Ex-Landesparteichef Jörg-Uwe Hahn im Interview "In so einer Lage habe ich die FDP in den letzten 50 Jahren noch nie erlebt"

Nach vier Jahrzehnten im Landtag ist für den hessischen FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn Schluss. Im Interview sagt der 67-Jährige: Die aktuelle Krise seiner Partei macht selbst ihn ratlos. Und er bekennt, welche Entscheidung er gerne rückgängig machen würde.

Jörg-Uwe Hahn steht am Rednerpult im Landtag.
Nach 37 Jahren ist für den FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn endgültig Schluss im Landtag. Bild © Imago Images
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Wenn am 18. Januar der neue Hessische Landtag in Wiesbaden zusammentritt, wird die oppositionelle FDP-Fraktion nicht nur zahlenmäßig geschrumpft sein. Mit Jörg-Uwe Hahn fehlt ihr auch eine Ausnahmefigur. Der 67-Jährige aus Bad Vilbel (Wetterau) zieht sich nach 37 Jahren als Abgeordneter aus der Landespolitik zurück.

Der langjährige Chef von Landespartei und Landtagsfraktion weiß noch aus persönlicher Erfahrung, wie Landesregierung geht. Ein Wahlergebnis von mehr als 16 Prozent machte ihn von 2009 bis 2014 zum Vize-Ministerpräsidenten und Minister für Justiz, Integration und Europa der damals schwarz-gelben Koalition - und zum bundesweit "mächtigsten Landesfürsten" der FDP, wie die Zeitung "Die Welt" damals schrieb.

Enge Partnerschaft mit Hessen-CDU

Hahn stand für eine enge Partnerschaft mit der Hessen-CDU. Als es für die Koalition nicht mehr reichte, nahm er auf einer Hinterbank seiner Fraktion Platz, ohne in der Versenkung zu verschwinden: Vor allem als Vize-Landtagspräsident und FDP-Obmann im Hanau-Untersuchungsausschuss trat er zuletzt in Erscheinung.

Zum Abschiedsinterview an einem nassen Januartag kommt Fußball-Fan Hahn mit schwarz-weiß-rotem Eintracht-Schal nach Frankfurt. Sein Lieblingsverein spielt in der Bundesliga derzeit oben mit. In der Partei ist mal wieder Abstiegskampf angesagt.

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Das Gespräch führte Wolfgang Türk

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hessenschau.de: Herr Hahn, der Samstag wird für Sie wohl nicht so freudvoll. Die Eintracht hat ein Testspiel gegen Freiburg, aber Sie müssen sich die Krisenstimmung beim Dreikönigstreffen Ihrer Partei in Stuttgart zu Gemüte führen. Oder schauen Sie sich das erst gar nicht an?

Jörg-Uwe Hahn: Als FDP-Landesvorsitzender saß ich ja öfter dort auf dem Podium und kenne die Rituale. Das brauche ich nicht mehr. Aber ich werde es mir vor dem Fernseher anschauen.

Ich bin insbesondere gespannt darauf, was unser Bundesvorsitzender Christian Lindner sagt. Die FDP ist in einer so schwierigen Situation, wie ich sie in den letzten 50 Jahren nie erlebt habe. Man kann ja alles irgendwie lösen. Aber ich habe derzeit keine Ahnung, wie das gehen soll.

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Zu nuscheln, die FDP verhindere in Berlin noch Schlimmeres, reicht nicht aus.
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hessenschau.de: Vor gut zehn Jahren drängten Sie den damaligen Parteichef Guido Westerwelle vergeblich, bei einem Dreikönigstreffen seinen Rücktritt anzukündigen. FDP stehe für Fast Drei Prozent, wurde in der Krise damals gewitzelt. Ist es wieder Zeit für einen Wechsel?

Hahn: Ich habe Guido sehr gemocht. Wir haben auch sehr erfolgreich Wahlkämpfe geführt. Meine 16,2 Prozent bei der Landtagswahl 2009 hätte ich nicht ohne seine Unterstützung geschafft, er seine 14,6 Prozent bei der darauf folgenden Bundestagswahl auch nicht.

Aber irgendwie war sein Feuer weg. Das Gefühl habe ich bei Christian Lindner noch nicht. Er ist fit genug, sich etwas einfallen zu lassen. Und er muss sich etwas einfallen lassen. Das damit wegzunuscheln, die FDP verhindere in Berlin noch Schlimmeres, reicht nicht aus.

