Angriffslust und Versagensängste So zieht die FDP mit dem "Anti-Al-Wazir" in den Wahlkampf

Vier Monate vor der Landtagswahl eröffnet die hessische FDP auf ihrem Parteitag in Wetzlar endgültig den Wahlkampf. Ihr Spitzenkandidat Naas ist längst auf Betriebstemperatur. Hinter seinen Attacken auf die Grünen stecken auch Sorgen.

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"Unsere Wunschkoalition…" - dieser Passus kommt in dem Programm nicht vor, mit dem sich die FDP am Wochenende in Wetzlar für die Landtagswahl am 8. Oktober als zukünftige Regierungspartei in Stellung bringt. Muss auch nicht.

Die Partei hat den Blinker schon gesetzt: Sie will Schwarz-Grün in Hessen ablösen und nach zehn Jahren in der Opposition wieder mitregieren. Und zwar anders als in der Ampel-Koalition in Berlin möglichst ohne die Grünen. Die Angriffslust ist groß, aber sie wird von der Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde begleitet.

Schauen wir uns die Ausgangslage genauer an, in der die Liberalen auf ihrem Landesparteitag endgültig den Wahlkampf starten.

 1. "Anti-Al-Wazir" auf Touren - der Kandidat

Der 49-jährige Spitzenkandidat Stefan Naas nennt sich schlagzeilentauglich den "Anti-Al-Wazir" - eine Kampfansage an Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) und dessen Partei. Das passt zum heftigen Streit in der Ampel-Koalition. Und der langjährige Bürgermeister von Steinbach (Hochtaunus) läuft nicht nur bei der Auseinandersetzung um den Autobahnausbau schon seit Wochen auf hohen Touren: Naas, der Macher, Al-Wazir, der Bremser, lautet die Botschaft.

Inhaltlich steht Naas für die wirtschaftsliberale Ausrichtung der FDP. Er ist auch ihr wirtschaftspolitischer Sprecher im Landtag. Mit dem Kurs erhoffen sich die Liberalen die größten Wahlchancen. So wurde der promovierte Jurist im Dezember unumstritten Spitzenkandidat - an Stelle von Fraktionschef René Rock, der noch 2018 oben auf der FDP-Liste stand und mehr als Naas auch auf soziale Themen setzt.

Wenn Naas so laut trommelt, liegt das nicht zuletzt an seinem vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrad. Erst seit 2019 gehört er dem Landtag an. Die CDU mit Regierungschef Boris Rhein, die SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die Grünen mit Vize-Ministerpräsident Al-Wazir haben es im Kampf um Aufmerksamkeit für ihre Spitzenkandidaten leichter.

2. Fest im Sattel, schwerer Stand - die Vorsitzende

Die Landesvorsitzende Bettina Stark-Watzinger stellt sich am Samstag zur Wiederwahl. Mit einem guten Ergebnis wird die 55-Jährige rechnen: Sie ist seit 2021 im Amt, unumstritten, als Bundesbildungsministerin Gallionsfigur der hessischen FDP und seit April auch Vize-Vorsitzende der Bundespartei.

Bettina Stark-Watzinger auf einer Politikveranstaltung.
Bettina Stark-Watzinger Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

So fest sie im Sattel ist, so schwer ist ihr Stand in Berlin. Sie steht im Schatten der Partei- und Kabinettskollegen Christian Lindner (Finanzen) und Volker Wissing (Digitales und Verkehr) - und von Männern wie FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki. Das liegt auch am Ressort: Bildung ist Sache der Länder. Stark-Watzingers Bildungsgipfel ging schief: 14 Länder sagten ab.  

3. Das Versprechen vom Wirtschaftswachstumsland - das Programm

Bildung ist einer der Schwerpunkte im Wahlprogramm der FDP, das in Wetzlar zur Abstimmung steht. Die vor kurzem von der Landesregierung beschlossene, schrittweise bis 2028 umzusetzende Bezahlung von Grundschullehrkräften nach A13 soll aufs Jahr 2026 vorgezogen werden. Die FDP kann sich zudem eine mehr leistungsbezogene Bezahlung von Lehrern vorstellen.

Vor allem setzt die FDP aber eben auf Wirtschaftspolitik und Wachstum. Den Bürgern verspricht Naas, Hessen generell aus der von ihm konstatierten Mittelmäßigkeit zu führen und zum "Wirtschaftswachstumsland Nummer eins in Deutschland" zu machen. Stichworte lauten "leistungsfähige Infrastruktur", "Gleichstellung des Meistertitels mit dem Master" oder die "Liberalisierung der Sonntagsöffnung" von Geschäften.

4. Hoffnung nach dem Umfragetief - die Stimmung

Stolze 11,5 Prozent holte die FDP bei der Bundestagswahl 2021, dann ging es nicht nur in Umfragen abwärts. In mehrere Landesparlamente schaffte sie es nicht. Und die Fünf-Prozent-Hürde muss sie auch hier erst einmal schaffen. Das hat fast immer geklappt, aber es wurde auch gezittert.

Auch im jüngsten hr-hessentrend Ende März waren es gerade einmal 5 Prozent, deutlich weniger als bei der Hessen-Wahl 2018 (7,5%). Zurzeit liegt die FDP in Umfragen auf Bundesebene bei 6 bis 8 Prozent. Hinzu kommt die strategische Sorge der FDP, im hessischen Wahl-Dreikampf zwischen CDU, Grünen und SPD zerrieben zu werden.

FDP-Generalsekretär Moritz Promny macht sich und der Partei unter anderem mit historisch guten 6,7 Prozent bei der Kommunalwahl 2021 Mut. Und damit, dass die FDP bei Bundestagswahl mit einem hohen Erstwähleranteil von 23 Prozent gleich auf mit den Grünen und weit vor allen anderen lag.

5. Nichts wird ausgeschlossen, aber … - die Wunschkoalition

"Wir schließen nichts aus", sagt Spitzenkandidat Naas. Aber anders als CDU, SPD und Grüne, die alle erklärtermaßen den nächsten Minsterpräsidenten stellen wollen, legt er seine Karten auf den Tisch.

Regieren würde er an erster Stelle "gerne mit der CDU". An zweiter Stelle "gerne in einer Deutschland-Koalition", also mit CDU und SPD. Mit den Grünen in einer Ampel-Koalition wie in Berlin? "Eine andere Koalition wäre uns lieber."

Auch Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) wird eine größere Nähe zur FDP als zu den Grünen nachgesagt. Gleichzeitig kämpft die FDP bei der Landtagswahl im Oktober vor allem um Wähler, die auch die CDU im Auge hat.

Von einer schwarz-gelben Mehrheit ist Hessen weit entfernt. Jedes der rechnerisch viel wahrscheinlicheren Dreier-Bündnisse mit FDP-Beteiligung könnte den vermuteten Ehrgeiz von "Anti-Al-Wazir" Naas bremsen. Auf das Wirtschaftsressort, das sein Lieblingsgegner derzeit führt, bekäme der kleinste Koalitionspartner schwerlich den ersten Zugriff. Und wenn es bei Schwarz-Grün bliebe, könnte am Ende Al-Wazir selbst den Posten behalten.

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Sendung: hr-iNFO, 3.6.2023, 6.00 Uhr

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Quelle: hessenschau.de