Kassel-OB Schoeller: Schwarzer Anzug, grünes Herz
Als alleiniger Kandidat gewann Sven Schoeller vor einem Jahr die Stichwahl zum Kasseler Oberbürgermeister. Doch in einer Jamaika-Koalition zu regieren, ist nicht einfach. Scheitert er an den politischen Realitäten?
Wenn Sven Schoeller zur Arbeit fährt, treffen die Kasseler ihn entweder auf dem Fahrrad, auf einem Elektroroller oder in der Straßenbahn. Zu augewählten Terminen fährt er mit seinem großen elektrischen Dienstwagen.
Nur im Notfall steigt der fast zwei Meter große Mann mit schwarzem Anzug in den Kleinwagen seiner Tochter. "Da gehe ich mit gutem Beispiel voran", sagt der Grünen-Politiker. "Ich bin ein multimodaler Oberbürgermeister." Prinzipien scheinen Schoeller wichtig zu sein. Nicht nur, wenn es ums richtige Verkehrsmittel geht.
Jamaika vereint in Bildung und Energie
In der Kasseler Stadtpolitik muss er diese Prinzipien allerdings immer wieder zurückstellen, als grüner Oberbürgermeister ist Schoeller seit einem Jahr im Amt. Seine Partei hat er hinter sich, in einer Koalition mit CDU und FDP sind immer wieder Kompromisse gefragt – das Jamaika-Bündnis hat bisher vor allem Bildungs- und Energiethemen vorangebracht.
17 Hochbauprojekte rund um die Sanierung maroder Schulen und Kitas konnten in Angriff genommen werden, wie der OB berichtet. Auch die versprochene kommunale Wärmeleitplanung legte Schoeller im Oktober in Rekordzeit vor. "Uns fehlt dabei aber die Innovation", bemängelt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Bergmann die Pläne zur künftigen Wärmeversorgung der Stadt.
Konstruktiv und lösungsorientiert, aber wenig Neues
Das oft als konstruktiv und lösungsorientiert gelobte Zusammenarbeiten innerhalb der Jamaika-Koalition führe zwar meist zu einem Konsens, die wichtigen Projekte sind laut der oppositionellen SPD-Politikerin allerdings lange im Voraus beschlossen worden.
So sind die 17 Schulsanierungen nur ein Teil von etwa 100 laufenden und schon früher gestarteten Projekten. Auch die Wärmeleitplanung hatte der Klimaschutzrat bereits im Jahr 2020 an den Magistrat weitergegeben. Sie war deshalb schon seit mehreren Jahren in Arbeit. Bis 2026 hätte die Stadt sie ohnehin vorlegen müssen.
Ein Grüner gegen rote Linien
In den Bereichen Sicherheit und Verkehr klaffen die Auffassungen der regierenden Fraktionen jedoch weiterhin auseinander. Die Koalition beruft sich zwar auf den Konsens über den bereits 2019 beschlossenen Ausbau der neuen Fahrradstraße am Königstor und kleinere Projekte wie den neuen Radweg durch die Karlsaue.
Zur flächendeckenden Tempo-30-Regelung und dem Sperren von Fahrspuren für den Radverkehr bestehen aber weiterhin Uneinigkeiten. "Die roten Linien sind für uns als CDU ganz klar", sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Augustin.
Eine von Schoeller einst anvisierte Sperrung von Fahrspuren für den Radverkehr auf der Wilhelmshöher Allee etwa lehnt die CDU ab. Auch über die Ausgestaltung künftiger Sicherheitsmaßnahmen auf der Partymeile an der Friedrich-Ebert-Straße wird innerhalb der Koalition noch debattiert.
Dass die versprochene Fahrradspur nicht kommen wird, hatte Linken-Fraktionschefin Sabine Leidig kritisiert. Der grüne OB habe "keine erkennbare Vision" für die Stadt und müsse ihrer Meinung nach mehr ökologisches Profil zeigen.
Der Keil der Opposition
Es scheint, als könnten größere Fortschritte nur durch einen Bruch zwischen den Koalitionspartnern erreicht werden. So musste Schoeller im Juni etwa seine Verwaltungshoheit als oberster Beamter der Stadt nutzen, um mehrere 2019 beschlossene nächtliche Tempo-30-Zonen umzusetzen. Die CDU widersprach dem Schritt öffentlich.
