Mehr Videoüberwachung, neue Big-Data-Regeln Schwarz-Grün setzt umstrittenes Sicherheitspaket durch

Ob Videoüberwachung oder Extremisten-Beobachtung: Hessens Sicherheitsbehörden erhalten mehr Befugnisse. Bei der Analyse-Software Hessendata schaltet die schwarz-grüne Koalition notgedrungen einen Gang zurück. Kritikern geht die Sache trotzdem viel zu weit.

Kameras einer Videoüberwachungsanlage hängen an der Hauptwache in der Frankfurter Innenstadt.
Videoüberwachung wie hier an der Frankfurter Hauptwache ist bald leichter möglich. Bild © picture-alliance/dpa
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Es war spät am Donnerstagabend, als der Landtag mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierungskoalition ein großes Sicherheitspaket verabschiedete. SPD, FDP und Linke stimmten dagegen. Die AfD enthielt sich.

Polizei und Verfassungsschutz sollen mehr Möglichkeiten bei Ermittlungen gegen Kriminelle und Terroristen erhalten. In Zukunft soll unter anderem die Videoüberwachung an öffentlichen Orten in Hessen deutlich ausgeweitet werden können.

Außerdem wird der Einsatz der umstrittenen Analyse-Software Hessendata neu bestimmt, nachdem die Karlsruher Richter die bisherige Regelung im Februar für verfassungswidrig erklärt haben.

Erst zäh, dann jäh

Ungewöhnlicher als die Uhrzeit der Entscheidung gegen 21.30 Uhr war das lange parlamentarische Verfahren bis zur umstrittenen Reform - und wie schnell es am Ende über die Bühne ging.

"In der B-Note hätte dieses Gesetzgebungsverfahren schöner sein können", hatte Innenminister Peter Beuth (CDU) bereits am Dienstag eingeräumt.

Denn schon vor mehr als einem Jahr hatte sich der Landtag erstmals mit der Sache befasst. Zwei Expertenanhörungen gab es, mittendrin funkte das Bundesverfassungsgericht dazwischen.

In dieser Woche dann zwei Debattendurchgänge und die Abstimmung. Erst vor einer Woche hatte die Koalition noch eine entscheidende Änderung festgezurrt.

Verfahren umstritten, Inhalt noch mehr

Am Ende war es nicht nur die B-Note, sondern vor allem die A-Note, bei der die Opposition den Daumen senkte. Denn der Inhalt der Gesetze ist noch umstrittener als das Verfahren.

Den Gegnern ist die Reichweite der Instrumente zu groß bemessen. Die Befürchtung, bei Hessendata könne eine ausufernde Überwachung unbescholtener Menschen immer noch Folge sein, fasste SPD-Innenexpertin Heike Hofmann gegenüber dem Regierungslager so zusammen: "Sie haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Änderung nicht erfüllt."

Gewiss benötige die Polizei moderne, brauchbare Instrumente. Das immer noch verfassungswidrige Gesetz schade aber auch ihr.

Schwarz-Grün weist das zurück. Eingeschränkt würden lediglich die Freiheitsrechte von Kriminellen und Terroristen. "Das ist unser Auftrag", sagte Innenminister Beuth. Insgesamt schaffe das "ab- und ausgewogene" Gesetzespaket "ein Mehr an Sicherheit".

Auf Ende September hatte das Bundesverfassungsgerichts die Frist für Nachbesserungen bei Hessendata festgelegt. Sonst hätte die Polizei diese Analyse-Software, die schon seit 2017 im Einsatz ist, gar nicht mehr benutzen dürfen.

