Internetdaten für Ermittler Hessens Grüne geben bei Vorratsdatenspeicherung nach

Auf Initiative der schwarz-roten Landesregierung macht der Bundesrat Druck: Internetdaten sollen auch ohne Verdacht zur Kriminalitätsbekämpfung gespeichert werden. Bei den Grünen bröckelt der Widerstand - auch in Hessen.

 Ein Mann arbeitet an der Tastatur eines Laptops.
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Dürfen IP-Adressen vorsorglich und ohne konkreten Verdacht gespeichert werden, damit die Polizei bei Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs oder anderer schwerer Straftaten darauf zurückgreifen kann? Nach langen Jahren der heftigen politischen Auseinandersetzung ist in diese Frage Bewegungen gekommen. Das liegt nicht zuletzt an einem Kurswechsel der Grünen.

Der Bundesrat hat am Freitag einer Initiative der schwarz-roten Landesregierung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen zugestimmt. Mindestens vier Wochen lang soll die Speicherung erlaubt sein. Dafür setzten sich mit Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein nun auch Länder ein, in denen die Grünen mitregieren.

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Die hessischen Grünen sind zwar seit Januar dieses Jahres nicht mehr an der Macht. Aber auch sie geben ihren prinzipiellen Widerstand auf, nachdem sie zehn Jahre lang als Regierungspartei den größeren Koalitionspartner CDU in dieser Sache ausgebremst haben.

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IP-Adresse

Die IP-Adresse (Internetprotokoll-Adresse) ist eine individuelle Nummer, die Internetanbieter an jeden Kundenanschluss für die Verbindung mit dem Internet vergeben. Sie macht das Gerät, von dem aus jemand surft, identifizierbar.

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Einen Unterschied gibt es noch

In einer Mitteilung zur Abstimmung im Bundesrat spricht sich die grüne Landtagsfraktion erstmals für eine solche Vorratsdatenspeicherung aus. Anders als früher ist in der Erklärung vom Freitag von einer prinzipiellen Gefahr für die Bürgerrechte durch Massenüberwachung nicht mehr die Rede.

Einen Vorbehalt haben die hessischen Grünen noch. Er liegt in der Dauer. IP-Adressen sollten ihrer Meinung nach lediglich zwei und nicht wie von der schwarz-roten Landesregierung geplant vier Wochen lang ohne konkreten Verdacht gespeichert werden.

Sorge um Freiheitsrechte bleibt

"Wir wollen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger schützen und gleichzeitig die Verfolgung und Ahndung schwerer Straftaten möglich machen" - so teilten es der frühere Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir als rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag und Vanessa Gronemann als innenpolitische Sprecherin mit.

Bislang gibt es zwei konkurrierende Möglichkeiten zum Umgang mit Internetdaten:

  • Vorratsdatenspeicherung: Sie verpflichtet Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten, Daten (zum Beispiel, wer mit wem, wann und wie lange telefoniert hat) über einen gesetzlich vorgegebenen Zeitraum auf Vorrat zu speichern. Diese Daten müssen sie Ermittlern bei Bedarf zur Verfügung stellen.
  • "Quick Freeze" (auf Deutsch "schockfrosten"): Bei diesem Verfahren dürfen die Strafverfolger von Internet-Providern verlangen, dass nichts gelöscht wird, bis ein Richter über die Verwendung der Daten entschieden hat. Allerdings braucht es hier einen Anlass - also den Verdacht auf schwere Straftaten.

Anbieter handhaben die Speicherung bisher unterschiedlich. Manche bewahren gar nichts auf, andere tun es maximal eine Woche lang.

Kombipaket vorgeschlagen

Den Grünen schwebt vor, dass Ermittler sich künftig beider Möglichkeiten bedienen können.

Die Kombination beider Verfahren würde laut den Grünen-Politikern Gronemann und Al-Wazir ermöglichen, zum einen über die Vorratsspeicherung der IP-Adressen solche Internetanschlüsse zu identifizieren, von denen aus schwere Straftaten mutmaßlich begangen wurden. Zum anderen könnten per "Quick Freeze" alle Aktivitäten solcher Anschlüsse bis zu einer richterlichen Entscheidung festgehalten werden.

Das wäre laut den Grünen auch "mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungsmäßig". Hintergrund: Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil aus dem Jahr 2022 die Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland grundsätzlich erlaubt. Ohne konkret eine angemessene Dauer für eine Speicherung zu nennen, setzt er aber enge Grenzen.

Ein Streitthema weniger?

"Kinderschänder haben kein Recht auf Datenschutz" - mit diesen Worten bekräftigte Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) am Freitag das Anliegen seiner Regierung vor dem Bundesrat. Die IP-Adresse sei oft die einzige Spur zum Täter.

In der hessischen Initiative heißt es: Bisher hänge die Aufklärung von Straftaten zu oft von dem Zufall ab, ob der unbekannte Täter den Internetzugang eines Providers genutzt hat, der die IP-Adresse mit der Zuordnung zu einer Benutzerkennung gespeichert hat.

Der Wunsch der hessischen CDU nach Vorratsdatenspeicherung hatte 2020 zu einem der wenigen öffentlich ausgetragenen Streits in der damaligen schwarz-grünen Landesregierung geführt. Mit dem Argument, das sei im Koalitionsvertrag nicht abgemacht, fuhren die Grünen der Union in die Parade, nachdem deren Minister für Inneres und Justiz gefordert hatten: Die Möglichkeiten zur Fahndung im Internet müssten dringend ausgeweitet werden.

Die CDU macht geltend, dass die Polizei in den vergangenen zwei Jahren mehr als 38.000 Fälle von Kinderpornografie und Missbrauch nicht habe weiter verfolgen können, weil ohne IP-Datenspeicherung ein Ermittlungsansatz fehlte. Mit der neuen Regelung könne es dagegen gelingen, die Aufklärungsrate auf mehr als 90 Prozent zu steigern.

Im Koalitionsvertrag

Zum erklärten Ziel der hessischen Regierungspolitik wurde die Vorratsdatenspeicherung aber erst, nachdem Ministerpräsident Rhein unter dem Schlagwort "Renaissance der Realpolitik" die Grünen nach der Landtagswahl als Juniorpartner durch die SPD ersetzt hatte. Die Bundesratsinitiative steht als Absicht auch im Koalitionsvertrag der beiden neuen Partner.

Allerdings muss der Bundestag noch zustimmen. Bisher lehnten die Grünen in Berlin die anlasslose Speicherung ebenso strikt ab, wie die FDP es tut.

Die IP-Adressen lediglich zwei Wochen zu speichern und mit dem "Quick Freeze"-Modell zu verbinden: Es wird sich zeigen, ob der Ansatz der hessischen Grünen als Kompromiss innerhalb der Ampelregierung taugen könnte.

Partei unter Druck

Die Debatte und der Meinungsumschwung bei den Grünen in den Ländern fallen in eine Zeit, in der die Partei vor allem in der Migration- und in der Sicherheitspolitik um ihre Richtung ringt.

Schwere Wahlniederlagen wie zuletzt in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie Ereignisse wie das Terrorattentat von Solingen haben sie unter Druck gesetzt.

Hinzu kommt, dass die CDU den Grünen auf Bundesebene für die Zeit nach der Bundestagswahl 2025 die Koalitionsfähigkeit abspricht, wenn sie sich innen- und migrationspolitisch nicht bewegen sollte.

Beobachter sehen in den Rücktritten der beiden Bundesvorsitzenden Omid Nouripur und Ricarda Lang auch ein Signal für einen veränderten, noch stärker realpolitisch ausgerichteten Kurs. In Hessen sind die Grünen seit langem tendenziell früher bereit, alte Positionen für Kursänderungen oder Kompromisse aufzugeben, als die Bundespartei.

Sendung: hr-iNFO,

Quelle: hessenschau.de