Immer mehr potenzielle AfD-Wähler  Warum die Jugend nach rechts rückt  

Die Jugend eher links-grün und woke, die Anhänger der AfD ein Club alter, weißer Männer? So einfach liegen die Dinge weder in Hessen noch bundesweit. Ursachenforschung im Interview mit einem Politikwissenschaftler.

Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch.
Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch. Bild © picture alliance/dpa
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Das Gespräch führte Timo Kurth

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Mit einem Schnitt von 51 Jahren ist die Landtagsfraktion der AfD deutlich jünger als die vorherige. Ein Trend auch bei ihren Anhängern: Die Partei ist bei jungen Menschen im Kommen - ungeachtet der Diskussion über Pläne zu einer sogenannten Remigration und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Schon bei der Landtagswahl 2023 lag sie bei den hessischen Erstwählern mit 15 Prozent auf Platz 2 - hinter der CDU und noch vor den lange beliebteren Grünen. Laut dem aktuellen hr-Hessentrend würden derzeit sogar 21 Prozent der 18- bis 34-Jährigen AfD wählen. In keiner Altersgruppe ist die Partei stärker.

Und bei den 14- bis 29-Jährigen kommt die AfD als Protestpartei und vermeintliche Problemlöserin bundesweit zurzeit auf 22 Prozent Zustimmung, wie die Trendstudie "Jugend in Deutschland" für 2024 gerade ergeben hat. Das wirft Fragen auf, die wir dem Politikwissenschaftler Kilian Hampel gestellt haben, einem der Mitautoren der Studie.

hessenschau.de: Mehr als ein Fünftel der jungen Menschen würde zurzeit AfD wählen. Haben Sie eine Erklärung für den Rechtsruck? 

Kilian Hampel: Wir sehen in unserer Studie junge Menschen, die sehr pessimistisch sind. Die Zufriedenheit ist auf einem absoluten Tiefpunkt, vor allem die mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, mit der wirtschaftlichen Lage und dem sozialen Zusammenhalt.  

Das spiegelt sich vor allem in den Präferenzen für Parteien wider. Denn junge Menschen fühlen sich derzeit nicht abgeholt und nicht beteiligt von den regierenden Parteien. Sie haben das Gefühl, dass sie keinen Einfluss haben. Es hat sehr stark mit der Corona-Pandemie angefangen … 

hessenschau.de: … in der sich gerade junge Menschen zum Schutz von älteren zurücknehmen mussten. 

Hampel: Die meisten Maßnahmen waren auch, wie ich denke, gerechtfertigt. Aber viele junge Menschen haben darunter gelitten, sind ins Digitale abgedriftet und nicht mehr richtig rausgekommen. Nach Corona kam dann direkt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Es gab starke wirtschaftliche Folgen - auch für junge Menschen. Wir sehen viele junge Menschen, die von Schulden berichten und die sich nicht wirklich sicher fühlen.  

Und vor allem sehen sie keine Perspektive. Es liegt unter anderem auch am Rentensystem, dass viele davon ausgehen: Die Zukunft, die wird nicht gerade rosig. Das führt dazu, dass sie sich gerade eher den Oppositionsparteien zuwenden. Das schlägt sich auch im Ergebnis der Union nieder. Da sind wir dann aber auch bei einer sehr starken Zustimmung zur AfD.

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Studie zeigt pessimistische Jugend

Kilian Hampel
Kilian Hampel Bild © Marco Urban

Der Politikwissenschaftler Kilian Hampel ist Mitarbeiter am Lehrstuhl Organizational Behaviour der Uni Konstanz. Er ist einer von drei Autoren der diesjährigen "Trendstudie Jugend in Deutschland", die seit 2020 erhoben wird. Dafür wurden 2.042 Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren befragt. Sie zeigten sich wegen Inflation, Krieg und Altersarmut so pessimistisch wie noch nie. Davon profitiert offenbar die AfD.

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hessenschau.de: Wer jung und unzufrieden ist, kann auch eine andere Oppositionspartei wählen. 

Hampel: Was die AfD besser als alle anderen Parteien schafft: Sie ist deutlich digitaler unterwegs und dabei mobilisiert sie viel stärker. Sie überträgt all ihre Pressekonferenzen. Vor allem richtet sie sich direkt an junge Menschen, geht auf ihre Sorgen und Ängste ein - und das in einer sehr einfachen Sprache. Dabei schürt sie vor der Folie der regierenden Parteien auch Ängste und Sorgen.

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hessenschau.de: Welche Rolle spielen soziale Netzwerke wie Tiktok? 

