Polizeibeamter Gaw tritt aus AfD im Landtag verliert einen Abgeordneten

Demos gegen "Remigrations"-Pläne, Forderungen nach einem Parteiverbot, verschärfte Warnungen des Verfassungsschutzes: In dieser Situation verlässt der Polizeibeamte Dirk Gaw die AfD-Landtagsfraktion. Das bringt auch deren Pläne für einen Corona-Untersuchungsausschuss ins Wanken.

Dirk Gaw im Landtag
"Lange mit mir gehadert": Der Landtagsabgeordnete Dirk Gaw hat die AfD verlassen. Bild © hr
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AfD im Landtag verliert einen Abgeordneten

Abgeordnete der AfD im hessischen Landtag
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Ob Richtungsstreit oder persönliche Animositäten: Vier Mitglieder verlor eine zerstrittene AfD-Fraktion im hessischen Landtag in der vergangenen Legislaturperiode durch Austritt oder Ausschluss. Mit den Abgeordneten, die seit Januar im Parlament zusammensitzen, sah der Vorsitzende Robert Lambrou seine durch die Hessen-Wahl stark gewachsene neue Fraktion konsolidiert.

Doch wenn kommenden Dienstag der noch frische Landtag in seine dritte Plenarwoche startet, hat die AfD nach hr-Informationen einen Abgeordneten weniger. Dirk Gaw, eine Zeit lang Vize-Vorsitzender der Fraktion und ihr Obmann im Hanau-Untersuchungsausschuss, ist aus der Partei ausgetreten.

Gaw: "Lange mit mir gehadert"

Der 52 Jahre alte Polizist aus Hammersbach (Main-Kinzig) bestätigte dem hr diesen Schritt am Mittwochnachmittag auf Anfrage. Partei und Landtag seien informiert. "Ich habe lange mit mir gehadert und durchgehalten. Aber ich habe einfach keine Kraft mehr", sagte er.

Es gebe mehrere Gründe für den Austritt. Ein aktueller Anstoß war laut Gaw der Bericht über die Teilnahme von AfD-Mitgliedern an einem Treffen in Potsdam. Dort wurden der Rechercheplattform Correctiv zufolge unter dem Schlagwort "Remigration" Pläne diskutiert, eine große Anzahl von Menschen zu zwingen, das Land zu verlassen.

Das hatte auch in Hessen Empörung und landesweit Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ausgelöst. Anfang Februar verabschiedete der Landtag ohne die Stimmen der AfD eine Resolution, in der er sich hinter diese Demonstrationen stellte.

Brief gegen Höcke unterzeichnet

"Ich habe mich immer anständig verhalten. Aber wenn immer wieder solche Fälle bekannt werden, bekomme ich den Eindruck, dass man Leute wie mich nicht in der Partei haben will", sagte Gaw. Sein Landtagsmandat will er behalten.

Der Abgeordnete gilt als gemäßigt, spricht in Plenarsitzung und Ausschüssen in ruhigem Ton. 2018 zählte er zu den Unterzeichnern eines parteiinternen Brandbriefs von 100 AfD-Funktionären gegen den rechtsextremen thüringischen Landesparteichef Björn Höcke.

Als einer von bislang fünf Kandidaten der AfD fiel er Anfang 2020 bei einer Wahl zum Landtags-Vize-Präsidenten durch. Nach rund einem Jahr als Vize-Fraktionschef legte er 2021 den Posten infolge innerparteilicher Auseinandersetzungen nieder. Zuletzt war er Sprecher der Fraktion für Justizvollzug sowie für Sport und saß für die Partei im Innenausschuss.

Gericht entscheidet über AfD-Einstufung

Mit Blick auf die "vielen anderen anständigen Leute", die es in der Partei noch gebe, tue ihm der Schritt leid. Er könne es aber auch seiner Familie nicht länger zumuten, was die Mitgliedschaft angesichts der Entwicklung der AfD mit sich bringe. Zu den Zumutungen zählten aber auch ungerechte Anfeindungen, die er von AfD-Gegnern erfahre.

Viele aus dem als eher gemäßigt geltenden Lager hatten Gaws Schritt schon deutlich früher vollzogen. Sein Austritt fällt in einer Zeit, in der ein Verbot der AfD diskutiert wird. Kommende Woche befasst das Oberverwaltungsgericht Münster sich mit der Frage, ob die Partei vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden darf. Die Vorinstanz hatte das bejaht.

In Hessen hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden dem Verfassungsschutz in der gleichen Frage Recht geben: Die Landespartei darf als rechtsextrem verdächtigt und deshalb beobachtet werden. Die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative darf bundesweit allerdings sogar als gesichert rechtsextrem eingestuft und entsprechend überwacht werden. Vier JA-Mitglieder gehören der AfD im hessischen Landtag an. Partei und JA bestreiten die Vorwürfe und wehren sich juristisch.

