"Korrupte Netzwerke", "Anbiederung" an Putin Bundestagsabgeordnete Cotar verlässt AfD und rechnet ab
"Korrupte Netzwerke", "Anbiederung an menschenverachtende Regime" wie das in Russland: Mit einer heftigen Abrechnung tritt die Gießener Bundestagabgeordnete Joana Cotar aus der AfD aus.
Für Parteikollegen und politische Beobachter kam der Schritt am Montagmorgen nicht gar so überraschend: Joana Cotar, Bundestagsabgeordnete aus Langgöns (Gießen), lag länger im Clinch mit der AfD. Und sie hatte den Hinweis auf ihre Zugehörigkeit vor kurzem aus ihrem Twitterprofil gelöscht.
Nun verkündete die Mitbegründerin und einstige AfD-Co-Landesvorsitzende: "Nach zehn Jahren nehme ich Abschied von der #AfD." Die Heftigkeit, in der sie das tat, fiel aber womöglich stärker aus, als von der Parteiführung erhofft. In einer Stellungnahme unter dem Titel "Immer für die Freiheit" rechnet die 49-Jährige ab.
Die zum gemäßigteren Teil der AfD gerechnete Politikerin war einmal Co-Landesvorsitzende, gehörte zwischenzeitlich dem Bundesvorstand an und unterlag 2021 beim Kampf um die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl.
Klage über "Dauermobbing"
Sie wirft der Partei vor, den einstigen Kurs "einer von ideologischen Einflüssen befreiten Realpolitik zum Wohle Deutschlands" aufgegeben zu haben. Im Umgang innerhalb der AfD seien mehrfach rote Linien überschritten worden. Statt um Inhalte gehe es dort vor allem noch um Einnahmen aus Mandaten und Ämtern. Im innerparteilichen Streit ist laut der Bundestagsabgeordneten "Dauermobbing an der Tagesordnung".
Wörtlich schreibt Cotar: "Anstand spielt in den korrupten Netzwerken innerhalb der Partei keine Rolle mehr." Sie selbst sei finanziell nicht auf die Politik angewiesen und habe immer einen klaren Kurs gehalten. Opportunisten, die dagegen für Mandate ihre Überzeugungen wechselten und "sich kaufen lassen", sind nach Cotars Auffassung für die Partei ein viel größeres Problem als rechtsextremistische Mitglieder. Dieser "Rechtsaußen-Rand" sei immer eine Minderheit gewesen.
Die Partei ist vom Verfassungsschutz in Bund und Land als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft worden. Sie wehrt sich derzeit auch in Hessen gerichtlich gegen die angekündigte nachrichtendienstliche Beobachtung. Zuletzt erzielte die AfD in Hessen den Zwischenerfolg, dass sie vorerst nicht beobachtet werden darf.
Zu viele Putin-Lobbyisten?
"Die Alternative ist eine Altpartei geworden", konstatiert Cotar. Es sei wenig von dem Ziel übriggeblieben, im Gegensatz zur linken Politik für Freiheit, Eigenverantwortung und einen schlanken Staat einzutreten.
Inhaltlich nimmt Cotar nicht zuletzt Anstoß an der "großen Nähe führender AfD-Funktionäre" zur Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie kritisiert eine "Anbiederung der AfD an die diktatorischen und menschenverachtenden Regime" aber auch in China und im Iran. Das sei einer "aufrechten demokratischen und patriotischen Partei unwürdig".
Führende AfD-Politiker betrieben Lobbypolitik, statt sich für deutsche Interessen einzusetzen. Anders als Parteichef Tino Chrupalla halte sie die Aufrüstung der Bundeswehr auch nicht für irre, sondern für dringend geboten.
"Fleischtopf"-Vorwurf auch in Hessen
Ähnlich wie Cotar mit der Gesamtpartei hatte beim jüngsten Landesparteitag der AfD-Landtagabgeordnete Walter Wissenbach mit der eigenen Fraktion abgerechnet, in der es seit dem Einzug ins Parlament heftigen internen Streit gab. Er forderte die Delegierten auf, bei der Liste für die Hessen-Wahl 2023 eine ganz neue Fraktion aufzustellen. So wie bisher dürfe es nicht weitergehen, "nur damit ein paar Berufsversager noch einmal fünf Jahre an die Fleischtöpfe kommen", sagte er.