Ein ganzes Bündel an neuen Möglichkeiten

Betroffen von der Reform ist vor allem das "Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung", außerdem das Verfassungsschutzgesetz. Das sind wesentliche Punkte:

  • Engere Regeln für Hessendata: Dem Bundesverfassungsgericht ging der gesetzliche Spielraum zu weit, der wurde nun genauer definiert. Die Software des US-Unternehmens Palantir kann in Sekundenschnelle eine enorme Fülle an Einzelinformationen verschiedener polizeilicher Datenbanken auswerten und zu Profilen verknüpfen. Bürgerrechtler befürchten den "gläsernen Bürger". Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt Hessendata dagegen als "praktizierten Opferschutz".
  • Mehr Videoüberwachung: Öffentliche Orte, die wegen ihrer Nutzung als Gefahrenpunkte eingestuft werden, können ohne Einzelprüfung videoüberwacht werden. Dazu zählen neben Flughäfen und Bahnhöfen auch Einkaufszentren, Sportstätten oder Packstationen.
  • IP-Tracking: Ohne dass Internetnutzer es bemerken, sollen Ermittler deren Identität lüften können, um schnell bei Amok-Androhungen und Suizid-Ankündigungen eingreifen zu können.
  • Ausweitung der elektronische Fußfessel auf häusliche Gewalt: Was Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) zum Wahlkampfthema machen will ("Fußfessel auch für Frauenschläger"), wäre damit schon realisiert. Bisher sind gegen die Täter maximal Wohnungsverweise, Kontaktsperren oder Gewahrsam möglich. Laut den Initiatoren kommt die Fußfessel aber jährlich nur für ein paar Fälle in Frage.
  • Mehr Befugnisse im Kampf gegen Rechts: Der Verfassungsschutz will einzelne Personen der Szene mehr in den Fokus rücken - eine Lehre unter anderem aus dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke und aus dem Attentat von Hanau. Unter anderem soll auch generell erst nach zehn Jahren geprüft werden, ob gesammelte Daten von beobachteten Menschen wieder gelöscht werden.
  • Erweiterung des Katalogs von "Straftaten mit erheblicher Bedeutung": Hierzu zählen auch Volksverhetzung oder die Verwendung von verfassungswidrigen Zeichen. Das erleichtert das Recht zu Überwachungen oder gezielten Kontrollen.
  • Bewerber strenger durchleuchtet: Wer in Hessen Vollzugsbeamter werden will, soll zukünftig auch ohne Verdacht in jedem Fall gründlich auf seine Verfassungstreue hin kontrolliert werden.
  • Reform der Bereitschaftspolizei: Aus dem Bereitschaftspolizeipräsidium wird das Polizeipräsidium Einsatz. Diese Behörde allein wird alle Spezialeinsatzkommandos (SEK) und Mobile Einsatzkommandos (MEK) führen. Noch sind einzelne SEK auch an die Polizeipräsidien Nordhessen und Frankfurt angebunden.

Grüne sehen Rechtsstaatsprinzip gestärkt

Hier würden die Rahmenbedingungen für mehr Sicherheit verbesserte, verteidigten Innenminister Beuth und CDU-Innenexperte Alexander Bauer am Donnerstag die Reform. Bei Hessendata gehe es nicht um Alltagskriminalität. "Es geht um Aufklärung schwerwiegender Delikte wie Terrorismus, organisierte Kriminalität und Kindesmissbrauch", sagte Bauer.

Eva Goldbach (Grüne) entgegnete Kritikern, das Rechtsstaatsprinzip werde gerade gestärkt. So erhalte die Kennzeichnungspflicht für Polizisten Gesetzesrang. Über Maßnahmen wie den Einsatz von V-Männern entschieden künftig Gerichte. "Wir haben hier eine gute Regelung geschaffen. Das war hochkomplex."

Dagegen befand Ex-Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das Gesetz sei immer noch verfassungsrechtlich bedenklich. So sei die Videoüberwachung nicht klar geregelt - etwa bei der Frage, was ein Einkaufszentrum sei.

Ein "trauriger Tag" für die Gegner

Von einem "traurigen Tag für die Demokratie" sprach der Linken-Abgeordnete Torsten Felstehausen. Er äußerte Zweifel, dass das Gesetz einer erneuten verfassungsrechtlichen Prüfung standhalte.

Viele geplanten Maßnahmen seien sinnvoll und Kritik sehr wohl berücksichtigt worden, befand dagegen Dirk Gaw (AfD). Die Vorgaben lassen ihm aber immer noch zu viel Spielraum. Was die neuen Regelungen wert seien, werde die Praxis erweisen müssen.

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Sendung: hr-iNFO, 30.06.2023, 6 Uhr

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Quelle: hessenschau.de