Jura-Professor zum Fall Messari-Becker "Die Fürsorgepflicht verbietet es, eine Beamtin so bloßzustellen"

Durch den geräuschvollen Rauswurf seiner Staatssekretärin ist Wirtschaftsminister Mansoori (SPD) nicht nur politisch unter Druck. Ein Beamtenrechtsexperte äußert erhebliche juristische Einwände. Er glaubt: Aus dem Streit könnte die Entlassene gestärkt hervorgehen.

Collage aus zwei ausgeschnittenen Fotos auf blauem Hintergrund: links ein sprechender und mit den Händen zeigender Mann; rechts eine Frau, die in die Kamera schaut und deren Hände im Schoß liegen.
SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und seine Ex-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker Bild © picture-alliance/dpa, Imago Images, Collage: hessenschau.de
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Eine prominente parteilose Wissenschaftlerin wird nach nur einem halben Jahr als Staatssekretärin der schwarz-roten Landesregierung entlassen und kommt durch eine Äußerung des Wirtschaftsministers in die Negativ-Schlagzeilen. Sie wehrt sich und legt Widerspruch ein, sogar der Kultusminister kommt in Erklärungsnot - und nun droht die Opposition, mit Hilfe eines Untersuchungsausschusses oder des Staatsgerichtshofs Licht in die Affäre zu bringen.

Wie sich SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori von der Quereinsteigerin Lamia Messari-Becker getrennt hat, schlägt noch immer hohe Wellen und wirft Fragen auf - politische und juristische. So unklar manches ist: In zentralen Punkten legt sich der Jura-Professor Thorsten Masuch fest. Der 53-Jährige ist Co-Autor eines Kommentars zum hessischen Beamtenrecht.

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Das Gespräch führte Wolfgang Türk.

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hessenschau.de: Herr Professor Masuch, rechtlich ist die Entlassung einer Staatssekretärin eher ein simpler Vorgang, oder täusche ich mich?

Thorsten Masuch: In der Tat kann eine Staatssekretärin als politische Beamtin jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Die Entscheidung steht im Ermessen der Regierung, sie darf sich lediglich nicht als willkürlich erweisen. Sie kann sich darauf stützen, dass das Vertrauen zu der politischen Beamtin entfallen ist, aus welchen Gründen auch immer.

hessenschau.de: Nun ist eine Affäre daraus geworden, nachdem Wirtschaftsminister Mansoori in der Öffentlichkeit doch einen Grund genannt hat. Er sprach sehr pauschal von einem "nicht hinnehmbaren Fehlverhalten", das nicht seinen moralischen Ansprüchen genüge. Wenn er das nicht sagen musste: Durfte er es sagen?

Masuch: Ganz allgemein kann auch das außerdienstliche Verhalten einer Staatssekretärin eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand rechtfertigen. Allerdings ist das zur Begründung keineswegs erforderlich. Der Fall zeigt deutlich, dass es den Interessen und dem Ansehen der Beamtin sogar abträglich sein kann, wenn Gründe offengelegt werden, die das Erlöschen des Vertrauensverhältnisses ausgelöst haben sollen.

hessenschau.de: Wenn Sie sein Hausjurist gewesen wären, was hätten Sie Herrn Mansoori in der Sache geraten?

Masuch: Reservierter aufzutreten. Ich hätte nur auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis abgestellt. Letztlich hat der Minister mit seiner Aussage einen dienstrechtlichen Vorwurf in die Öffentlichkeit getragen, der dort nicht hingehört. Es kommt noch hinzu, dass die Vorwurfslage gar nicht geklärt ist und Aussage gegen Aussage steht.

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hessenschau.de: Gestreut wurde in Wiesbaden, Frau Messari-Becker habe ihren Posten bei einem Elterngespräch zugunsten ihres Kindes einsetzen wollen. Wäre das ein ausreichender Anlass für den Minister, sich öffentlich zu äußern? Sie selbst bestreitet den Vorwurf vehement.

Masuch: In einem bestehenden Dienstverhältnis kann ein Vorwurf zu einer disziplinarischen Aufarbeitung führen, aber doch nicht zu einer öffentlichen Debatte. Das Kultusministerium hat den Vorgang ja offenbar auch nicht als disziplinarisches Fehlverhalten angesehen.

hessenschau.de: Nun bringt Herr Mansoori vor, er habe das mit dem Fehlverhalten sagen müssen, um auf öffentliches Geraune über die Entlassung zu reagieren. Ein haltbares Argument?

