Parteispitze trägt Asyl-Kompromiss mit An der grünen Basis in Hessen brodelt es
Im hessischen Landtag verlaufen die Fronten meist klar und deutlich zwischen Regierung und Opposition. Die neuen EU-Asylregeln aber bewerten insbesondere die Grünen unterschiedlich. Manche sind entsetzt.
Die Landespolitik hat gespalten auf die schärferen Asylregelungen reagiert, auf die sich die Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten jüngst verständigt haben. "Die EU hat einen Anschlag auf die Menschenrechte zu verantworten", sagt Linken-Fraktionschefin Elisabeth Kula. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) findet dagegen, der Kompromiss, der unter anderem Asylverfahren noch an den Außengrenzen der EU vorsieht, gehe "in die richtige Richtung. Er muss nun schnell umgesetzt werden."
Bei den Grünen in Hessen gibt es solch konträre Äußerungen trotz identischen Parteibuchs. "Wir sind entsetzt", sagt Rodi Cicek, Landesvorsitzender der Grünen Jugend, "grundlegende Menschenrechte und das Recht auf Asyl werden ausgehöhlt."
Wenn Geflüchtete an der EU-Außengrenze zunächst in Aufnahmezentren kommen, fürchtet Cicek "wieder ganz viele schreckliche Bilder, wo Menschen auf engstem Raum leiden". Abschreckung und Abschottung würden Migration nicht aufhalten. Der Jugendverband der hessischen Grünen hofft nun, dass das Europaparlament das Vorhaben stoppt. Dort zeigten sich Grünen-Abgeordnete "fassungslos" über den Kompromiss.
Kernthema spaltet die Grünen
Neben der Klima- und Umweltpolitik zählt die Flüchtlings- und Migrationsthematik zu den Kernbereichen der Grünen. An der Basis brodelt es. Die unterschiedlichen Bewertungen in der aktuellen Frage setzen die Parteispitze unter Druck, schließlich haben die Grünen den EU-Kompromiss in der Ampel-Koalition mitgetragen. SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einem Erfolg, der grüne Bundesparteichef Omid Nouripour aus Frankfurt von einem "notwendigen Schritt" und von "klaren Verbesserungen".
Auf Seiten der Pragmatiker steht auch der stellvertretende Ministerpräsident und Spitzenkandidat zur Hessenwahl, Tarek Al-Wazir (Grüne). Auf dem Hessentag in Pfungstadt sagte er, die Zustimmung Deutschlands sei richtig gewesen: "Bei 27 Ländern wird sich Deutschland nicht in allen Punkten durchsetzen können." Den Kompromiss habe er daher "nicht zu kritisieren".
Brandbrief an die Grünen-Spitze
Noch vor einigen Tagen hatten über 700 Grünen-Mitglieder der Parteispitze einen Offenen Brief geschrieben und vor "der Ausweitung sicherer Drittstaaten und Grenzverfahren in Haftlagern" gewarnt. Zu den Unterzeichnern gehört auch die Vorsitzende der grünen Römerfraktion in Frankfurt, Tina Zapf-Rodriguez (Grüne). Ihr zufolge könnte die Entscheidung der EU-Innenminister "die Gesellschaft spalten" – etwa bei noch zu klärenden Fragen des Kinderschutzes.
Besser als der Status Quo?
Die Kritiker will Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner besänftigen: "Es gibt eine Reihe an Punkten, die eine Verbesserung zum Status Quo bringen." Hätte sich die Bundesregierung gesperrt, hätte auch dies Konsequenzen nach sich gezogen: "Es ist ja nicht so, als hätten wir im Moment eine menschenwürdige und zufriedenstellende Situation an den EU-Außengrenzen."
Die parteiinternen Diskussionen fürchtet der Fraktionsvorsitzende nicht: "Unterschiedliche Meinungen sind ja ganz selbstverständlich. Die muss man mit dem Respekt vor der anderen Haltung austauschen." Die Inhalte des Kompromisses sprächen für sich.
Fünfseitiger Brief von Baerbock
Rodi Cicek vom hessischen Grünen-Parteinachwuchs will sich aber nicht besänftigen lassen. Der Kompromiss sei – anders als von der Bundesregierung dargestellt – weder ein Erfolg noch sei die Migrationspolitik solidarisch. "Es wird zu Leid an den Routen führen", sagt er. Maßgeblich sei dafür Bundesinnenministerin Faeser verantwortlich. Ihren Wahlkampf in Hessen werden man genau beobachten.
Faeser zur Seite springt derweil ihre Kabinettskollegin und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). In einem fünfseitigen Brief an ihre Parteifreunde verteidigt sie das Ja aus Deutschland. "Ein Nein Deutschlands zur Reform hätte mehr und nicht weniger Leid bedeutet."
Sendung: hr-iNFO, 9.6.2023, 19 Uhr
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