Hampel: Gerade da gelingt es der AfD, junge Menschen direkt anzusprechen. In unserer Studie ist jede zweite Person zwischen 14 und 29 Jahren auf Tiktok unterwegs. Schülerinnen und Schülern sind es noch deutlich mehr als Studierende. Viele von ihnen informieren sich vor allem dort über Politik. Und die AfD ist dort auch so erfolgreich, junge Menschen zu erreichen, weil es die anderen Parteien gerade nicht machen. 

hessenschau.de: Wie groß ist der Anteil der Ampel-Regierung an der Entwicklung? 

Hampel: Das Gefühl, nicht gehört zu werden und nicht mitwirken zu können, ist bei jungen Menschen sehr ausgeprägt. Das hatten sie zwar in der Zeit der unionsgeführten Regierung auch schon, wenn wir an Fridays for Future denken. Die jetzige Bundesregierung ist aber mit sehr vielen Krisen gleichzeitig konfrontiert. 

Die Bewältigung dieser Krisen schafft die Ampelregierung nach Meinung der Jugend nicht so gut. Da ist der Eindruck verbreitet: Die streiten sich nur, da können wir nicht mitwirken, dabei würden sie mal besser uns um Rat fragen. 

hessenschau.de: Immerhin zeigt SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt auf TikTok seine Aktentasche. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hat auch einen Account eröffnet.  

Hampel: Das ist vielleicht ein Anfang, mehr ins Gespräch zu kommen. 

hessenschau.de: Die enorme AfD-Reichweite auf Tiktok geht auch darauf zurück, dass diese Plattform mit ihren Algorithmen radikale Positionen stärkt.  

Hampel: Unproblematisch ist Tiktok auf gar keinen Fall. Es ist auch immer noch ein chinesisches Unternehmen. Man hat lange gesagt, man wolle sich dem enthalten, um die Kontrolle über seine Daten nicht gänzlich abzugeben. 

Aber Tiktok stürmt nun einmal den Markt, auf dem die meisten Jugendlichen unterwegs sind. Und die AfD punktet dort stark. Man muss sich eben anschauen, wo sich die Jugend bewegt. Wenn man das nicht beeinflussen kann, wie es im Digitalen nun einmal oft der Fall ist, dann muss man eben so gut es geht mitgehen. 

 

hessenschau.de: Welche Rolle spielen die sozialen Verhältnisse bei Entscheidungen für die AfD? 

Hampel: Wenn wir auf die jungen AfD-Wähler schauen, sind das vor allem einmal Männer. Da ist ein deutlicher Geschlechterunterschied zu sehen – noch vor sozialen Faktoren. Was die sozialen Verhältnisse angeht, sind dann schon vor allem junge Menschen dabei, die in finanziellen Nöten stecken. Und es sind eher niedriger gebildete Menschen, die solche Sorgen haben und Antworten auf ihre Probleme suchen. Die AfD schafft es offenbar sehr gut, sie zu erreichen.  

hessenschau.de: Das zentrale Thema der AfD ist die Migration. Wie wichtig ist das für die unter 30-Jährigen? 

Hampel: Die gestiegene Zahl von Flüchtlingen löst neben den wirtschaftlichen Sorgen sehr viele Ängste aus. Damit spielt die AfD ja auch ganz klar, sie schürt zum Teil auch Ängste. Viele junge Menschen erwarten sich da Antworten von der Politik und nicht wenige glauben, sie bei der AfD zu finden. 

hessenschau.de: Profitiert davon die AfD? 

Hampel: Trotzdem ist die AfD eigentlich nicht die Partei, die seit der letzten Untersuchung am stärksten gewonnen hat. Die Gewinnerin heißt eigentlich "Ich weiß es nicht". Das sagt mehr als ein Viertel der jungen Menschen, wenn man nach der Partei fragt, die sie wählen wollen. Das sind deutlich mehr als für die AfD. 

hessenschau.de: 2019 waren noch knapp 60 Prozent der jungen Menschen dafür, Flüchtlinge aufzunehmen. In ihrer Studie sind es nur noch 26 Prozent.  

Hampel: Das liegt aber vor allem daran, dass es vielen befragten jungen Menschen zurzeit deutlich schlechter geht, als es damals der Fall war. In so einer Lage ist man weniger bereit und in der Lage, selbst zu geben und zu helfen. Das ist der Hintergrund dieser Studie: Extrem viele geben an, dass sie psychisch belastet sind.  

Diesen jungen Menschen, die derzeit alles andere als fest im Leben stehen, wird aber signalisiert, dass sie es sollen. Zum Teil fühlen sie sich dafür nicht bereit, auch wenn sie gerne würden.  

Die Hälfte der Befragten gibt an, der Staat kümmere sich mehr um Flüchtlinge als um andere Menschen. Das liegt eben vor allem daran, dass sie das Gefühl haben, sie brauchen selbst mehr Hilfe. Dahinter direkt eine rechtsextreme, rassistische Jugend auszumachen, wäre der falsche Schluss. 

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Redaktion: Wolfgang Türk

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Quelle: hessenschau.de