Folge des Klimawandels in Hessen Fast jeder zehnte Baum im Wald geschädigt
Der Waldzustandsbericht für das Jahr 2022 muss laut Hessens Umweltministerin Hinz bedenklich stimmen. Steigende Temperaturen und lange Trockenheit setzen den Bäumen immer mehr zu.
Hitze, Trockenheit, Schädlinge, immer öfter Brände und hin und wieder ein Sturm: Man muss kein Experte mehr sein, um beim Spaziergang zu erkennen, wie schlecht es dem Wald geht. Was Depression zur Berufskrankheit von Förstern werden lässt, hat sich binnen eines Jahres nicht verbessert und in mancher Beziehung verschlimmert.
"Wir haben festgestellt, dass inzwischen neun Prozent der Bäume geschädigt sind, im langjährigen Mittel waren es drei Prozent", sagte Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne), am Freitag im Rheingau-Ort Bärstadt. Dort stellte sie im Forst den neuen hessischen Waldzustandsbericht für das Jahr 2022 vor.
"Der Wald ist in einem bedenklichen Zustand", lautete das Fazit der Ministerin. Das vorausgegangene Jahr 2021 mit einem verregneten Sommer habe daran nichts grundsätzlich geändert. Was besonderen Grund zur Sorge bereite: Die schädlichen Veränderungen vollzögen sich "in unfassbarem Tempo".
Viele Probleme und etwas Hoffnung
Hauptursache ist die durch den Klimawandel bewirkte Dürre der vergangenen Jahre. Dass sich die Entwicklung mit mehr Extremwetter noch verschärft, ist absehbar. Deshalb muss laut Hinz der Klimawandel eingedämmt und gleichzeitig Hessens Wald "klimastabil“ gemacht werden - nicht zuletzt durch die richtige Wahl der Baumarten bei der Aufforstung.
Wichtige Ergebnisse des Waldzustandsberichts 2022 im Einzelnen:
- Klimawandel wirkt: Hohe Temperaturen und wenig Regen prägten die vergangene Vegetationsperiode 2021/22 besonders und führten zu extremer Dürre: An Niederschlägen fielen gerade einmal 80 Prozent des langjährigen Durchschnitts - noch weniger als im Dürrejahr 2017/18. Mit einer mittleren Temperatur von 10,3 Grad war es eines der wärmsten Jahre seit Beginn der Beobachtungen 1881. In Teilen Hessens sind die Böden schon seit fünf Jahren viel zu trocken.
- Negativ-Trend bleibt: Das aktuelle Jahr ist kein Ausreißer. Dem Wald setzen die äußeren Bedingungen mit mehreren Dürrejahren seit 2019 schwer zu. Laut Waldzustandsbericht ist seit damals "eine sehr starke Schädigung der hessischen Wälder eingetreten". Es trifft, wenn auch unterschiedlich heftig, alle Baumarten.
- Kronen lichten sich: Dass es den Bäumen schlechter geht, machen die Fachleute nicht zuletzt am Zustand der Baumkronen fest. Die gemessene Dichte der Baumkronen ist im Schnitt so schlecht wie im bisherigen Negativ-Rekord-Jahr 2020. In der Rhein-Main-Ebene sieht es noch schlimmer aus als im restlichen Hessen.
- Schädlinge haben es leichter: Heiße Sommer, mildere Winter und geschwächte Bäume machen einer Reihe von Schädlingen das Leben leichter. Geschwächten Fichten zum Beispiel ist gegen Borkenkäfer kaum zu helfen. Der wärmeliebende Diplodia-Pilz gibt angeschlagenen Kiefern den Rest. Bei Eschen ist es seit einigen Jahren das Falsche Weiße Stängelbecherchen.
- Das Baumsterben verlangsamt sich, aber …: 2019 und 2020 starben besonders viele Bäume, zwei bis drei Prozent erwischte es. 0,9 Prozent waren es diesmal. Kein Grund zum Jubel: Die Todesrate ist damit immer noch doppelt so hoch wie im langjährigen Mittel.
- Der Wald brennt öfter: Das Land hilft laut Hinz auch privaten Waldbesitzern. 38 Millionen Euro aus einem Topf gegen die Folgen von Extremwetter flossen bisher nicht nur, um tote Waldflächen zu räumen. Es geht auch darum, Waldbränden vorzubeugen und sie zu bekämpfen. Denn 260 registrierte Brände seien so viele wie seit dem Jahr 1976 nicht mehr.
- In die Waldrettung investieren: Für Hessens Wälder sind in den kommenden zwei Jahren 155 Millionen Euro vorgesehen. Ein Großteil wird in die Wiederaufforstungen kahler Flächen und einen gezielten Umbau von anfälligen Monokulturen wie reinen Fichtenwäldern zu Mischwäldern fließen.
- Die Suche nach stabilen Baumarten läuft: Für Wälder, die dem Klimawandel standhalten, sind längst neue Baumarten aus Vorderasien, dem Mittelmeerraum oder dem Kaukasus in den Blick geraten. Neben heimatlichen Hoffnungsträgern wie Linde, Spitzahorn oder Eibe geht es um die Orient-Buche oder die Libanonzeder. Welche neuen Arten wirklich passen, wissen die Experten nach einigen Angaben gesichert wohl erst in einigen Jahren. Und noch länger dauert es, bis aus Anpflanzungen neuer Wald geworden ist.
SPD fordert mehr Personal für Hessen-Forst
Die Summe an Investitionen in den Wald scheint der oppositionellen SPD-Landtagsfraktion zwar ausreichend. Sie moniert aber: Nun zeige sich immer mehr, dass die Landesregierung beim Personal schwere Fehler gemacht hat.
"Es sind zu viele Arbeitsplätze abgebaut worden. Die fehlen heute an allen Ecken und Enden", bemängelt SPD-Forstexperte Heinz Lotz. Nach offiziellen Angaben hat das Landesunternehmen Hessenforst 150 Beschäftigte weniger als noch vor fünf Jahren. Auch die Bezahlung müsse sich bessern, um Nachwuchs anzuziehen, fordert SPD-Politiker Heinz Lotz.
Die Landtagsfraktion der Linken forderte die Landesregierung dazu auf, ein Holzrecycling aufzubauen, bei dem die Holzverbrennung zur Energiegewinnung erst ganz am Ende stehen solle. "Energie direkt aus dem Wald ist kein Klimaschutz", sagte Torsten Felstehausen, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Auf eine umfassend nachhaltige Forstwirtschaft zu setzen, sei nun angesichts der erheblichen Waldschäden "der einzig gangbare Weg", sagte er.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.11.2022, 16.45 Uhr
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