Finale im Landtag Warum das geplante Versammlungsrecht so umstritten ist

Können sich friedliche Demonstranten darauf freuen oder nimmt der Überwachungsstaat sie ins Visier? Der Streit um das neue hessische Versammlungsrecht geht im Landtag in die Schlussphase. Aber es droht eine Verlängerung.

Demo gegen das geplante hessische Versammlungsrecht in Frankfurt
Schwarz-Grün oder die Kritiker - wer überzieht? Demo gegen das geplante hessische Versammlungsrecht in Frankfurt Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Debatte über Versammlungsrecht

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Dass sich Freiheitsrechte für Bürger nicht von selbst verstehen, hat die Corona-Politik mit ihren Einschränkungen einem größtmöglichen Publikum vor Augen geführt. Sicherheit und Ordnung hier, das Recht zu demonstrieren da – in diesem Spannungsfeld geht es im Landtag in Wiesbaden zur Sache.

Die schwarz-grüne Regierungskoalition stellte am späten Dienstagabend ihr neues hessisches Versammlungsrecht noch einmal zur Diskussion, um es dann mit ihrer Mehrheit zu beschließen. Zu der erwarteten dritten Lesung kommt es damit nicht mehr. Was Innenminister Peter Beuth (CDU) bei der Einbringung des Entwurfs vergangenen November "modern und wegweisend" nannte und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in einer Anhörung im Innenaussschuss "rundum gelungen" - es trifft auf erregten Widerstand.

Klage schon angekündigt

Rund 700 Menschen haben am vergangenen Wochenende bei einer Demo in Frankfurt einen Stopp des Gesetzesvorhabens gefordert. Dahinter steht ein Bündnis, dessen Position parlamentarisch von der oppositionellen Linkspartei vertreten wird. Ihm gehören Organisationen wie Attac und Fridays for Future an, die Jugend der IG Metall, aber auch radikale Gruppen aus der linken Szene.

Es spricht vieles dafür, dass sich am Ende Verfassungsrichter mit der umstrittenen Angelegenheit befassen werden. Rechtswissenschaftler haben Bedenken angemeldet, die Linke eine Klage angekündigt.

Die Materie mag verfassungsrechtlich komplizierter sein. Politisch ist sie ziemlich klar. Hier die wichtigsten Aspekte.

1. Warum Gegner Abschreckung und Überwachung fürchten

In der Kritik steht eine Reihe geplanter Regelungen. Der Verdacht: Hier werde ein großer Schritt hin zum Überwachungsstaat vorbereitet. So werde der Polizei die Erfassung der Daten von Teilnehmern und Ordnern erleichtert – und das schon vor einer Demo. Ohne konkreten Anlass könne die komplette Demo von oben gefilmt und so jeder Teilnehmer durch Zoomen identifiziert werden.

Eine weitere Befürchtung: Unter das sogenannte Vermummungsverbot könnten bald schon kreative Gesichtsbemalung und kälteschützende Schals fallen. Und dann dürften sich auch noch Polizeibeamte in Zivil jederzeit in die Teilnehmermenge einschmuggeln. Nicht nur der DGB Hessen-Thüringen hat den Eindruck, "dass potenzielle Teilnehmer*innen von Demonstrationen abgeschreckt werden sollen".

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie beklagte, hier gehe es von vornherein um die Möglichkeit einer "Kriminalisierung von Veranstaltern und Teilnehmern". Und der Berliner Rechtswissenschaftler Clemens Arzt sagt: Das hessische Gesetz ziele bedenklich darauf, der Polizei "noch mehr Eingriffsoptionen zu geben".

2. Was einen Experten schon am Titel des Gesetzes ziemlich stört

Die Überschrift "Versammlungsfreiheitsgesetz" über den 30 Paragrafen findet nicht nur der Experte Arzt irreführend, sondern auch sein Wiesbadener Kollege Matthias Friehe von der European Business School (EBS). Und das gleich doppelt. Nicht Hessen garantiere ja die Versammlungsfreiheit, sondern das Grundgesetz im Artikel 8, heißt es in der Stellungnahme des Staatsrechtlers fürs Parlament. Außerdem werde das neue Gesetz eben nicht erlassen, um Versammlungen zu erlauben, "sondern um sie im Gegenteil wieder einzuschränken".

