Justiz-Streit in Hessen Elf Verdächtige kamen 2024 wegen langer Verfahren aus U-Haft

Dealen, Gewalt, Brandstiftung: Elf Tatverdächtige kamen 2024 in Hessen aus der Untersuchungshaft frei, weil sich Verfahren hinzogen. Die Opposition schlägt Alarm, das Justizministerium verweist auf einen begrenzten Einfluss der Politik.

Gefängnis-Gitter
In der Regel darf die Untersuchungshaft nicht mehr als sechs Monate betragen. Bild © picture-alliance/dpa

Dass mutmaßliche Straftäter in Deutschland aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil ihre Verfahren zu lange andauern, ist kein neues Phänomen. In der Zeit von 2020 bis 2023 waren es früheren Angaben der Landesregierung zufolge in Hessen 18 solcher Fälle, ein einziger davon 2023.

Im vergangenen Jahr 2024 ist die Zahl solcher fristbedingter Freilassungen aus der U-Haft auf elf angestiegen. Einen entsprechenden Bericht der Frankfurter Rundschau bestätigte Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU) am Donnerstag im Rechtsausschuss des Landtags im Wiesbaden.

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Von einer "alarmierenden Entwicklung" sprachen anschließend die oppositionellen Grünen, von einem Skandal die FDP. Deren rechtspolitische Sprecherin Marion Schardt-Sauer befand: "Der Rechtsstaat darf nicht aufgrund einer Überlastung kapitulieren."

Fünf Verdächtige, ein Fall

Bei fünf der elf Freigelassenen handelt es sich laut Justizministerium um Verdächtige in ein und demselben Verfahren. Es geht um Drogenhandel. In den anderen Fällen spielen Gewalt, Eigentums- und Vermögensdelikte, Brandstiftung oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eine Rolle.

Als Beleg für etwaigen Personalmangel und eine chronische Überlastung der Justiz in Hessen lässt das Ministerium die Freilassungen nicht gelten. Es hält der Kritik der Opposition entgegen: Man könne nicht von einer Entwicklung sprechen, da die Aufhebung solcher Haftbefehle in den vergangenen Jahren Schwankungen unterlegen habe und in einem Rechtsstaat auch nicht ungewöhnlich sei.

Die Fälle unterschieden sich zudem im Einzelnen, oft habe man keinen Einfluss auf die Dauer von Verfahren, teilte ein Sprecher dem hr mit.

Ministerium: Manche Entscheidungsprozesse von außen nicht zu beschleunigen

So habe sich ein Verfahren beim Bundesgerichtshof verzögert, so der Ministeriumssprecher. Manche Ermittlungen seien sehr umfänglich. Hinzu kämen Entscheidungsprozesse, die der richterlichen Unabhängigkeit unterliegen und deshalb von außen nicht zu beschleunigen seien.

Die Regierung könne "lediglich optimale Rahmenbedingungen schaffen", hieß es. Man beobachte "im Rahmen einer vorausschauenden Einstellungs- und Personalpolitik die Belastungssituationen fortlaufend".

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Beschleunigungsgebot

Tatverdächtige dürfen bis zu einer etwaigen Verurteilung nicht endlos lange in Untersuchungshaft sitzen, sie haben das Recht auf ein zügiges Strafverfahren. Schaffen Ermittler oder Gerichte das nicht, ist die Freilassung geboten. Laut Strafprozessordnung muss der Vollzug der U-Haft in der Regel nach sechs Monaten aufgehoben werden. Das Oberlandesgericht kann diese Frist in besonderen Fällen verlängern.

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Grünen und FDP wollen nachhaken

Die Opposition gab zu verstehen, dass sie sich damit nicht zufriedengeben will. Der CDU-Minister bleibe bei Ursachen und Lösungen "vage und unverbindlich", sagte Tarek Al-Wazir. Der Grünen-Politiker war Minister der bis Anfang 2024 regierenden schwarz-grünen Koalition und ist rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Die Freilassungen der Tatverdächtigen birgt laut Al-Wazir das Risiko, "dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren entziehen". Die Grünen kündigten weitere Fragen an den Minister an.

Das tat auch die FDP.  Sie fordert, die schwarz-rote Landesregierung müsse bei den Staatsanwaltschaften ansetzen, die "massiv überlastet" seien.

Viele offene Ermittlungsverfahren

Justizminister Heinz hatte vergangenen November vor dem Hintergrund von insgesamt mehr als 100.000 unerledigten Ermittlungsverfahren angekündigt, im Etat für das Jahr 2025 das Personal in den Staatsanwaltschaften um 100 Stellen aufzustocken. Die eine Hälfte war für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen vorgesehen, die andere für Mitarbeiter der Geschäftsstellen.

Nach Meinung der FDP-Abgeordneten Schardt-Sauer sollten "unverzüglich" rund 370 statt der zunächst geplanten 100 Stellen an den Staatsanwaltschaften geschaffen werden. Diese Größenordnung an notwendigen Stellen zur Normalisierung der Arbeitsbelastung hatten die Leitungen der hessischen Staatsanwaltschaften zuvor in einem Brandbrief an das Justizministerium genannt.

Redaktion: Michel Setz und Wolfgang Türk

Sendung: hr-iNFO,

Quelle: hessenschau.de