ADFC drängt auf mehr Tempo Hessen plant 35 neue Radwege
Hessen will das Tempo beim Radwegebau entlang von Bundes- und Landesstraßen erhöhen. Der Radfahrer-Verband ADFC lobt zwar eine neue Dringlichkeitsliste von Verkehrsminister Al-Wazir. Das Land müsse aber "noch mehrere Schippen drauflegen".
Ob man hierzulande eine Autobahn plant oder einen Radweg: Vom Aufwand her ist der Unterschied nach Angaben von Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir nicht besonders groß. "Wir müssen hier schneller werden", sagte der Grünen-Politiker, als er am Donnerstag in Wiesbaden seine neuen Radweg-Vorhaben vorstellte.
Eine aktualisierte Dringlichkeitsliste soll im Rahmen der Möglichkeiten Bewegung in die Sache bringen. 35 Radwege an Landes- und Bundesstraßen wurden jetzt neu aufgenommen. Diese Wege betrachtet die Landesregierung für die beiden kommenden Jahre 2024 und 2025 als besonders wichtig.
Es handelt sich um Abschnitte mit einer Länge von insgesamt 116 Kilometern: von einem knapp 23 Kilometer langen Korridor an der B553 zwischen Lahn und Eder bis zum gerade einmal 200 Meter langen Abschnitt an der Landesstraße L 3010 in Büdingen (Wetterau).
Von 20 auf 245
Die Liste hat die Straßenverkehrsbehörde Hessen Mobil erarbeitet. Sie enthielt bisher bereits 210 Radwegeprojekte, an denen bereits geplant oder gebaut wird. Mit den neuen Projekten sind es also nun 245 dringliche Maßnahmen. An insgesamt 550 neuen Radweg-Kilometern werde damit aktuell gearbeitet.
Bei seiner Amtsübernahme im Jahr 2014 habe Hessen Mobil gerade einmal 20 Radwege geplant, betonte Al-Wazir. Die Ausgaben hätten sich seitdem ebenfalls deutlich erhöht: von 1,7 Millionen Euro jährlich auf 17 Millionen im Jahr 2024.
"Diese Steigerung ist absolut notwendig", erklärte Al-Wazir. Ein besser ausgebautes Radnetz sei die Grundlage dafür, dass alle Menschen sicher und bequem auf dem Rad unterwegs sein könnten - und zwar nicht nur innerorts. Ziel sei es, Freiheit bei der Wahl der Verkehrsmittel zu erreichen.
Ohne Machbarkeitsstudien geht es oft nicht
Für die Auswahl der neuen Radwege habe vor allem eine Rolle gespielt, wie wichtig den jeweiligen Landkreisen die Projekte sind. Wie groß ist die Bedeutung für das gesamte Radwegenetz? Wird eine Lücke geschlossen? Ist ein Bahnhof in der Nähe? Auch solche Fragen hätten besonderes Gewicht.
Von den neuen Abschnitten und Wege liegen dem Ministerium zufolge 15 an Bundesstraßen und 20 an Landesstraßen. Bei insgesamt 15 der Projekte werde jeweils eine Machbarkeitsstudie fällig, da es sich um komplexe Vorhaben handele.
Einzig entlang von Bundes- und Landesstraßen ist das Land zuständig, die allermeisten Radwege sind Sache der Kommunen. Laut Al-Wazir hat das Land seit 2017 Radwege von Gemeinden, Städten und Kreisen mit knapp 140 Millionen Euro gefördert.
Minister beklagt lange Vorlaufzeiten
Das Ministerium hat vor zwei Jahren eine "Task Force Radwege" gegründet, um den Ausbau des Netzes zu beschleunigen. Insgesamt befassten sich nach Angaben von Hessen Mobil-Präsident Heiko Durth derzeit rund 100 der 800 für Verkehrsprojekte zuständigen Mitarbeiter ganz oder überwiegend mit Radwegen.
Der Minister verwies auf die dennoch langen Vorlaufzeiten. Schon jetzt lasse das hessische Straßenrecht allerdings zu, bei bestimmten Radwegen an Landesstraßen auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu verzichten.
Al-Wazir begrüßte, dass der Bund in seinem geplanten Beschleunigungsgesetz solche Prüfungen nur noch bei Radwegen an Bundesstraßen vorsehe, die durch ein besonders geschütztes Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH-Gebiet) führen oder länger als zehn Kilometer sind. Das heiße: "Das hessische Radnetz wird in Zukunft weiter wachsen, und zwar deutlich schneller als bisher."
Fahrrad-Club: Mehrere Schippen drauflegen
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Hessen lobte die Ankündigung in einer Stellungnahme. Der Landesverband mit nach eigenen Angaben 20.000 Mitgliedern hielt fest, dass das Land in den vergangenen Jahren den "Quasi-Stillstand“ beim Radwegebau entlang von Bundes- und Landstraßen beendet habe.
Das reicht dem ADFC aber bei weitem nicht. "Hessens Rückstand ist so groß, dass die künftige Landesregierung hier noch mehrere Schippen drauflegen muss", fordert Landesgeschäftsführer Sofrony Riedmann.
Seine Bestandsaufnahme: 88 Prozent der Landesstraßen und 85 Prozent der Bundesstraßen in Hessen haben keinen Radweg. Damit sei Hessen eines der Schlusslichter unter den Bundesländern.
Neun Kilometer in einem Jahr
Im vergangenen Jahr seien an Landstraßen gerade einmal neun Kilometer an neuen Radwegen dazugekommen. Das sei sogar eine deutliche Steigerung rechnete Riedmann: "Bleibt es beim gegenwärtigen Tempo, würde es noch 300 Jahre dauern, bis auch nur die Hälfte der 7.200 Kilometer Landesstraßen in Hessen mit einem Radweg ausgestattet wären."
Bis zur Realisierung eines Radweges dauert es in Hessen laut ADFC im Durchschnitt fünf bis acht Jahre. "Dies ist deutlich zu lang." Deshalb müsse die künftige Landesregierung in einem Koalitionsvertrag verbindlich eine Novellierung des Straßengesetzes angehen und die Priorität auf eine deutliche Beschleunigung der Radwegeplanung legen.
Die Landtagswahl und Radfahren auf dem Land
Noch ist unklar, ob Grünen-Politiker Al-Wazir nach der Landtagswahl am 8. Oktober Minister für Wirtschaft und Verkehr in einer schwarz-grünen Koalition, bleibt, wie sie seit 2014 besteht. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) führt als Wahlsieger derzeit nicht nur mit den Grünen sondern auch mit der SPD Sondierungsgespräche.
Gerade auf dem Land zwischen Gemeinden und Ortssteilen müsste die künftige Regierung laut ADFC mehr tun. "Radfahren ist sonst unmöglich und bleibt ein Privileg für Wagemutige, die auf Landes- oder Bundesstraßen Rad fahren und für Menschen in Großstädten." Das benachteilige besonders jüngere und ältere Menschen, die kein Auto fahren könnten.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 19.10.2023, 19.30 Uhr
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