Streit um Abschiebeflüge aus Hessen in die Türkei Wer ist schuld, dass kaum Straftäter an Bord waren?
Alles nur Symbolpolitik kurz vor der Bundestagswahl? Hessens CDU-Innenminister Roman Poseck kritisiert nach drei Abschiebeflügen aus Hessen heftig SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Ein Polizeigewerkschafter ist solche Schuldzuweisungen leid.
Kurz vor der Bundestagswahl kommenden Sonntag ist ein Streit um Abschiebeflüge mit abgelehnten Asylbewerbern entbrannt. Ausgelöst hat ihn Hessens CDU-Innenminister Roman Poseck mit scharfer Kritik an SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Anlass sind drei Flüge aus Hessen in die Türkei von vergangener Woche.
In einen Brief an seine Amtskollegin in Berlin, über den die Bild-Zeitung am Dienstag zuerst berichtete, bemängelte Poseck, es habe sich um reine Symbolpolitik kurz vor der Wahl und "unechte" Abschiebungen gehandelt. Dem Land habe das nichts gebracht. Es sei kein einziger Straftäter an Bord gewesen.
Dabei habe Hessen im November 250 straffällig gewordene Menschen und Gefährder gemeldet. "Im Januar stimmte die Türkei der Rückführung von 98 Straftätern zu", schrieb Poseck weiter. Viele von ihnen seien in Haft.

Für seine politische Attacke bezog der Minister seinerseits Kritik von FDP und AfD. Beide Oppositionsparteien kamen getrennt voneinander zum Schluss, es handele sich um ein über die Presse gespieltes Wahlkampfmanöver von Poseck. Dabei würden Unterlassungen der Landesregierung verschwiegen.
Auch die Gewerkschaft der Polizei betonte eine Mitverantwortung Hessens daran, dass zu wenige Straftäter abgeschoben würden. Der Landesvorsitzende Jens Mohrherr sagte in der hessenschau, er und viele andere Menschen seien die gegenseitigen Schuldzuweisungen leid.
Liste ohne Straftäter
Das Bundesinnenministerium hatte dem Land laut Poseck vor den Abschiebungen mitgeteilt, dass 98 Personen per Flugzeug in die Türkei gebracht würden. Die aus Wiesbaden gemeldeten Straftäter und Gefährder seien allerdings nicht mehr auf der Liste gewesen.
Laut dem hessischen Innenministerium saßen in den drei vom Bund organisierten Abschiebeflügen am 13. und 14. Februar ausschließlich "ungefährliche Personen mit Reisedokumenten".

In dem Brief schrieb Poseck an Faeser, die ebenfalls in Hessen lebt und hier für den Bundestag kandidiert: "Im Schwerpunkt waren es keine Straftäter, sondern auch Frauen und Kinder." Ein Teil von ihnen habe die freiwillige Ausreise angekündigt.
Bei solchen Abschiebungen per Flug benötige Hessen die Unterstützung des Bundes, sagte Poseck. Das sei anders bei einfachen Abschiebungen, die das Land tagtäglich organisiere. Viele Heimatländer wollen keine straffälligen Menschen zurücknehmen.
Im Schreiben an die SPD-Bundesministerin wünscht der CDU-Politiker, Faeser möge ihm Informationen "über 'echte' Rückführungsflüge zur Verfügung stellen". Angesichts der jüngsten Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg schloss er mit der Forderung: "Wir müssen unsere Sicherheit in die Hand nehmen."
Verantwortung an Wiesbaden zurückverwiesen
Ein Sprecher der Bundesinnenministerin wies Posecks Kritik zurück: Die Bundesregierung setze sich weiterhin stark für konsequente Abschiebungen ein. Die Zahl der Abschiebungen sei allein im vergangenen Jahr um 22 Prozent gesteigert worden.
Faesers Sprecher betonte: Zuständig für Abschiebungen seien die Länder. Der Bund unterstütze sie vor allem mit der Bundespolizei. Auch "die Auswahl der Personen, die für eine Abschiebemaßnahme infrage kommen, treffen die zuständigen Länder", teilte er mit.
Der Bund habe Möglichkeiten geschaffen für mehr und schnellere Rückführungen in die Türkei, die die Länder nutzen könnten. Zu Abschiebeflügen komme es, "sobald alle rechtlichen, tatsächlichen und logistischen Voraussetzungen dafür gegeben sind".
Dies hänge zum Beispiel "von vertraulichen Verhandlungen mit anderen Staaten, Fluggenehmigungen und weiterem ab". Das Bundesinnenministerium betonte zudem: Es besteht "keinerlei zeitlicher Zusammenhang" zwischen den Abschiebungen und dem Bundestagswahltermin am Sonntag.
Polizeigewerkschaft kann es nicht mehr hören
Er könne die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern nicht mehr hören, sagte Jens Mohrherr, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der hessenschau. Es werde höchste Zeit für klare Regelungen und ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern. Das sei auch wichtig, damit Straftäter vordringlich abgeschoben würden und nicht möglicherweise gut integrierte Menschen, "die hier in Lohn und Brot stehen".
Für die beteiligten Polizisten, aber auch für abgelehnte Asylbewerber selbst seien die bis zur letzten Minute oft unübersichtlichen rechtlichen Regelungen und Zuständigkeiten von Behörden oder Gerichten bei Abschiebungen sehr belastend. Der Polizeigewerkschafter forderte mehr Personal, nicht nur bei der Polizei, sondern auch in der Justiz. Wie der Bund sei hier auch das Land in der Pflicht.
Die Ministerpräsidenten müssten mit der künftigen Bundesregierung ein gemeinsames Vorgehen beschließen. An die Adresse der Landesregierung richtete der GdP-Landeschef den Hinweis: Nordrhein-Westfalen habe gezeigt, dass auch Länder selbst aktiv werden und Abschiebeflüge organisieren könnten. Es reiche allerdings nicht, wie dort geschehen, wenn in einer Maschine lediglich sieben Menschen säßen.
FDP: Landesregierung soll selbst mehr tun
Scharf trat die FDP dem Innenminister entgegen. Poseck selbst betreibe In der Migrationsdebatte auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes Symbolpolitik, warf ihm Moritz Promny vor, innenpolitischer Sprecher der Liberalen im Landtag. Der CDU-Politiker vergesse offenbar, dass die Landesregierung selbst zu wenig unternehme, um die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen.
"Hessen kann selbst Charterflüge für Abschiebungen organisieren. Mit solchen Flügen kann eine große Zahl ausreisepflichtiger Menschen gleichzeitig abgeschoben werden", sagte Promny. Auch er verwies auf das Beispiel Nordrhein-Westfalens.
AfD sieht Poseck im Glashaus
Versäumnisse warf auch Sandra Weegels, innenpolitische Sprecherin der AfD im Landtag, der Landesregierung vor. Der Innenminister solle aufhören, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen.
"Die CDU sitzt in Hessen im Glashaus und wirft mit Steinen nach Berlin", befand sie. Auch in Hessen fehle der CDU-geführten Landesregierung der politische Wille, Abschiebungen "konsequent durchzuführen". Sie habe nicht einmal beantworten können, wie viele abgeschobene oder freiwillig ausgereiste Asylbewerber wieder nach Deutschland zurück kämen.