Hessischer Landtag Bouffier und Beuth werden im Lübcke-Ausschuss emotional
Emotionale Zeugenaussagen von Hessens Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Peter Beuth im Landtag: Beide wurden am Donnerstag im Untersuchungsausschuss zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dreieinhalb Jahren befragt.
"Der Mord an meinem Freund hat mich entsetzt und auch aufgewühlt", sagte Hessens ehemaliger Ministerpräsident und früherer Innenminister, Volker Bouffier (CDU), am Donnerstagnachmittag vor dem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, in dem er als Zeuge geladen war.
Der Ausschuss soll die Rolle der Sicherheitsbehörden im Fall des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Juni 2019 auf dessen Terrasse in Wolfhagen (Kassel) aufarbeiten. Lübckes Mörder, der Rechtsextremist Stephan Ernst, war vor mehr als zwei Jahren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Bouffier: "Können Tod nicht ungeschehen machen"
Bouffier sagte, dass er Lübcke mehr als 40 Jahre lang kannte. Die Zusammenarbeit sei immer eng und freundschaftlich gewesen. "Ich erinnere mich gerne an diese Zeit." Lübckes Familie fühle er sich besonders verbunden. Es sei gut, dass der Täter so schnell ermittelt wurde.
"Diesen Tod können wir nicht ungeschehen machen, aber mir war und ist es immer ein Anliegen gewesen, an sein Wirken und sein Vermächtnis zu erinnern." Deshalb habe er Lübcke posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille verliehen und den Walter-Lübcke-Demokratie-Preis ins Leben gerufen.
Innenminister Beuth: Lübcke war ein "Pfundskerl"
Ebenfalls emotional geäußert hatte sich während seiner Aussage zuvor am Donnerstag der zweite prominente Zeuge: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).
Er sei nach wie vor erschüttert und sehr traurig über den Tod Lübckes. Vor allem für die Familie sei dies ein "unfassbarer Verlust". Lübcke sei ein "Pfundskerl" gewesen, ein "großartiger Mensch". "Ich habe ihn sehr gemocht", sagte Beuth.
Bouffier und Beuth: "Anschlag nicht absehbar"
In Bezug auf eine mögliche politische Mitverantwortung sagte Innenminister Beuth, der "feige Anschlag" sei nicht absehbar gewesen. Ähnlich äußerte sich Ex-Ministerpräsident Bouffier: Er selbst habe vor der Tat im Jahr 2019 dienstlich keine Kenntnis von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst gehabt.
Der spätere Lübcke-Mörder Ernst war beim Verfassungsschutz aktenkundig gewesen. Zum Tatzeitpunkt stand er jedoch nicht mehr unter besonderer Beobachtung.
Der Verfassungsschutz habe einen gesetzlichen Rahmen, um wen er sich kümmere, erklärte Bouffier. Straftäter seien nicht automatisch ein Fall für den Verfassungsschutz. Wenn eine Person über einen längeren Zeitraum nicht auffällig sei, tauche sie nicht mehr in den Akten auf.
Beuth: Sperrung der Ernst-Akte war Fehler
Die 2015 verfügte Sperrung der Akte über den Rechtsextremisten Stephan Ernst bezeichnete Beuth allerdings "zweifellos" als Fehler.
Zugleich wies er darauf hin, dass die Dateien mit den Erkenntnissen über den späteren Mörder Lübckes aufgrund des sogenannten Löschungsmoratoriums zu Rechtsextremisten nicht gelöscht, sondern nur für den Gebrauch gesperrt worden waren.
So hätten sie nach den Erkenntnissen über die Täterschaft von Ernst rekonstruiert und vollständig dem Generalbundesanwalt für seine Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden können.
Verfassungsschutz jetzt "operativer, präventiver und transparenter"
Den Rechtsextremismus bezeichnete Beuth als aktuell größte Bedrohung für die Innere Sicherheit. Der Kampf gegen politischen Extremismus und Rechtsextremismus bilde einen Schwerpunkt der Arbeit von Polizei und Landesverfassungsschutz, sagte er vor dem Ausschuss.
"Das Landesamt für Verfassungsschutz haben wir operativer, präventiver und transparenter aufgestellt", sagte Beuth. In den Veränderungsprozess seien unter anderem die Erkenntnisse aus den NSU-Untersuchungsausschüssen im Bundestag und im hessischen Landtag eingeflossen.
Unter anderem sei ein Einzelfall bezogenes Risikomanagement eingeführt worden. Es würden verstärkt Einzelne beobachtet, nicht nur Gruppen. Außerdem werde ein stärkeres Augenmerk auf Rechtsextremisten gelegt, die sich zwar unauffällig verhielten, jedoch dennoch möglicherweise radikalisierten.
Kritik von Oppositionsfraktionen
Die Vertreter der Oppositionsfraktionen im Landtag - SPD, Linke und FDP - kritisierten die Zeugenaussagen. Der Obmann der Linksfraktion im Ausschuss, Torsten Felstehausen, sagte, die Aussagen von Beuth enthielten viel Selbstlob, aber keine Erkenntnis bezüglich etwaiger Fehler. Allerdings hätten Pannen der Sicherheitsbehörden unter anderem dazu geführt, dass die Gefährlichkeit von Ernst falsch eingeschätzt worden sei.
Auch der Obmann der SPD-Fraktion, Günter Rudolph, erklärte, der Ausschuss habe in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren deutlich herausgearbeitet, dass hessische Sicherheitsbehörden vor dem Mord erhebliche Fehler gemacht hätten.
Der Obmann der FDP-Fraktion, Matthias Büger, kritisierte, dass es Bouffier in seiner Zeit als Innenminister versäumt habe, das Landesamt für Verfassungsschutz in ausreichendem Maß strukturell und personell zu stärken. Ob der Mord an Lübcke hätte verhindert werden können, könne niemand seriös sagen.
Grüne sehen damalige Defizite bestätigt
Aus Sicht der mitregierenden Grünen bestätigten sich durch Beuths Aussagen in Bezug auf die Speicherung von Daten des späteren Lübcke-Mörders damalige Defizite beim Landesamt für Verfassungsschutz.
"Es verdichtet sich damit, dass die den Sicherheitsbehörden bekannten Gewalttaten von Stephan Ernst bei der damaligen Entscheidung keine ausreichende Berücksichtigung fanden", sagte Grünen-Obfrau Eva Goldbach.
CDU-Obmann Holger Bellino schloss sich bei seiner Bewertung den Einschätzungen von Beuth und Bouffier an. "Für mich wurde wieder einmal bestätigt, dass der feige Mord an unserem Freund Walter Lübcke leider nicht zu verhindern war."
Abschlussbericht bis Sommer
Der Untersuchungsausschuss war 2020 eingerichtet worden, um die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden in dem Mordfall aufzuarbeiten. Beuth und Bouffier waren die letzten Zeugen, die vernommen wurden. Nach dem Ende der öffentlichen Befragungen will der Ausschuss bis zum Sommer den Abschlussbericht erstellen.
Auf eine von allen getragene Version werden sich die Fraktionen vermutlich nicht einigen können.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 23.02.2023, 16.45 Uhr
Ende der weiteren Informationen