Mit einer Kampfkandidatur um den ersten Listenplatz gegen den Landesvorsitzenden Robert Lambrou unterlag Wissenbach klar. Er blieb aber in Partei und Fraktion.
Mandat behält sie
Ihr Bundestagsmandat will Cotar behalten und als fraktionslose Abgeordnete weitermachen. Sie kam 2017 als Zweite auf der AfD-Landesliste ins Parlament, wurde dort Mitglied im Digitalausschuss. Cotar hat auch einen Sitz im Gießener Kreistag.
Sie wolle in Berlin konstruktive Politik machen, kündigte die Politikerin an. Wie es parteipolitisch weitergeht, sagte sie nicht. Es bleibt bei der Andeutung, es brauche "eine Vernetzung der konservativ/liberalen Kräfte im Land". Daran arbeite sie. Cotar spricht vom nötigen Zusammenhalt derjenigen, die "Werte und Wohlstand retten möchten und sich Anstand und gesunden Menschenverstand bewahrt haben".
Eine Gruppe Konservativer will mit einer neuen Partei namens "Bündnis Deutschland" antreten. Am vergangenen Wochenende hatten sich Mitglieder in Fulda zur Gründung versammelt, darunter frühere Mitglieder von CDU und Freien Wählern. Es soll auch Verbindungen zu gemäßigteren AfD-Politikern geben, die unzufrieden mit der eigenen Partei sind. Von der AfD selbst distanzieren sich die Gründer aber ausdrücklich.
Machtkampf verloren
In dem anhaltenden Macht- und Richtungsstreit innerhalb der AfD in Bund und Land hatte Anfang des Jahres der damalige AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen seinen Austritt erklärt. Der Europaabgeordnete schloss sich der bislang weitgehend unbedeutenden konservativen Zentrumspartei an. Sie hat auch in Hessen einen Landesverband.
Cotar galt als Unterstützerin Meuthens. 2021 wollte sie mit Joachim Wundrak das Spitzenduo der AfD für die Bundestagswahl bilden. Damals setzten sich jedoch die derzeit amtierenden Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla durch. Beim AfD-Bundesparteitag im Sommer dieses Jahres kandidierte die 49-Jährige dann nicht mehr für einen Platz im Bundesvorstand. Ihm hatte sie zuvor seit 2020 angehört.
Hessen-AfD fordert Mandatsrückgabe
Der AfD-Co-Landesvorsitzende Robert Lambrou hatte sich vor der Bundestagswahl öffentlich für Cotar eingesetzt und angekündigt, sie und Wundrak für die Spitzenkandidatur zu wählen. Von Cotars Austritt zeigte er sich am Montag auf Anfrage überrascht. Er habe allerdings wahrgenommen, dass sie sich in den vergangenen Monaten "aufgrund von verlorenen Machtkämpfen auf Bundesebene von der Partei menschlich entfremdet hat".
Lambrou forderte Cotar auf, ihr Bundestagsmandat zurückzugeben, wenn sie die Partei verlässt. Da sie in ihrer Erklärung behaupte, stets ihre Integrität bewahrt zu haben und finanziell unabhängig zu sein, wäre das nach Meinung des AfD-Landeschefs "nur konsequent".
Die Abgeordnete aus Langgöns ist nicht die erste, die der AfD und der Bundestagsfraktion den Rücken kehrt und ihr Mandat behält. Mit ihr hat die Fraktion bereits fünf Abgeordnete durch Austritte verloren. Zuletzt ging im September Robert Fahle aus Sachsen-Anhalt. Während Cotar die Russlandfreundlichkeit in der Partei nach dem Angriffskrieg zu groß ist, soll er unter anderem beklagt haben, die Haltung gegenüber Russland sei zu kritisch.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 21.11.2022, 19.30 Uhr
Ende der weiteren Informationen