Erster Parteitag nach Wahlniederlage Hessens Grüne gehen mit neuer Spitze und Selbstkritik in die Opposition
Wundenlecken ja, Selbstzerfleischung nein: In Frankfurt üben sich die hessischen Grünen in ihre Rolle als Nicht-Regierungspartei ein. Mit neuer Spitze wollen sie eine "laute Opposition" gegen Schwarz-Rot sein, dem Rechtspopulismus Paroli bieten - und an sich selbst arbeiten.
Drei Monate nach der Landtagswahl in Hessen haben sich die Grünen an der Spitze ihres Landesverbandes für die kommenden Jahre in der Opposition neu aufgestellt. Ein Parteitag in Frankfurt mit rund 700 Teilnehmern wählte am Samstag die 41-jährige Kathrin Anders aus Bad Vilbel (Wetterau) und den 35-jährigen Andreas Ewald aus Darmstadt zu neuen, gleichberechtigten Landesvorsitzenden.
Anders ist gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Sie erhielt 59,7 Prozent der Stimmen. Ihre Gegenkandidatin Patricia Peveling aus Königstein (Hochtaunus) kam auf 36,3 Prozent. Im Rennen um den für Männer reservierten zweiten Spitzenposten setzte sich der Darmstädter Grünen-Fraktionschef Ewald in einer Stichwahl mit 55,5 Prozent gegen den Offenbacher Fraktionschef Tobias Dondelinger durch.
Die bisherigen Co-Vorsitzenden Sigrid Erfurth und Sebastian Schaub waren nicht wieder angetreten.
Aufarbeitung ohne Streit
Die Debatte auf dem Parteitag war von zwei Themen bestimmt: vom Erstarken der politischen Rechten und der neuen Rolle der Grünen in der Landespolitik. Bei der Hessen-Wahl am 8. Oktober hatten sie erstmals mit Tarek Al-Wazir einen Ministerpräsidenten-Kandidaten nominiert, aber starke Verluste hinnehmen müssen. Sie sind nur noch viertstärkste Partei. Zudem entschied sich die CDU unter Ministerpräsident Boris Rhein, nach zehn Jahren Schwarz-Grün künftig mit der SPD zu regieren.
Den gedämpft-sachlichen Ton der Aufarbeitung dieser Wahlniederlage setzte schon der Beginn des Parteitags: Priska Hinz, Kai Klose, Angela Dorn und Tarek Al-Wazir wurden mit Dankesreden, Blumensträußen und Applaus im Stehen gewürdigt. Sie waren die grünen Minister in der von der CDU beendeten Koalition.
Klose und Hinz hatten bereits vor der Landtagswahl ihren Rückzug aus der Politk angekündigt. Al-Wazir und Dorn sind Landtagsabgeordnete geblieben, strebten aber nach der Wahlniederlage keine prominenten Posten mehr an. Kritik an ihrer Arbeit wurde am Samstag in der Generaldebatte nicht laut.
"Laute Opposition" angekündigt
Als Opposition wolle man sehr wohl Lärm machen, sagte die neue Landeschefin Anders. Sie kündigte an, künftig die Kreisverbände stärken zu wollen.
Ihr Amtskollege Ewald räumte ein, die Koalition mit der CDU sei zum Teil "zu geräuschlos" gewesen. Die Regierung sei aber erfolgreich gewesen. Wie fast alle Redner an diesem Tag legten die neuen Vorsitzenden beim Blick in die Zukunft der hessischen Grünen besonderes Gewicht auf das Erstarken der AfD. Gerade im Kampf gegen rechts müssten die Grünen eine besondere Rolle spielen.
Nicht nur Personal soll sich ändern
Mehrere Redner machten klar, dass als Konsequenz aus dem Wahlergebnis mehr als eine neue Landesspitze nötig sei. "Wir müssen raus aus unserer Komfortzone", sagte Mathias Wagner, Vorsitzender der Landtagsfraktion. Den weitaus größten Teil widmete Wagner zwar seiner bereits am Mittwoch im Landtag geübten Kritik am neuen Regierungsbündnis von CDU und SPD. Die Partei selbst müsse sich aber auch fragen, warum sie "so wahnsinnig anfällig" für Kampagnen sei, wie sie derzeit gegen die Grünen liefen.
Dahinter stecke "immer ein Stückchen Wahrheit", fand Wagner. Die Grünen seien zu kompliziert und "manchmal nicht nahe genug an der Lebenswirklichkeit der Menschen".
Facebook-Posts auf Instagram
Wagners Aufforderung griffen mehrere Rednerinnen und Redner auf. Akademisch, besserwisserisch, kleinteilig, altbacken: So wird die Partei nach Erfahrung von Christiane Schmahl von vielen Menschen nicht zu Unrecht wahrgenommen.
Die Partei spricht nach Meinung der früheren Vize-Landrätin von Gießen zu oft nicht die Sprache vieler Menschen, gerade nicht die von jungen Menschen. "Wir posten auf Facebook und kopieren die Posts für Instagram", sagte sie.
Vor allem die Jugend will Änderungen
Am lautesten applaudierte da der Parteinachwuchs von der Grünen Jugend. Er fordert auch inhaltlich eine Korrektur des Kurses, den die Partei in der Regierung mit der Union etwa in der Innenpolitik mitgetragen habe. "Obwohl hier einige der Ex hinterhergetrauert haben: Wir sind raus aus der toxischen Beziehung", freute sich Joel Redant, Mitglied des Landesvorstands der Grünen Jugend, über das Ende von Schwarz-Grün.
Nachdem weniger junge Menschen bei der Landtagswahl für die Grünen gestimmt hätten, müsse die Partei nun herausfinden, wie sie wieder für die Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit und die Verbindung von Klimaschutz und Wohlstand stehe.
Nachholbedarf hat die Partei nach Meinung der Grünen Jugend nicht zuletzt in der politischen Kommunikation und Außendarstellung in den sozialen Netzwerken. Das sei gerade in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus von Bedeutung.
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