Faeser-Nachfolger gewählt Mit Bartol will die Hessen-SPD bald wieder um Platz eins spielen
Wahlniederlage und trotzdem an der Regierung beteiligt: Für diese Aufgabe hat sich die hessische SPD personell komplett neu aufgestellt. Ihr neuer Vorsitzender Sören Bartol setzt auf Teamarbeit - und blickt schon aufs Jahr 2028.
Einen solchen Landesparteitag hat die hessische SPD seit einem Viertel Jahrhundert nicht mehr erlebt. Nach langer Pause ist sie wieder an einer Regierung in Wiesbaden beteiligt. Für diese Aufgabe und weil sie es mit einem historisch schlechten Wahlergebnis lediglich zum Juniorpartner der CDU gebracht hat, sortierte sich die Partei am Samstag in Frankfurt neu.
Den Marburger Bundestagsabgeordneten Sören Bartol wählten die Delegierten mit großer Mehrheit erwartungsgemäß zum neuen Landeschef. Der 49-Jährige erhielt 84,2 Prozent der Stimmen. 267 von 317 Delegierten votierten für ihn. Er folgt auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die schon vor Wochen den Rückzug aus dem Parteiamt signalisierte, das sie 2019 übernommen hatte.
In seiner neuen Rolle schwor Bartol die SPD auf Zusammenhalt ein. "Nur aus einem starken Team heraus können wir wieder wachsen", sagte er. Regierungsmitglieder, Partei und Fraktion dürften sich nicht auseinanderdividieren lassen.
"Koalition mit CDU kein Wunschkonzert"
Mit Geschlossenheit und einer klaren Agenda "spielen wir auch wieder um Platz eins", sagte Bartol mit Blick auf die Landtagswahl 2028. Auch wenn die neue Koalition mit der CDU für viele in der Partei "kein Wunschkonzert" sei, gelte es, nun möglichst viele sozialdemokratische Ziele für die Bürger umzusetzen.
In einer Zeit rasanten Wandels müsse die SPD gerade im Kampf gegen rechten Populismus klar machen, dass die notwendigen Veränderungen auch Chancen bedeuteten. Sie müsse mit ihrer Regierungsarbeit dafür stehen, dass Hessen weltoffen, modern und sozial gerecht sei. Drei von elf Ministerien hat die SPD in der schwarz-roten Koalition erhalten: das für Wirtschaft, Energie und Verkehr, das für Arbeit und Soziales sowie das für Wissenschaft und Kunst.
Absage an "Berliner Blase"
Einen Gegenkandidaten hatte Bartol nicht. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium und gehört SPD-intern dem Kreis der pragmatisch-progressiven "Netzwerker" an, den es neben dem linken und dem konservativeren Flügel gibt.
Dass er als Bundespolitiker die Landespartei führt, ist nach seiner Darstellung nicht nur wegen des Ausbaus der Teamarbeit kein Problem. Er arbeite nicht in der vermeintlichen "Berliner Blase", sagte er und verwies auf seine häufige Präsenz in seinem Wahlkreis Marburg. Dort hat er seit 2002 stets das Direktmandat für den Bundestag geholt.
Applaus im Stehen
Besonderen Dank richtete Bartol an seine Vorgängerin Faeser. Sie habe nach einem Wahlkampf mit viel Gegenwind großen Anteil dran, dass die SPD in Hessen wieder an der Regierung ist.
In ihrer Abschiedsrede sprach Faeser von einem "katastrophalen" Wahlergebnis. Es sei keine Selbstverständlichkeit, dass die Partei danach trotzdem so zusammengehalten habe. Auch sie appellierte an die Partei, diese Geschlossenheit auch in der bevorstehenden Regierungszeit zu wahren.
"Die SPD ist so lebendig wie seit Jahren nicht mehr", sagte Faeser. Die Partei müsse ihre Stärke in der Kommunalpolitik stärker für die Landesebene nutzen und auf die Landesebene übertragen, "damit wir in viereinhalb Jahren erfolgreich durch die nächste Landtagswahl gehen können". Am Ende applaudierten ihr die Delegierten im Stehen.
