Kriminalstatistik 2023 Ein Krisenjahr mit deutlich mehr Straftaten in Hessen

Ob häusliche Gewalt oder Attacken auf Polizisten: Die Zahl der registrierten Straftaten in Hessen ist spürbar gestiegen. Innenminister Poseck führt das auch auf die vielen Krisen zurück, das neue Ausmaß des Antisemitismus sei "besorgniserregend“.

Polizisten auf Streife
Polizisten auf Streife Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Kriminalstatistik 2023 – ein Krisenjahr mit mehr Straftaten in Hessen

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In Hessen hat die Polizei im vergangenen Jahr insgesamt 397.512 Straftaten registriert. Das sind 7,8 Prozent mehr als im Jahr davor, wie Innenminister Roman Poseck (CDU) am Freitag in Wiesbaden bei der Vorstellung der Kriminalstatistik für das Jahr 2023 sagte.

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Die Zunahme sei wie schon im Vorjahr unter anderem noch auf "Nachholeffekte“ der Corona-Pandemie zurückzuführen, als sich Lockdown und Kontaktbeschränkungen hemmend auswirkten. 2023 sei zudem von "außergewöhnlichen und krisenhaften Ereignissen" geprägt worden, die zu mehr Delikten geführt hätten.

Poseck, der im Januar in der neuen CDU/SPD-Landesregierung vom Justiz- ins Innenressort gewechselt war, nannte neben der wirtschaftlichen, von Inflation geprägten Lage besonders den Angriff Russlands auf die Ukraine sowie den der Hamas auf Israel.

Minister: Hessen ist trotzdem sicher

"Auf unseren Straßen hat sich eine noch nie dagewesene Protestvielfalt gezeigt, bei der es auch zu Straftaten gekommen ist“, sagte der Innenminister. Dabei habe vor allem der Nahostkonflikt eine Rolle gespielt. "Besorgniserregend" sei der Anstieg judenfeindlicher Straftaten. Andere radikalisierungen in der Gesellschaft kämen hinzu.

Trotz negativer Trends betonte Poseck: "Hessen ist nach wie vor ein sicheres Land." Im bundesweiten Vergleich sei die Zahl der Fälle vergleichsweise niedrig, die Aufklärungsquote hoch.

Die wichtigsten Befunde

Der Innenminister stellte die Zahlen gemeinsam mit Landespolizeichef Robert Schäfer und Landeskriminalamt-Präsident Andreas Röhrig vor. Hier die wichtigsten Befunde der Polizei:

  • Mehr Judenfeindlichkeit: 347 antisemitische Straftaten sind 2023 bekannt geworden - mehr als dreimal so viele wie im Jahr davor. Zu knapp der Hälfte der Vorkommnisse kam es nach dem Überfall auf Israel am 7. Oktober. Poseck sagte: "Es beschämt mich zutiefst, dass Jüdinnen und Juden bei uns in diesem Ausmaß bedroht werden." Die Polizei handele konsequent, um Menschen jüdischen Glaubens und jüdische Einrichtungen zu schützen. Zudem wurde eine "Task Force Nahost" im Ministerium gebildet.
  • Insgesamt mehr politisch motivierte Taten: Hetze, Propaganda, Gewalt - von den insgesamt mehr als 3.400 Taten (2022: 2.611) waren laut Poseck rund 1.500 Fälle rechtsextrem motiviert. "Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte Bedrohung für unsere Demokratie", sagte er.
  • Mehr Straßenkriminalität: Sie wuchs um rund 2.500 auf 67.400 Fälle an.
  • Mehr häusliche Gewalt: 12.000 Fälle - nie zuvor bekam es die hessische Polizei so oft mit Gewalt in Beziehungen zu tun. Seit Jahren steigen die Zahlen stetig, diesmal um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In 81 Prozent der Fälle wird gegen Männer ermittelt. Die Regierung hat ein "Frauensicherheitspaket", unter anderem sollen Täter häufiger elektronische Fußfesseln tragen.
  • Mehr Attacken auf Einsatzkräfte: Rund 5.000 Mal traf es Polizeibeamte, außerdem 24 Feuerwehrleute und 171 andere Rettungskräfte. Auch das ist ein Negativrekord, seit die Angriffe im Jahr 2011 erstmals landesweit erfasst wurden. Poseck forderte: Solche Angriffe sollten künftig mit mindestens sechs Monaten Gefängnis bestraft werden.
  • Mehr Amtsträger und Politiker bedroht: Nahezu doppelt so oft wie zuvor, in 319 Fällen, wurden amtliche Funktionsträger oder Abgeordnete Opfer, meist von Hass und Hetze. "Gedroht wird meist mit Körperverletzung, Brandstiftung oder gar dem Tod", heißt es in der Bilanz.
  • Mehr Sexualdelikte: Um 950 stieg die Zahl der Taten auf 9.523 an. Eine Annahme der Experten für die Ursache: Sexualstraftäter nutzen Dating-Portale zur anonymen Anbahnung von Kontakten. Außerdem wendeten sich Opfer häufiger an die Polizei.
  • Mehr Kindesmissbrauch: Der Anstieg hier geht nicht zuletzt darauf zurück, dass Internet-Anbieter in den USA verbotene pornografische Inhalte melden müssen. So wird es auch Hessens Polizei häufiger bekannt - nicht zuletzt, wenn Kindesmissbrauch gefilmt und so verbreitet wird. LKA-Chef Röhrig drängte noch einmal auf Vorratsdatenspeicherung. "IP-Adressen sind oft der einzige Ansatz, um die Identität des Täters zu ermitteln." Hessen will über den Bundesrat eine Gesetzesänderung erreichen.
  • Delikte von Zuwanderern: Mit der Zahl von Flüchtlingen nahm auch die von Delikten zu, die laut Poseck in dieser Bevölkerungsgruppe registriert wurden. Sie sei um rund ein Fünftel auf gut 60.000 gestiegen. Bei mehr als der Hälfte der Fälle gehe es um asylrechtliche Verstöße. Traumata und beengte Wohnverhältnissse könnten Kriminalität verstärkten, Vorurteile und Rassismus führten nicht weiter. Der Minister sprach sich für eine differenzierte, ehrliche Betrachtung und eine Begrenzung irregulärer Migration aus.