Masuch: Noch einmal: Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verbietet es dem Dienstherrn, eine Beamtin durch Kritik an ihrem Verhalten gegenüber Dritten ohne rechtfertigenden Grund bloßzustellen. Eine solche Rechtfertigung sehe ich hier selbst dann nicht, wenn es ein Fehlverhalten gegeben hätte. Aus meiner Sicht kann man auf "Geraune" auch anders reagieren oder ganz auf eine Entgegnung verzichten.

hessenschau.de: Mit "Geraune" meinte Herr Mansoori, wie er im hr-Sommerinterview gesagt hat, nicht zuletzt unseren Bericht über Spannungen an der Spitze des Ministeriums. Es geht vor allem um seinen ersten Staatssekretär und Vertrauten Umut Sönmez auf der einen und Messari-Becker auf der anderen Seite. 

Masuch: Mit einem "zerrütteten Vertrauensverhältnis", das es in diesem Fall offensichtlich gab, wäre alles hinreichend begründet gewesen. Bei einer solchen Begründung hätte sich Frau Messari-Becker auch nicht beschweren können.

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Zur Person

Der Jura-Professor Thorsten Masuch von der Hochschule Harz
Thorsten Masuch Bild © Hochschule Harz

Thorsten Masuch ist Professor für Öffentliches Recht am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz und Mitverfasser eines Kommentars zum hessischen Beamtenrecht. Der 53-Jährige war früher selbst Beamter in Hessen. Zu den Stationen zählte neben der Polizeiakademie das Wirtschaftsministerium.

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hessenschau.de: Der Minister sagt außerdem, er habe Belege für seinen Vorwurf, müsse in dieser Personalangelegenheit aber Persönlichkeitsrechte schützen. Ist das ein triftiger Grund?

Masuch: Ja, es gilt allerdings, Persönlichkeitsrechte zu schützen. Das hätte nur schon früher einsetzen müssen.

hessenschau.de: Was bedeutet das alles für die Forderung der Ex-Staatssekretärin, dass der Minister den Vorwurf öffentlich zurücknehmen soll?

Masuch: Wenn sich die Äußerung als ungerechtfertigt erweist, könnte sich daraus eine Anspruch auf eine sogenannte Folgenbeseitigung ergeben. Also letztlich auf eine Klarstellung.

hessenschau.de: Auch die Opposition fragt, ob die Persönlichkeitsrechte von Frau Messari-Becker vor und nach der Entlassung gewahrt wurden. Hätte Sie zum Beispiel ausreichend angehört werden müssen, bevor sie entlassen wird?

Masuch: Nein, eine formelle Anhörung ist rechtlich nicht erforderlich.

hessenschau.de: Auch nicht, wenn die Entlassung mit öffentlichen Vorwürfen gegen die Betroffene verbunden ist?

Masuch: Ich hätte auf diese öffentlichen Vorwürfe einfach verzichtet. Das ist das Entscheidende.

hessenschau.de: War denn der Behördenweg korrekt? Das Kultusministerium hat vom Schulleiter einen sogenannten Sachstandsbericht über das fragliche Elterngespräch erhalten. Die Sache ist als rechtlich unerheblich ad acta gelegt worden. Trotzdem hat der Kultusstaatssekretär davon der Staatskanzlei erzählt, und die hat es dem Wirtschaftsministerium zugetragen.

Masuch: Es handelt sich hier um einen Vorgang, der für die Leitung der Geschäfte der Landesregierung insgesamt bedeutsam sein kann. Deshalb durfte der Ministerpräsident informiert werden.

hessenschau.de: Und was ist mit der Frage, die von den Grünen im Landtag aufgeworfen wurde: Ob das Büro des Wirtschaftsministers direkt beim Schulleiter nachgefragt hat und auch Auskunft erhielt? Darf ein Lehrer so einfach anderen erzählen, wie ein Elterngespräch seiner Wahrnehmung nach gelaufen sei?

Masuch: Grundsätzlich gilt, dass die Verschwiegenheitspflicht eine Hauptpflicht des Beamten ist und über dienstliche Vorgänge nach außen Schweigen gewahrt wird. Der Dienstweg eines Schulleiters läuft über die Schulaufsichtsbehörde und dann an das Kultusministerium. Das Wirtschaftsministerium ist nicht sein unmittelbarer Ansprechpartner. Ich würde als Schulleiter bei einer etwaigen Rückfrage des Wirtschaftsministeriums schlicht auf meine oberste Dienstbehörde verweisen und bitten, dort nachzufragen.

hessenschau.de: Nun hat Frau Messari-Becker gerade Widerspruch gegen die Entlassung eingelegt. Wie kann sie sich in der öffentlichen Debatte wehren? Es gibt für Beamte ja ein Verbot, bei Streitfragen in die Öffentlichkeit zu gehen.

Masuch: Das ist wirklich eine schwierige Lage für sie. Sie scheint mir aber - wie ihr Auftritt im Landtag auch gezeigt hat - eher gestärkt hieraus hervorzugehen.

Quelle: hessenschau.de