Innerparteilicher Reformbedarf unstrittig
Zur Hessen-Wahl im vergangenen Herbst sagte auch der scheidende Generalsekretär Christoph Degen, der inzwischen Staatssekretär im SPD-geführten Wissenschaftsministerium ist: "Da gibt es nichts schön zu reden." So seien Themen wie Fachkräftemangel zu künstlich und zu spät gesetzt und der gesamte Wahlkampf zu spät gestartet worden.
Eine Reform der Partei - unter anderem mit einer Stärkung der Ortsverbände - forderten als Konsequenz aus der Landtagswahl mehrere Redner in der Aussprache. "Kampagnenfähig" müsse die SPD wieder werden, fordert zum Beispiel Umut Sönmez, neuer Wirtschafts-Staatssekretär der SPD.
Viel Beifall für neue Generalsekretärin Koebe
Für diese innerparteiliche Reform soll nicht zuletzt Josefine Koebe aus Bensheim (Bergstraße) sorgen. Die 35-Jährige, die erst seit kurzem Landtagsabgeordnete ist, kandidierte am Samstag als Nachfolgerin Degens für den Posten der Generalsekretärin. Sie kündigte in ihrer Bewerbungsrede an, im neuen Führungsteam daran mitzuarbeiten, dass die SPD im Geiste Willy Brandts wieder zu einer Partei des Aufbruchs werde.
Dabei sei eine Modernisierung des Social-Media-Auftritts wichtig, aber nicht alles. Am wichtigsten sei es, engen Kontakt zu den Bürgern zu halten. Die SPD müsse die Partei sein, "der die Straße gehört". Dafür erhielt Koebe viel Applaus, die meisten Delegierten standen dafür auf. Und bei der Wahl zur Generalsekretärin kam sie auf 87,3 Prozent.
Auch einen neuen Schatzmeister bekommt die SPD: den Darmstädter Landtagsabgeordneten Bijan Kaffenberger.
Mehr und neue Vize-Vorsitzende
Weitere personelle Weichen stellte die SPD: So erhöhte sie die Zahl der stellvertretenden Landesvorsitzenden von drei auf vier. Drei dieser Stellvertreter wurden am Samstag neu in dieses Amt gewählt: die frühere Juso-Landesvorsitzende Sophie Frühwald aus Marburg erhielt 71,2 Prozent der Stimmen, der Bürgermeister Philipp Rottwilm aus Neuental (Schwalm-Eder) 82,7 Prozent. Lisa Gnadl aus Altenstadt (Wetterau), die Vizechefin der Landtagsfraktion ist, kam auf 74,5 Prozent.
Den vierten Posten als Stellvertreter des neuen Landeschefs Bartol behält Kaweh Mansoori. Der Vorsitzende der südhessischen SPD hat das Amt bisher schon inne. Als neuer Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef in der CDU/SPD-Koalition gilt der zur Parteilinken zählende 35-Jährige nach Faesers Rückzug als neuer, starker Mann der hessischen SPD.
Schlechtestes Ergebnis für Mansoori
Allerdings fuhr Mansoori mit 68,7 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Stellvertreter von Landeschef Bartol ein. Beobachter führen das nicht zuletzt auf seine Rolle beim Wechsel in die Regierung zurück. Der Frankfurter hatte als Vorsitzender des Landesbezirks Hessen-Süd maßgeblich Einfluss auf die Besetzung der SPD-Ministerposten. Während er selbst zum Zug kam, ging der frühere Faeser-Vertraute Günter Rudolph leer aus.
Rudolph, der anders als Mansoori zum konservativeren Flügel gehört, verlor auch noch seinen Posten als Fraktionschef. Er kritisierte, wie mit ihm umgegangen worden sei. Als wichtigen Wegbereiter der Koalition lobten ihn beim Parteitag sowohl Faeser als auch der neue Fraktionschef Tobias Eckert.
Der Landesverband in Hessen ist traditionell weniger bedeutend als die beiden Landesbezirke. Deren Chefs sind beide im Januar aus dem Bundestag als Minister nach Wiesbaden gewechselt: Neben Mansoori ist das der ebenfalls zum linken Flügel zählende Wissenschaftsminister Timon Gremmels, der die nordhessische SPD führt. Gremmels kandidierte nicht mehr für den Landesvorstand, dem er zuvor als Vize angehörte.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 09.03.2023, 19.30 Uhr
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