Jörg-Uwe Hahn mit Christian Lindner im Jahr 2011 bei einem Parteitag in Stadtallendorf.
"Wegnuscheln reicht nicht": Jörg-Uwe Hahn (li.) mit Christian Lindner im Jahr 2011 bei einem Parteitag in Stadtallendorf. Da war der eine Chef der Hessen-FDP, der andere Generalsekretär der Bundespartei. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

hessenschau.de: Der maßgeblich von Hessen aus initiierte Mitgliederaufstand für ein Verlassen der Ampel ist verpufft, außerdem kann die FDP alles besser gebrauchen als Neuwahlen.

Hahn: Das wäre eine sehr egoistische Betrachtungsweise, die die FDP nicht immer hat. Sonst wären wir vor zwei Jahren auch nicht aus staatsbürgerlichem Pflichtgefühl in diese Koalition hineingegangen. Die Union war mit Laschet und Söder so in sich verhakt, dass sie nicht dazu bereit war.

hessenschau.de: Sie mögen die Grünen ja nicht. Aber hätten sich Ihre Kollegen in Berlin von den Grünen in Hessen nicht abschauen können, wie man diszipliniert in einer Lager übergreifenden Koalition arbeitet?

Hahn: Der Hinweis ist richtig, geht aber in die falsche Richtung. Es sind die Grünen in Berlin, die sich bei ihren hessischen Kollegen abgucken sollten, wie man das macht. Die Grünen bringen doch mit immer neuen Forderungen die Ampel zum dauernden Konflikt.

hessenschau.de: Die Grünen in Berlin sind aber nicht schuld an der FDP-Misere. Und Robert Habeck nicht daran, dass Ihre Partei im Oktober fast aus dem Landtag geflogen wäre. Lag das nicht an der FDP selbst?

Hahn: Ich weiß jetzt nicht, woher Sie den Gedankensprung von Habeck zur Landtagswahl nehmen.

hessenschau.de: Sie geben im Zusammenhang mit der FDP-Misere, die auch eine hessische ist, den Grünen die Schuld an der schlechten Ampel-Performance.

Hahn: Noch einmal: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir hatten von Anfang an schlechte Karten, weil wir nicht in den Dreikampf um die Staatskanzlei eingreifen konnten. Wir konnten ja nicht ernsthaft sagen, unser Spitzenkandidat Stefan Naas wolle auch Ministerpräsident werden.

Das zweite große Manko war, dass wir es in fünf Jahren in Hessen nicht geschafft haben, ein Thema wirklich positiv mit uns zu verbinden.

hessenschau.de: Welches Thema hätte das sein können?

Hahn: Das hätte die Finanzpolitik oder genauso gut die Migrationspolitik mit der Begrenzung der Flüchtlingszahlen und der Integration sein können. Bei diesem Thema lähmen wir uns zu sehr selbst, weil wir Angst haben, inhaltlich in die Nähe der AfD zu kommen. Ich war ja der erste Integrationsminister Hessens, meine Nachfolger haben sich darum kaum gekümmert.

hessenschau.de: Vielleicht zweifeln inzwischen einfach auch zu viele Menschen daran, dass mit dem Glauben an Freiheit und Markt einige ernste Probleme gelöst werden können: vom Wohnungsmangel im Ballungsraum bis zu den Folgen des Klimawandels.

Hahn: Schon das Beispiel Wohnungsmangel zeigt, dass die Frage unfair ist. Es gibt doch gar keinen Wohnungsmarkt. Weil wir alles regulieren, funktioniert es doch nicht.

Ich bin selbst Miteigentümer eines Bauunternehmens. Was Sie da alles beachten müssen! Bäder dürfen nicht innen liegen, ab dem zweiten Stockwerk brauchen Sie einen Aufzug. Das ist alles schön, aber es macht alles teurer. Und deshalb gibt es keinen bezahlbaren Wohnraum.

hessenschau.de: Im Landtag wird sich die FDP neu sortieren müssen. Sie versucht es erstmals mit einer Mann-Frau-Doppelspitze. Ist das ein moderner Ansatz oder ein Zeichen der Schwäche, weil der bei der Wahl wenig erfolgreiche Naas als Co-Fraktionschef gesichtswahrend eingehegt werden soll?

Hahn: Die Doppelspitze ist eine neue Idee. Da ich der neuen Fraktion nicht mehr angehören werde, will ich dies nicht bewerten. In jedem Fall wird die FDP im neuen Landtag zunächst einen sehr schweren Stand haben.

