Jahresbericht Verfassungsschutz registriert mehr rechtsextremistische Gewalttaten
Die rechtsextreme Szene in Hessen wird nach den Beobachtungen des Verfassungsschutzes immer gewaltorientierter. Auch die Zahl der Gewalttaten steige. Der Jahresbericht der Landesbehörde zeigt, dass die Demokratie auch noch von anderen Gruppierungen bedroht wird.
Nur durch eine großangelegte Razzia in der Reichsbürger-Szene konnte im vergangenen Dezember wohl ein Staatsstreich verhindert werden: Das Netzwerk wurde vom hessischen Verfassungsschutz mit aufgedeckt.
Rund 1.100 Hessen sind nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörde zur Reichsbürgerszene zu zählen. Das sind zehn Prozent mehr, als in den Jahren zuvor. "Sie rüsten sich mit Waffen", warnte Innenminister Peter Beuth (CDU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für 2022 in Wiesbaden. Mit ihren "kruden und aberwitzigen Ideen", seien sie eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit.
Die Verfassungsschützer hatten um den Frankfurter Prinzen Reuß ein Netzwerk erkannt, was mit zur Razzia im Dezember führte. "Die Kollegen des LfV hatten den richtigen Riecher", lobte Beuth. Damals wurden bundesweit 25 Personen festgenommen. Noch immer sitzen über 20 von ihnen in Untersuchungshaft. "Wir müssen und werden die Szene weiter im Blick halten", sagte Verfassungsschutzpräsident Bernd Neumann.
Rechtsextremismus größte Gefahr für Demokratie
Innenminister Beuth erklärte, die größte Bedrohung für die Demokratie komme nach wie vor von rechts. Vergangenes Jahr wurden 50 rechtsextrem motivierte Gewalttaten registriert, in den beiden Jahren zuvor waren es jeweils 42. Das Personenpotenzial der Neonazis ist laut Bericht weiter gewachsen von 250 vor fünf Jahren auf nun 395 Personen.
Mit Sorge beobachtet Neumann Projekte der Neuen Rechten, wie die sogenannte 'Gegen-Uni'. Damit werde versucht, "dem Rechtsextremismus einen intellektuellen Anstrich zu verpassen." Die Initiatoren sprechen mit dem E-Learning-Angebot akademisch gebildete Menschen an. "Da zahlen Leute dafür, um rechtsextreme Inhalte zu bekommen", so Neumann. Nebenbei werde damit die neurechte Szene vernetzt.
Weitere Erkenntnisse aus dem Bericht
- Linksextremismus: Die Zahl der Gewalttaten ging zurück auf neun. Dennoch warnte Beuth vor Konfrontationen zwischen Links- und Rechtsextremisten. Er verwies auf den Fall der verurteilten Lina E.: Gezielte Gewalt gegen Einzelpersonen sei in Teilen der Szene kein Tabu mehr. Neumann sagte, Linksextremisten würden Klimaschutzbewegungen vermehrt für ihre Zwecke instrumentalisieren. Ihnen gehe es jedoch "letztlich um die revolutionäre Überwindung des Staates".
- Islamismus: Um die Szene ist es laut Bericht ruhiger geworden. "Die Propagandamaschinerie aber läuft weiter auf Hochtouren", sagte Beuth. Es kursieren demnach Schriften mit detaillierten Anschlagplänen. Gerade Einzelpersonen könnten davon angesprochen werden.
- Fakenews und Hatespeech: Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben Falschmeldungen Hochkonjunktur. Der Verfassungsschutz registriere verstärkt Desinformationskampagnen. Auch nehme man Spionageaktivitäten staatlicher Akteure unter die Lupe – vor allem aus Russland.
- AfD-Beobachtung: Eigentlich sollte in dem Verfassungsschutzbericht erstmals ein eigenes Kapitel der Partei gewidmet sein. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in einem Eilbeschluss die Beobachtung der AfD unterbunden. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. "Es gehört zur Demokratie, dass Maßnahmen – auch unsere – rechtlich überprüft werden", sagte Neumann. Der Parteinachwuchs, die 'Junge Alternative', wird hingegen beobachtet. Das Landesamt kommt zum Schluss, die 'JA Hessen' verankere rechtsextremistisches Gedankengut im öffentlichen Diskurs.
Opposition fordert mehr Personal
Die Reaktionen im Landtag fielen unterschiedlich aus. Vom grünen Koalitionspartner heißt es, die Prävention und Demokratieförderung müsse verstärkt werden. Der parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Frömmrich sagte, auch wenn die Mittel hierfür auf 11 Millionen Euro aufgestockt wurden, würden die neuesten Zahlen zeigen, dass diese weiter ausgebaut werden müssten.
Angesichts steigender Gewaltzahlen würden bestehende Maßnahmen nicht ausreichen, sagte auch die innenpolitische Sprecherin der SPD, Heike Hofmann. Sie fordert im Kampf gegen Rechtsextremismus mehr Personal beim Verfassungsschutz. Der FDP-Abgeordnete Jörg-Uwe Hahn sagte, dass freie Stellen dort dringend auch besetzt werden müssten.
Der innenpolitische Sprecher der AfD, Klaus Herrmann, forderte von Innenminister Beuth, neben dem Rechtsextremismus "ebenso Islamismus und Linksextremismus" in den Fokus zu nehmen. Das Landesamt solle sich zudem mit "Klimaextremisten" beschäftigen. Damit spielt er auf Aktionen der sogenannten 'Letzten Generation' an.
Die Linke hat immer wieder die Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert. Die Arbeit des Amtes habe weder den NSU-Terror, noch die Anschläge von Lohfelden und Hanau verhindert, sagte der innenpolitische Sprecher Torsten Felstehausen.
Beuths letzter Bericht
Während Neumann seinen ersten Verfassungsschutzbericht als Präsident vorgestellt hat, war es für Innenminister Beuth zugleich sein letzter. Er scheidet nach der Legislaturperiode aus der Landespolitik aus. Er sagte, er sei beim Waffenrecht an seine Grenzen gestoßen. "Da kämpft sich ein Innenminister ab. Wer extremistisch ist, dem muss man die Waffen abnehmen können." Eine Gesetzesänderung 2020 sei nur "ein halber Schritt" gewesen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 19.30 Uhr
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