stundenlöhne von maximal 2,30 Euro, die laut Urteil nicht mit dem Gebot zur Resozialisierung vereinbar sind, werden aber in Hessen und auch anderswo gezahlt.

Ein Sprecher der Gefangenengewerkschaft betonte daher, das Urteil betreffe auch die anderen Bundesländer. Der Deutsche Anwaltverein, der sich schon länger für bessere Löhne für Häftlinge einsetzt, forderte die Einsetzung einer Expertenkommission. Sie solle die Löhne festlegen.

Minister will keinen Schnellschuss

Hessens Justizminister Poseck will das Gespräch mit seinen Amtskollegen suchen. Man werde mit Blick auf die Übergangsfrist "sorgfältig prüfen und keinen Schnellschuss machen", kündigte er an. Weil es der Resozialisierung diene, wolle man umfassende Arbeitsmöglichkeiten anbieten. "Weiterhin kommt es darauf an, die Häftlinge verfassungskonform zu vergüten."

Akuter Zeitdruck besteht nicht. Den unmittelbar betroffenen Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern bleibt Zeit bis zum Sommer 2025. So lange darf die bisherige Regelung gelten.

Roman Poseck (CDU), Justizminister von Hessen
Roman Poseck (CDU), Justizminister von Hessen Bild © picture-alliance/dpa

4.120 Menschen hinter Gittern

Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber dazu, die Resozialisierung der Gefangenen zu fördern. Arbeiten im Strafvollzug soll dabei helfen, auch nach der Haftentlassung einen Job zu finden. Häftlinge arbeiten in gefängniseigenen Betrieben oder für externe Firmen auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt.

In Hessen und den meisten anderen Bundesländern sind Gefangene zur Arbeit andererseits auch verpflichtet. Ausgenommen von der Pflicht sind Untersuchungshäftlinge und Sicherungsverwahrte. Bei jungen Menschen steht die Ausbildung im Vordergrund.

Von den derzeit rund 4.120 Häftlingen in Hessen arbeiten nach Angaben des Justizministeriums mehr als die Hälfte. 52 Prozent betrug der Anteil der beschäftigten Insassen im Jahr 2022. Die Quote sei normalerweise höher: In Folge der Corona-Pandemie war die Produktion in Gefängnissen eingeschränkt worden.

Mindestlohn zählt nicht

Gezahlt wird auch in hessischen Haftanstalten ein Lohn in Höhe von neun Prozent des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung. Laut Gericht entspricht das einem Stundenlohn zwischen 1,37 und 2,30 Euro. Der Mindestlohn gilt im Gefängnis nicht.

Wie sollen Häftlinge bei einer solchen Bezahlung den mit ihren Taten angerichteten Schaden wiedergutmachen? Wie sollen sie den Wert von Arbeit erkennen und die Chancen auf Resozialisierung erhöhen? Hinsichtlich solcher Fragen ist die bisherige Praxis nach Meinung der Bundesverfassungsgerichts widersprüchlich.

Haftkosten dürfen angerechnet werden

Bei der nun anstehenden Neubemessung des Lohns müssten aber auch die "besonderen Umstände im Justizvollzug" berücksichtigt werden, kündigte Justizminister Poseck an. Dazu zählten vor allem "die geringere Produktivität und die hohen Gesamtkosten, zum Beispiel im Rahmen der Bewachung".

Den gut 18 Euro, den ein normaler Häftling pro Tag maximal verdienen kann, stehen in Hessen rund 180 Euro an täglichen Kosten pro Häftlinge gegenüber. Knapp 300 Millionen Euro kommen so pro Jahr zusammen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dazu, dass den Häftlingen vom Lohn sehr wohl Geld für diese Haftkosten abgezogen werden kann. Auch die in der Regel geringere Produktivität von Strafgefangenen dürfen die Länder in eine Neuregelung einbeziehen.

Dem Gefangenen soll aber genug übrig bleiben, um einen "greifbaren Vorteil von der Arbeit" zu haben. Neben Geld könnten auch eine Verkürzung der Haftzeit oder andere Erleichterungen eine solche Anerkennung sein.

Linke: hohes Armutsrisiko

Zu denen, die das Karlsruher Urteil begrüßten, zählte neben Gefangengewerkschaft, dem Deutschen Gewerkschaftbund und dem Deutschen Anwaltverein auch die Landtagsfraktion der hessischen Linkspartei. Zur bisherigen Bezahlung sagte die Abgeordnete Saadet Sönmez: "Das ist ein Hohn". Da die Rentenversicherung nicht einbezogen werde, sei zudem Altersarmut programmiert.

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Hinzu komme, dass Gefangene oft hohe Schulden und Unterhaltsverpflichtungen hätten. Und ihre Kosten seien zum Teil deutlich erhöht. Ein zehnminütiges Telefonat in der JVA Schwalmstadt koste sie beispielsweise knapp zwei Euro.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 20.06.2023 19:30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Wolfgang Türk, Heike Borufka, Sebastian Jakob