Klimaschutz in Kommunen Warum Friedrichsdorf keinen Klimamanager mehr hat und Bad Nauheim gleich zwei
Bei der Weltklimakonferenz in Baku geht es um die ganz großen Fragen zur Erderwärmung. Doch Klimaschutz und Klimaanpassung müssen auch vor jedermanns Haustür passieren. Daher beschäftigen etwa 100 hessische Kommunen Klimamanager - manche nachhaltiger als andere.
Vier Oberstufenschüler aus Friedrichsdorf (Hochtaunus) beugen sich über eine komplizierte, physikalische Formel. Mit konzentriertem Blick erklärt Nils Mörschel seine Gleichung aus Zahlen, Brüchen und Graphen. Das ernüchternde Ergebnis seiner Berechnung: Friedrichsdorf wird seine Klimaziele verfehlen. Die angestrebte Klimaneutralität bis 2035 rückt in weite Ferne.
Auf Bitte von Georg Kraft vom Friedrichsdorfer Institut zur Nachhaltigkeit haben sich Nils und seine Mitschüler die Daten und Zahlen genauer angeschaut. Darin geht es um die Klimaziele ihrer Heimatstadt und um deren Bemühungen, diese zu erreichen.
"Als ich das zum ersten Mal durchgerechnet habe, war ich ziemlich aufgebracht", sagt der 18-Jährige, der auf dem Friedrichsdorfer Gymnasium den Physik-Leistungskurs belegt: "Die Politiker machen Versprechungen und wissen selbst nicht, wie sie ihre Ziele erreichen sollen!"
Um Nils herum sitzen Clara, Nikola und Enrico. Auch als Angehörige einer Generation, die der Klimawandel viel stärker betreffen wird als die heutigen Entscheider, wittern sie hier eine Ungerechtigkeit. "Würden wir uns so in der Schule verhalten, würden wir damit nicht durchkommen", sagen sie. "Aber Politiker kommen damit durch. Und das nervt!"
Friedrichsdorf legte gut los
Dabei fing vor drei Jahren alles so gut an: Friedrichsdorf nahm sich vor, bis 2035 beim Stromverbrauch, bei der Wärmeversorgung und im Verkehr klimaneutral zu werden. Dafür stellte die Stadt eine Klimamanagerin ein. Sie arbeitete ein Klimaschutzkonzept mit über 40 Klimaschutz-Maßnahmen aus.
So wurde zum Beispiel eine neue Kita klimaschonend aus Holz gebaut. Photovoltaik-Anlagen wurden unter anderem auf dem Schwimmbad-Dach angebracht. Die Stadtverwaltung investierte in E-Mobilität und ließ Regenrückhaltebecken im Stadtwald graben.
Für den grünen Bürgermeister Lars Keitel ging das genau in die richtige Richtung. "Wir reden seit Jahren über die Probleme, die wir haben, was Klimaschutz angeht", sagt er: "Dementsprechend müssen wir auch hier vor Ort handeln."
Aus Spargründen die Bremse eingelegt
Und dann - die Bremse! Nach nur zwei Jahren kündigte die Klimamanagerin. Ihre Stelle: gestrichen. Die Kosten dafür: eingespart. Fördergeld für Klimaschutzmaßnahmen: nicht abgerufen. Das geschah alles auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, die damit auf finanzielle Nöte reagierte. Auch mit den Einsparungen bei eigentlich als zukunftsweisend erachteten Vorhaben soll der Haushalt der Kommune entlastet werden.
Das schmerzt auch Bürgermeister Keitel. "Es ist natürlich wirklich sehr schwierig. Auf der einen Seite verstehe ich, dass man finanzielle Aspekte in die Entscheidung einbringen soll oder will", räumt er ein: "Aber es ist ein Zukunftsthema, und wir werden nicht umhin kommen, beim Klimaschutz noch viel mehr zu tun in den nächsten Jahren."
Erst mal keine neue Windkraftanlage
Nach der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung werden einige Klimaschutz-Maßnahmen in Friedrichsdorf nicht mehr umgesetzt. So wird beispielsweise in der Papageien-Siedlung keine staatliche geförderte Fernwärme mehr installiert. Und im Dillinger Wald werden keine Windkraftanlagen gebaut, wie es zunächst im Klimakonzept vorgeschlagen wurde.
Das alles ärgert viele Friedrichsdorfer Bürger, darunter Georg Kraft vom Friedrichsdorfer Institut zur Nachhaltigkeit. "Mir ist wichtig, dass das Klimaschutzkonzept umgesetzt wird, und zwar zu 100 Prozent", fordert er.
Bad Nauheim will "lebenswert und zukunftsfähig" sein
Ganz anders sieht das nur 20 Kilometer weiter aus, in Bad Nauheim (Wetterau). Hier investiert die Stadtverwaltung gleich in zwei Klimamanager: in einen Klimaanpassungsmanager und eine Klimaschutzmanagerin. Sie kümmern sich sowohl um die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Stadt als auch um Nachhaltigkeit und Klimaschutz.
"Wir wollen lebenswert und zukunftsfähig sein", sagt die Klimaschutzmanagerin Yuge Lei über die Kurstadt: "Die Menschen sollen sich hier wohl fühlen, sich gerne hier aufhalten und sicher sein." Dazu trage eben auch der Schutz vor Starkregen oder großer Hitze bei. Gerade letztere führe zu vielen gesundheitlichen Problemen.
Maßnahmen von heute haben morgen einen Nutzen
So ließ die Stadtverwaltung in der Fußgängerzone helles Pflaster verlegen, damit sich die Innenstadt an heißen Sommertagen nicht zu sehr aufheizt. Bäume stehen in größeren Beeten als bisher, und Regenwasser wird so geleitet, dass es nicht einfach in der Kanalisation abfließt, sondern direkt zur Bewässerung der Pflanzen genutzt wird.
Außerdem wurde das Neubau-Gebiet Bad Nauheim-Süd mit sogenannter kalter Nahwärme ausgestattet. Das ist eine nachhaltige Möglichkeit, um Häuser zu heizen oder zu kühlen. "Alles, was wir heute schon planen, wird morgen einen Nutzen haben. Und auch immense Kosten sparen", sagt der Klimaanpassungsmanager Oliver Jenschke. Gerade als Kurstadt habe Bad Nauheim in einem guten Mikroklima eine der wichtigsten Ressourcen.
Heranwachsende hoffen auf mehr Engagement
Ein solches Engagement würden sich die Oberstufenschülerinnen und -schüler aus Friedrichsdorf wünschen. Vor kurzem teilten sie auf einer Podiumsdiskussion mit Stadtverordneten ihre Sorgen. Sie forderten die Politiker auf, ihre Versprechen einzuhalten. "Wenn ich in Zukunft noch hier wohne, dann will ich sagen können, dass in den letzten Jahren wirklich etwas bewegt wurde. Und dass weiter daran gearbeitet wurde, Friedrichsdorf klimaneutral zu machen", sagt die 17-jährige Clara Werckmeister.
Die Schüler hoffen, dass die Stadt wieder in Klimamanager investiert und ihren Klimaschutzplan weiterverfolgt. Denn sonst, da sind sich die Friedrichsdorfer Gymnasiasten sicher, hätten die Politiker an der falschen Stelle gespart.