Dennoch betont die Union immer wieder, lieber von unterschiedlichen "politischen Schwerpunkten" als von "Differenzen" sprechen zu wollen.
Uneinigkeit? Die Chance der SPD
Die Opposition versucht derweil von der Uneinigkeit der drei Jamaika-Parteien zu profitieren: "Mit unseren Anträgen treiben wir einen Keil in Jamaika rein", sagt SPD-Frau Bergmann. "Weil das Spektrum bei den drei Parteien sehr unterschiedlich ist."
Oberbürgermeister Schoeller tritt bei den Debatten oft als Vermittler auf. "Sven Schoeller verhält sich gemäß seinem Amt überparteilich", sagt CDU-Mann Augustin. Ruhig, sachlich, zurückhaltend – das sind auch die Adjektive, mit denen die Oppositionspolitikerin Bergmann Schoeller beschreibt.
Ein Bürgermeister für alle?
So trat Schoeller auch bei den vielen Terminen auf, die er in seinem ersten Amtsjahr besuchte. Schon im Wahlkampf betonte er immer wieder, er wolle ein Bürgermeister für alle sein. Transparenz sei ihm wichtig, auch wenn man es nicht allen recht machen könne.
Doch wie Entscheidungen im Rathaus gefällt werden, das ist für Außenstehende nicht immer klar ersichtlich. Die Opposition erfahre Dinge oft erst aus der Presse anstatt aus politischen Gremien, kritisiert SPD-Politikerin Bergmann.
Der Jurist ist kein Purist
Für Unmut bei einigen Menschen sorgt auch die Baustelle am Königstor. "Die Fahrbahnverengung braucht hier kein Mensch", meint etwa Christopher Reimnitz, der am Königstor in einem Versicherungsbüro arbeitet. Seine Kunden kämen wegen der Baustelle mehr nicht in seinen Laden. Mit den Unternehmern sei die Stadt zuvor nicht in den Dialog getreten. Das ärgere ihn.
Auch bei einer geplanten Flächenversiegelung im Zuge eines Hospizneubaus kam es im Januar zu Protesten. Schoeller sagt: Zur Flächenversiegelung habe die Behörde zwar eine "grundsätzliche Haltung, aber eben auch keine puristische Haltung". Sie würde sich jeden Fall einzeln anschauen.
Die Kultur als Chefsache
Seine juristische Distanz half Sven Schoeller als Bürgermeister immerhin dabei, die Konflikte rund um die documenta und das Staatstheater zu überwinden. Die Vermittlung zwischen Bund, Land, Künstlern und Aktivisten brachte ihm aus verschiedenen politischen Lagern Respekt ein. Besonders der neue Interimsbau des Staatstheaters, neben dem bald auch 75 Sozialwohnungen gebaut werden, könnte sich als ein politischer Erfolg entpuppen.
Kurz nach seiner Amtsübernahme hatte mit Susanne Völker eine beliebte Kulturdezernentin ihren Posten räumen müssen. Schoeller hatte damals die Kultur "zur Chefsache" ernannt. Bei der Opposition war dieser Schritt nicht gut angekommen. Linken-Fraktionsvorsitzende Leidig sieht bei Schoeller Versäumnisse und kritisiert vor allem, dass dieser der "freien Kulturszene immer weniger Räume" ermögliche.
Der große Wurf bleibt aus
Im ersten Schoeller-Jahr bleibt der große politische Wurf erst einmal aus. Ein Jahr sei eben eine sehr kurze Zeit zum Regieren, sagt der Oberbürgermeister selbst. Dafür könnten sich seine bisherigen Erfolge durchaus sehen lassen.
In der Tat: Die vielen verschiedenen Projekte in Bau und Verkehrsplanung, die frischen Wind benötigten, wären ohne ihn wohl später umgesetzt worden. Die Opposition zeigt sich dennoch schwer enttäuscht vom ersten Regierungsjahr der Kasseler Jamaika-Koalition. SPD und Linke sagen beide: Von einem sozial-ökologischen Aufbruch spürten sie nichts.
Redaktion: Stefanie Küster
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 22.07.2024, 19.30 Uhr