Ein Jahr Schwarz-Rot: Realpolitik oder reale Enttäuschung?

Wo andere Luftschlösser bauen, kümmern sich CDU und SPD in Hessen um die wirklichen Probleme der Menschen im Land. Meinen zumindest CDU und SPD nach einem Jahr Schwarz-Rot. Noch muss die Regierung beweisen, dass sie ihre Versprechungen erfüllen kann. Ein Kommentar.

Eine schwarze und eine rote Spielfigur als Symbol für die Koalition in Hessen auf einem Wappen mit Hessen-Löwe
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Sie hatten eine "Renaissance der Realpolitik" versprochen. Das alltägliche Leben der Menschen sollte von der schwarz-roten Landesregierung besser gemacht werden. Nach einem Jahr Regierungsbeziehung bilanzierten nun Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein Stellvertreter Kaweh Mansoori (SPD), sie hätten "ab dem ersten Tag geliefert", "das Vertrauen der Menschen zurückgewonnen", die "richtige Politik zur richtigen Zeit" gemacht.

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Streit um Ein-Jahres-Bilanz von Schwarz-Rot in Hessen

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Und einiges davon macht das Leben in Hessen auch besser: vollautomatisierte Supermärkte zum Beispiel, die jetzt sonntags öffnen dürfen. Mehr Deutschunterricht in der Grundschule, mehr Videoüberwachung und Waffenverbotszonen in Innenstädten, höhere Zuschüsse bei der Meisterausbildung.

Fremde Federn und unvollendete Entwürfe

Mit vielem anderem aber wecken sie Erwartungen, die wenig mit Realpolitik zu tun haben: Wirtschaftsminister Mansoori erwähnt zum Beispiel "den erfolgreichen Arbeitskampf um Industriearbeitsplätze im VW-Werk in Baunatal", als ob die Landesregierung irgendetwas getan hätte, was die VW-Manager bei ihren Entscheidungen positiv beeinflusst hätte. Hat sie nicht. 

Portrait einer Frau, die in die Kamera lächelt und neben einer Wand steht, auf welcher die Aufschrift "Plenarsaal" zu sehen ist.
Ute Wellstein leitet das hr-Landtagsstudio in Wiesbaden. Bild © hr/Ben Knabe

Ministerpräsident Rhein führt eins seiner Lieblingsthemen an, wenn er sagt, Hessen habe mit dem Gesetzentwurf zur Speicherung von IP-Adressen Kinderschändern den Kampf angesagt. Es stimmt, dass auf hessische Initiative der Bundesrat einen solchen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hat. Doch da er dort nicht mehr verabschiedet wird, wird es auf absehbare Zeit keine IP-Adressen-Speicherung geben. Auf das vielfach angeführte "Leben der Menschen" hat das also erst mal keinen Einfluss.

Und die "Wohnungsbaupolitik aus einem Guss", die gelobt wurde? Sie bedeutet, dass die Landesregierung Immobilienkäufer bezuschusst, die vermutlich auch ohne diese Subvention gekauft hätten. Gleichzeitig wird im Landeshaushalt nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt, um alle Anträge auf sozialen Wohnungsbau zu unterstützen.

Realpolitik oder reale Enttäuschung?

Auch die "Begrenzung irregulärer Migration" hält sich die Landesregierung zugute, "Bürokratieabbau" und das vieldiskutierte "Genderverbot". All diese Themen zielen in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft, die Boris Rhein mit seiner schwarz-roten Landesregierung gewinnen will. Doch zur Realpolitik gehört auch, keine zu hohen Erwartungen zu wecken.

Wenn am Ende den Menschen die Erkenntnis dämmert, dass es in ihrem "alltäglichen Leben" immer noch zu viel Bürokratie gibt, zu viel irreguläre Migration, wenn Industriearbeitsplätze weiter verloren gehen und es immer noch keine wirksame Verfolgung von Kinderschändern gibt, dafür aber weiterhin Wohnungsnot – dann könnte das Selbstlob der Landesregierung als zu vollmundig empfunden werden. Dann würde die "Renaissance der Realpolitik" in einer realen Enttäuschung enden.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de