Die Zunahme der Kriminalität bewege sich laut Poseck allerdings im bundesweiten Trend. Er gab sich fest davon überzeugt, dass Hessen im Ländervergleich "weiterhin eine unterdurchschnittliche Belastung an Kriminalität sowie eine überdurchschnittliche Aufklärungsquote vorweisen kann".

Zwar kämen nun auf jeweils 100.000 Einwohner Hessens mit 6.220 Straften mehr Fälle als im Vorjahr (5.855). Klammere man die Pandemiejahre aus, sei das aber immer noch der viertniedrigste Wert der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Aufklärungsquote laut Minister hoch

Zudem führte der Innenminister die Aufklärungsquote an. Der Anteil der gelösten Fälle liege mit 63,2 Prozent immer noch "auf dem hohen Niveau des Vorjahres". 2022 waren 63,7 Prozent der Fälle als aufgeklärt gewertet worden.

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Als ein Beispiel nannte er die Ermittlungen wegen Körperverletzungen: Ihre Zahl ist ebenfalls gestiegen, um knapp 2.000 auf mehr als 39.000. In neun von zehn Fällen werde der Täter aber auch ermittelt. Auch auf anderen Feldern verstärke die Polizei ihre Bemühungen. Weil es häufiger zu Straßenkriminalität komme, sei der "Kontrolldruck" gerade in den Innenstädten wie in Frankfurt erhöht worden. Die Videoüberwachung sei ausgebaut worden.

Interpretation stets umstritten

Die Interpretation der Kriminalstatistik ist Jahr für Jahr zwischen der jeweiligen Landesregierung und der Opposition umstritten. Unter anderem geht es um die Aussagekraft. Kritiker der Regierung, zu denen bis zum Eintritt in der CDU-geführte Landesregierung im Januar auch die SPD gehörte, fordern seit langem eine Studie über die Dunkelziffer. Argument: Viele Straftaten würden gar nicht registriert.

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Während nach Angaben des innenpolitischen Sprechers der CDU-Landtagsfraktion, Alexander Bauer, die Statistik zeigt, dass" Hessen weiterhin ein sehr sicheres Land ist", kann nach Meinung der oppositionellen AfD "nicht von einem sicheren Hessen die Rede sein".

"Zunehmender Antisemitismus, Gewalt gegen die Polizei, Konflikte anderer Länder die auf hessischen Straßen ausgetragen werden, der Anstieg der häuslichen Gewalt – alles alarmierende Zustände", konstatierte die innenpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Sandra Weegels. Es seien "gravierende Maßnahmen" erforderlich, "um dieser Entwicklung entgegenzusteuern".

FDP: Schutz jüdischer Einrichtungen verstärken

Für die SPD wie für die FDP ist der Anstieg der antisemitischen Straftaten besonders besorgniserregend. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Moritz Promny, sagte, der Schutz jüdischer Einrichtungen müsse kontinuierlich überprüft und verstärkt werden. "Sicherheitsbehörden müssen sensibilisiert und fortgebildet sowie eng vernetzt werden."

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion, Lisa Gnadl, wies auf einen geplanten schwarz-roten Aktionsplan hin, der "umfangreiche Maßnahmen gegen alle Formen von Extremismus vorsehen und den Schwerpunkt auf die Bereiche Rechtsextremismus und Antisemitismus" legen werde.

Grüne: Frauen müssen besser geschützt werden

Nach Angaben der Grünen führt die Kriminalstatistik vor Augen, dass "Frauen in unserer Gesellschaft besser geschützt werden müssen", wie die rechtspolitische Sprecherin Vanessa Gronemann betonte. Ein Problem sei der Nahbereich. Dies zeige die Zunahme häuslicher Gewalt. Gronemann sagte: "Deshalb haben wir in der vergangenen Legislatur zusammen mit der CDU die elektronische Überwachung gewalttätiger Lebenspartner ermöglicht."

Weitere Informationen

Redaktion: Wolfgang Türk

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 8.3.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe