Niedrige Beteiligung, hohe Kosten Je Stimme 31 Euro: Wahl des Kita-Landeselternbeirats kostet Steuerzahler viel Geld
Der neue Landeselternbeirat soll Kindergarten-Kindern eine Stimme in der Politik geben. Doch das gesamte Wahlverfahren wurde zum Fiasko - und teuer war es obendrein.
Noch vor den Sommerferien wollte das Sozialministerium den ersten Kita-Elternbeirat einrichten. Kita-Kinder sollten endlich eine Lobby in der Landespolitik haben. Das war die Idee. Noch bis Freitag können nun registrierte Eltern über Delegierte abstimmen. Doch gerade an der Registrierung entzündete sich viel Kritik. Eltern konnten sich nur vom 8. Mai bis 22. Mai an der Wahl anmelden - ein langes Wochenende verkürzte die Zeit nochmal.
Späte Infos – niedrige Beteiligung
"Warum ist das zeitlich alles so knapp", fragte Kita-Eltern Hessen, ein Zusammenschluss kommunaler Elternvertretungen, in einem Offenen Brief an den verantwortlichen Sozialminister Kai Klose (Grüne) - zumal wichtige Informationen erst kurz vor oder teils auch erst nach Beginn des Wahlverfahrens verschickt worden seien.
Wichtige E-Mails landeten nach Angaben der Elternvertretung teils bei Kita-Trägern in Postfächern, die wegen Krankheit oder Urlaub erst Tage später oder gar nicht gelesen wurden. Bis diese dann über die Kindergärten und Elternvertreter die Erziehungsberechtigten erreichten, sei die Frist vielerorts schon verstrichen gewesen.
Die Bilanz: Nur 5.700 Eltern haben sich online durch das Registrierungsverfahren manövriert. Das sind gerade einmal rund 2 Prozent der mehr als 250.000 Wahlberechtigten. Die meisten haben zu spät von der Wahl erfahren, berichten viele.
Die Werbetrommel für die Wahl rührte Minister Klose erst spät. Erst einen Tag nachdem die hessenschau über die niedrige Teilnehmerquote berichtete, setzte Klose einen Wahlaufruf als Twitter-Video ab.
Stolperfalle Zahlencode
Größte Hürde zur Teilnahme wurde ein Zahlenschlüssel: Dieser war bei der Registrierung nötig, um Wahlberechtigte mit den Einrichtungen ihrer Kinder zu verknüpfen. Eine doppelte Stimmabgabe sollte so vermieden werden. Nur hatten viele Einrichtungen diese Codes nach eigenen Angaben nie erhalten. Das Ministerium sprach von "Anlaufschwierigkeiten".
Wer es durch das Verfahren schaffte, lernte dann Polyas kennen. Dieser weithin eher unbekannte Name steht als Absender in sämtlichen Mails des Verfahrens. Dahinter steckt ein Dienstleistungsunternehmen aus Kassel, das sich seit nun Jahrzehnten auf Online-Umfragen spezialisiert hat. "Polyas gestaltet digitale Wahlen und Abstimmungen so barrierearm wie möglich", teilte das Unternehmen auf hr-Anfrage mit.
Fragen zur Kritik an der Kita-Elternbeiratswahl will Polyas mit Verweis auf das Sozialministerium nicht beantworten. Es gibt aber an, dass Registrierungen und Authentifizierungsverfahren "geübte Vorgehen" sind, damit diese korrekt und rechtsicher verlaufen können.
Ohne Ausschreibung zum Großauftrag
Für die technische Durchführung erhält Polyas von der Landesregierung rund 177.000 Euro. Das teilte das Sozialministerium auf hr-Anfrage mit. Polyas biete "die Registrierung und das eVoting aus einer Hand an." Aufträge dieser Größenordnung müssen in der Regel ausgeschrieben werden. "Aufgrund der besonderen Dringlichkeit" wurde der Auftrag diesmal direkt vergeben, heißt es vom Ministerium.
Würden nun alle 5.700 registrierten Erziehungsberechtigten abstimmen, kostet eine Stimme den Steuerzahler etwa 31 Euro. Zum Vergleich: Die vergangene Landtagswahl schlug mit rund 1,87 Euro pro abgegebener Stimme zu Buche. Bei der OB-Wahl in Frankfurt waren es etwa 7,26 Euro. Die lange geforderte Mitsprache lässt sich das Land einiges kosten. "Am Ende lebt Demokratie natürlich von Beteiligung", räumt ein Ministeriumssprecher ein.
Staatssekretärin sieht Schuld bei Elternvertretung
Wer hat das Wahl-Dilemma nun verbockt? Das Sozialministerium nimmt auch die Elternvertretung in die Pflicht. Man sei davon ausgegangen, dass sie gut vernetzt seien und die Beschwerde werfe die Frage auf, inwieweit diese Kontakte genutzt wurden, um zu einer frühzeitigen Information beizutragen, schreibt Staatssekretärin Anne Janz (Grüne) in einer Antwort auf den Offenen Brief der Elternvertretung.
Gerade in Frankfurt seien beispielsweise die Zahlenschlüssel erst nach dem 17. Mai vermehrt abgefragt worden. Dies lasse den Schluss zu, "dass auf der Ebene der Elternbeiräte keine hinreichende Weitergabe erfolgte." Janz verweist darauf, dass das Sozialministerium keine Adressliste der Kita-Eltern habe.
"Schwarze-Peter-Spiel ist eine Frechheit"
Kritik kommt auch von der Landtagsopposition. "Es wurde einfach keine Werbung gemacht", sagt FDP-Fraktionschef René Rock. Wenige Mails, späte Social-Media-Posts reichten nicht aus, um Familien rechtzeitig anzusprechen. "Jetzt versucht man den Schwarzen Peter an die Eltern weiterschieben. Das ist eine Frechheit", schimpft Rock, dessen Fraktion vor rund fünf Jahren bereits eine landesweite Elternvertretung forderte, "Klose hatte ewig Zeit. Vor der Wahl bricht er es übers Knie."
Wie auch immer: Wenn der Landtag demnächst wegen Personalmangels in Kitas über Quereinsteiger-Pläne diskutiert und im Landtagswahlkampf die Parteien sich mit Kita-Platz-Versprechen überbieten werden, dann wird ab Sommer auch eine weitere Stimme mitreden: Die Kita-Elternvertretung – trotz aller Anlaufschwierigkeiten."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 15.06.2023, 19.30 Uhr
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