Wütbürger, Polizisten und Verfasssungstreue

Gaw weist auf Nachfrage zurück, dass innerhalb der hessischen AfD-Fraktion verfassungsfeindliche Bestrebungen geäußert oder geduldet worden wären. "Dann hätte ich sofort aufgehört." Anders als vielleicht in anderen, ostdeutschen Landesverbänden habe es in Hessen vielmehr eine Tendenz gegeben, "dass sich immer mehr ein Wutbürgertum ausbreitet". Das habe es zunehmend erschwert, konstruktiv und sachlich zu arbeiten.

Die drohende verbindliche Einstufung der AfD als rechtsextrem ist für Gaw von besonderem Gewicht, weil er als Polizist Staatsbediensteter und besonders zur Verfassungstreue verpflichtet ist. Er selbst habe nie den geringsten Anlass zu Zweifeln an seiner Verfassungstreue gehabt, sagt er. Er fügt jedoch hinzu, dass auch sein Beamtenstatus ein Grund für den Austritt sei. "Ich habe einen Eid auf die demokratische Verfassung geschworen, nicht auf die Partei."

Das Problem der Beamten in der Partei

Gaw war nicht der einzige Beamte in der AfD-Fraktion. Ihr gehört mit Sandra Weegels aus Gießen auch eine Polizeibeamtin an. Der AfD-Abgeordnete Heiko Scholz arbeitete bis zur Wahl zum Abgeordneten als verbeamteter Lehrer.

Solange die AfD nicht für verfassungswidrig erklärt werde, dürften ihre Mitglieder nicht vom Beamtenverhältnis ausgeschlossen werden, erklärte der bayerischen Beamtenbund im Januar. Da hatte CSU-Ministerpräsident Markus Söder bezweifelt, dass AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst sein sollten.

Neben der Frage, ob es sich um Funktionäre handele, muss laut Beamtenbund aber geprüft werden, ob es Hinweise auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung und entsprechende Äußerungen der Betroffenen gebe. Dann kämen Maßnahmen bis zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis in Frage.

Gaw will als Fraktionsloser im Landtag bleiben

"Wir bedauern sein Ausscheiden sehr", sagte Fraktionschef Robert Lambrou über Gaws Austritt auf hr-Anfrage. Lambrou interpretierte den Austritt so: Gaw habe die Entscheidung aus persönlichen Gründen getroffen. Der Druck, der "durch Diffamierung und Stigmatisierung" auf den Parteimitgliedern laste, sei enorm.

Wie alle anderen AfD-Abgeordneten war Gaw über die Landesliste der Partei in den Landtag gewählt worden. Ende 2022 hatte er auf einem turbulenten Landesparteitag als Vertreter des AfD-Kreisverbandes Main-Kinzig, dem auch die AfD-Vize-Bundesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Marina Harder-Kühnel angehört, den sicheren Platz 10 erhalten.

"Ich fühle mich den Menschen verpflichtet, die auf meine konstruktive Arbeit vertrauen", sagte Gaw nun zum Festhalten an seinem Mandat. In Abstimmungen über Gesetzentwürfe und Anträge will er nach eigenen Angaben je nach Sachthema entscheiden. Übergeordnet bleibe für ihn, mit einer "freiheitlich-konservativen" Haltung daran zu arbeiten, dass auch die junge Generation "in einem funktionierenden Staat" leben könne.

Für die AfD bedeutet das: Ihr gleich nach der Landtagswahl im Oktober des vergangenen Jahres angekündigtes Vorhaben, einen Corona-Untersuchungsausschuss einzusetzen, gerät ins Wanken.

Für einen Corona-Ausschuss wird es knapp

Dabei schien es nach ihrem Erfolg bei der Hessen-Wahl, als habe die AfD als nun zweitstärkste Fraktion mit 28 Mandaten in jedem Fall selbst genug Stimmen, die Einsetzung eines solchen Untersuchungsausschusses gegen den Rest des Landtags durchzusetzen. Mindestens ein Fünftel aller 133 Stimmen im Landtag, also 27 Stimmen, sind für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nötig.

Wegen Kontakten zu Neo-Nazis nahm die AfD-Fraktion den für sie bei der Wahl angetretenen Abgeordneten Sascha Herr aber erst gar nicht auf. Er ist ebenfalls fraktionslos. Da sich Gaw nun von ihr gelöst hat, kommt die Fraktion nur noch auf 26 Mitglieder. Herr könnte trotzdem für einen Untersuchungsausschuss votieren und die fehlende Stimme liefern. Die Stimme des nun fraktionslosen Gaw kann die AfD nicht einplanen.

Er halte eine Aufarbeitung von politischen Fehlern während der Pandemie zwar für sinnvoll, um für die Zukunft zu lernen, sagte der Politiker. Er bezweifle aber, dass ein Untersuchungsausschuss das richtige Gremium dafür sei, "weil dort zu viele parteipolitische Spielchen zu befürchten sind".

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 06.03.2024, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de