Bundesverfassungsgericht Hessisches Verfassungsschutzgesetz teils verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das hessische Verfassungsschutzgesetz ist in Teilen verfassungswidrig. Es verstößt gegen Persönlichkeitsrechte.
Das hessische Verfassungsschutzgesetz räumt den Verfassungsschützern sehr weitreichende Befugnisse ein, etwa wenn es um die Erhebung und Übermittlung von persönlichen Daten geht. Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass die Regelungen zum Teil verfassungswidrig sind. Die Karlsruher Richter gaben ihre Entscheidung am Dienstag bekannt.
Gericht: Regelungen verstoßen gegen Persönlichkeitsrecht
Dem Bundesverfassungsgericht lag eine Verfassungsbeschwerde gegen mehrere Befugnisse im hessischen Verfassungsschutzgesetz (HVSG) aus dem Jahr 2019 vor. Dabei ging es um Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz.
Zur Begründung gab das Gericht an, die Regelungen im Verfassungsschutzgesetz würden gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen verstoßen. Dabei geht es unter anderem um Regelungen zur Handyortung, zum Einsatz verdeckter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie um die Abfrage von Flugdaten.
Nicht hinreichende Eingriffsschwelle bei Reisedaten
Die Regelung im HVSG zur Handyortung ist laut den Karlsruher Richtern verfassungswidrig, weil sie "eine engmaschige lang andauernde Überwachung der Bewegungen im Raum erlaubt, ohne eine dafür hinreichende Eingriffsschwelle vorzusehen".
Mit der gleichen Begründung stufte das Bundesverfassungsgericht die Befugnis auch für "eingriffsintensive Einsätze" verdeckter Ermittler als verfassungswidrig ein. Diese könnten mit einer falschen Identität eine vermeintliche Vertrauensbeziehung aufbauen: "Nutzt aber der Staat persönliches Vertrauen aus, um Geheimhaltungsinteressen zu überwinden und Betroffene so zur Preisgabe von Informationen zu verleiten, kann das sehr schwer wiegen."
Eine nicht hinreichende Eingriffsschwelle sah das Bundesverfassungsgericht zudem bei der Abfrage verschiedener persönlicher Reisedaten. Hier sei beispielsweise eine zeitliche Beschränkung offensichtlich nicht vorgesehen.
Schließlich rügte Karlsruhe auch Regelungen im HVSG zur Übermittlung von nachrichtendienstlich ermittelten persönlichen Daten an Behörden der Strafverfolgung als teils verfassungswidrig, wenn es einen Verdacht besonders schwerer Straftaten gibt.
Kläger Mitglieder einer als linksextremistisch einstuften Organisation
Geklagt hatten fünf Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer. Zwei von ihnen sind nach Gerichtsangaben Mitglieder einer Organisation, die der hessische Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft. Zwei weitere vertreten als Rechtsanwältin und Anwalt Menschen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ein weiterer Beschwerdeführer ist Journalist und hat nach eigenen Angaben oft beruflichen Kontakt mit Menschen, die wahrscheinlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Unterstützt wurde die Beschwerde unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Diese sprach am Dienstag von einem "Erfolg für die Grundrechte". Nun "muss der hessische Gesetzgeber nachjustieren", erklärte GFF-Verfahrenskoordinator David Werdermann.
Die Verfassungsbeschwerde richtete sich ursprünglich auch gegen das hessische Polizeigesetz. Hierzu entschied das Gericht bereits im Februar vergangenen Jahres, dass die Datenverarbeitung durch die Polizei eingeschränkt werden muss. Gegen eine Neuregelung dieses Gesetzes legte die GFF im Juni 2024 ebenfalls Verfassungsbeschwerde ein.
Auch neue Fassung verstößt gegen informationelle Selbstbestimmung
Das Verfassungsschutzgesetz wurde in Hessen erst im vergangenen Jahr geändert, nachdem das Gericht 2022 bereits das bayerische Gesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt hatte. In diesem Urteil stellte es Grundsätze auf, die für alle Bundesländer gelten und an die sich der Verfassungsschutz halten muss.
Auch die neue Fassung von 2023 in Hessen verletzt aber die informationelle Selbstbestimmung, wie die Richterinnen und Richter nun entschieden. Sie beanstandeten vor allem, dass die Eingriffsschwelle, ab der beispielsweise Handys mit technischen Mitteln geortet werden dürfen, nicht ausreicht.
Die Regelungen gelten nach dem Beschluss vorübergehend bis Ende 2025 weiter, allerdings teilweise eingeschränkt. Eine Regelung, in der es um die Weitergabe von Daten an Strafverfolgungsbehörden geht, wurde teils für nichtig erklärt.
Poseck: Gerichtsbeschluss bringt Klarheit
Laut Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU), einst höchster Richter seines Landes, bringt der Gerichtsbeschluss Klarheit: "Soweit Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt wurden, werden wir zeitnah Neuregelungen auf den Weg bringen und dafür Sorge tragen, dass diese innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Übergangsfrist bis Ende 2025 in Kraft treten können."
Immer wieder besteht Poseck zufolge ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Sicherheitsbehörden und den Persönlichkeitsrechten, denen das Bundesverfassungsgericht eine hohe verfassungsrechtliche Bedeutung eingeräumt habe: "Dies gilt es zu respektieren, auch wenn ich mir eine stärkere Beachtung der Sicherheitsgesichtspunkte gewünscht hätte."
Gerade in der heutigen Zeit vielfältiger Bedrohungen von innen und außen seien gut ausgestattete Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen wichtig.
FDP und AfD sehen Entscheidung positiv
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, Moritz Promny, betonte hingegen, dass die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit gewahrt werden müsse. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein "starkes Zeichen für den Schutz der Grundrechte vor übermäßiger Überwachung durch Geheimdienste".
Der rechtspolitische Sprecher der oppositionellen AfD-Fraktion, Patrick Schenk, bezeichnete die Entscheidung als "Sieg für Freiheit und informationelle Selbstbestimmung", womit der "staatlichen Bespitzelung seiner Bürgerinnen und Bürger enge Grenzen" gesetzt würden.