Da ist zum einen eine neue, bürgerlichere Regierungsmehrheit, auf der anderen Seite mit Grünen und AfD zwei aggressive, in sich selbst verliebte Oppositionsfraktionen. Da muss man erst einmal die Rolle als vernünftiger Mahner in der Mitte finden.

hessenschau.de: Sie selbst hätten mit der Ausrichtung, die Ministerpräsident Rhein der CDU und dem Land gerade nach dem Ende von Schwarz-Grün gibt, keine Probleme. Mit dem noch konservativeren Ex-CDU-Ministerpräsident Roland Koch konnten Sie besonders gut, und Sie werden zum konservativen Flügel der FDP gezählt.

Hahn: Ich habe mal als Sozialliberaler angefangen und mich vielleicht mit zunehmendem Alter ein bisschen nach rechts bewegt, aber dass ich ein Liberalkonservativer wäre, stimmt so nicht.

Es hängt doch immer von den einzelnen Themen ab, wie man sich positioniert. Bei manchen bin ich so was von progressiv, zum Beispiel beim Datenschutz und der Durchsetzung der Marktwirtschaft.

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Heute würde man das auf keinen Fall mehr mit Ditib machen.
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Und wo bitte waren wir in der Regierungszeit konservativ? In der Migrationspolitik waren wir mit mir als erstem Integrationsminister das offenste Land. Wir haben von Anfang an Integrationsorganisationen unterstützt und Integrationslotsen landesweit eingesetzt. Ich bitte um Entschuldigung, aber da müssen Sie noch mal in die Geschichtsbücher schauen.

hessenschau.de: Eines Ihrer wegweisenden Integrationsprojekte bereitet dem Land heute Kopfzerbrechen. Der Moscheeverband Ditib Hessen untersteht der türkischen Regierung, ist aber Partner für den konfessionsgebundenen islamischen Religionsunterricht an den hessischen Schulen. War das ein Fehler?

Hahn: Das war im Nachhinein gesehen ein Fehler. Aber wenn wir uns ins Jahr 2009/2010 zurückbeamen, war die Türkei eben noch ein anderes Land als heute. Auch Ditib Hessen hat sich ganz anders entwickelt.

Heute würde man das auf keinen Fall mehr mit Ditib machen. Es gibt derzeit überhaupt keinen Islamverband, der das unabhängig machen kann. Hätte ich heute zu entscheiden, würde ich mich für die staatliche Islamkunde einsetzen und nicht mehr für den islamischen Religionsunterricht.

Jörg-Uwe Hahn als Integrationsminister zu Besuch in einer DITIB-Moschee
"Entscheidung war im Nachhinein ein Fehler": Jörg-Uwe Hahn als Integrationsminister zu Besuch in einer DITIB-Moschee Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

hessenschau.de: Die Zeit als Minister war Ihr Karriere-Höhepunkt. War es der Tiefpunkt, als das schon nach einer Wahlperiode mit dem Ende von Schwarz-Gelb vorbei war?

Hahn: Der Wahlabend 2013 war fürchterlich. Das hat mir aber auch gezeigt, dass man lernen kann, Abschied zu nehmen. Deshalb fällt es mir jetzt, nach 38 Jahren Landtag, bestimmt nicht mehr so schwer.

hessenschau.de: Früher waren Sie oft nicht zimperlich, die Frankfurter Rundschau hat Sie sogar mal "Poltergeist" genannt. Zuletzt wirkten Sie gerade in der Rolle als Landtags-Vizepräsident eher als Mann des Ausgleichs. Sind Sie am Ende altersmilde geworden?

Hahn: Sicherlich habe ich gerade in jungen Jahren als Oppositionspolitiker aggressiver und auch polemischer formuliert. Ich glaube aber nicht, dass ich ein Poltergeist gewesen bin. Hinzu kommt, dass man als jüngerer Politiker auch irgendwie auffallen muss. Aber auch wenn ein bisschen Schauspiel immer dabei ist: Einer der wichtigsten Punkte in der Politik war für mich die Authentizität.

In seiner persönlichen Entwicklung wird man dann aber schon konzilianter. Es hat mir als Parlaments-Vizepräsident Freude gemacht, versöhnlich zu wirken. Ich denke, dass meine Rolle als Elder Statesman auch überparteilich anerkannt worden ist. Wir wollen schließlich alle nur das Beste für das Land. Dann machen wir es doch auch bitte gemeinsam und nicht im ewigen Streit.

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Quelle: hessenschau.de