Zitat
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Zitat von Artikel 8 des Grundgesetzes
Zitat Ende

3. Warum sich Innenminister Beuth eher als Demo-Ermöglicher sieht

Es gehe doch gerade darum, dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit "zur größtmöglichen Wirksamkeit zu verhelfen", hält CDU-Innenminister Beuth dagegen. Er strebt demnach Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten an: Veranstalter und Teilnehmer hier, Ordnungsämter und Polizisten da.

Die Einschränkungen, die er ebenfalls eindeutig regeln will, nennt Beuth "Schutzmechanismen gegen den gezielten Missbrauch des Versammlungsrechts". Gerade zu dessen Wahrung sei es nun einmal erforderlich "Radikalen und Gewalttätern Grenzen aufzuzeigen". Das zielt gegen Rechts- und Linksextremisten. Laut Innenministerium sollen aber vor allem rechten Veranstaltern provokative und einschüchternde Aufzüge erschwert werden. Etwa durch das Verbot, paramilitärisch in Blöcken und uniformiert aufzumarschieren.

Dass gerade an sensiblen historischen Orten oder zu geschichtsträchtigen Terminen keine Nazi-Verherrlichung geduldet werden soll, wird im Gesetzentwurf ausführlich erwähnt.

4. Wie die Grünen unter Begründungsdruck argumentieren

Es ist bei weitem nicht nur Gegenwind, den Beuth erlebt. Unterstützung erfährt er reichlich: vom Hessischen Städte- und Gemeindetag bis zu den beiden Polizeigewerkschaften.

Und vom kleineren Koalitionspartner. Wie oft bei sicherheitspolitischen Streitfragen stehen die Grünen auch diesmal unter besonderem Begründungsdruck von links - und im Oktober ist Hessen-Wahl. Die Neureglung des Versammlungsrechtes ist aber abgemachte Sache aus dem geltenden Koaltionsvertrag.

Einem Faktencheck hält die Kritik an dem Vorhaben laut dem Grünen-Abgeordneten Lukas Schauder kein bisschen Stand. "Völlig aus der Luft gegriffen und überhaupt nicht nachvollziehbar" seien Behauptungen wie die, nicht einmal mehr Tanzen sei auf Kundgebungen erlaubt. Ob Personenkontrollen, Videoaufnahmen, verdeckt ermittelnde Beamte: Alles bleibe in den bestehenden rechtsstaatlichen Grenzen, legale polizeiliche Eingriffe seien bald klarer definiert und so leichter zu kontrollieren.

5. Wie die Koalition auf Kritik reagiert

An einen Stopp des Verfahrens, wie das Bündnis gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz fordert, denkt Schwarz-Grün nicht im Geringsten. Zumal man sich an einem Experten-Musterentwurf und der Fassung des Landes Schleswig-Holstein orientiert habe. Ein wenig hat sich seit Beginn der Debatte aber getan. Wer sich weigert, bei einer Demo eine Vermummung abzunehmen, soll nun zum Beispiel doch nicht gleich als Straftäter behandelt werden. Ihm droht nun ein Ordnungswidrigkeitsverfahren.

6. Wem das Gesetz nicht weit genug geht

Als im November erstmals über das neue Versammlungsrecht debattiert wurde, befand die oppositionelle FDP nicht nur, dass die Sache überfällig sei. Ihr fehlte vor allem, dass Aktionen auf Autobahnen wie Blockaden oder das Abseilen von Umweltschützern nicht ausdrücklich unterbunden würden. Solche Versammlungen stellten schließlich eine Gefahr für Leib und Leben dar.

7. Warum das Gesetz überhaupt erlassen werden soll

Das noch gültige Versammlungsgesetz des Bundes stammt ursprünglich aus dem Jahr 1953, Geldbußen werden noch in "Deutsche Mark" angegeben. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat inzwischen vieles präzisiert und geändert – gerade zugunsten von Demonstranten. Inzwischen haben sieben Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Dinge selbst aktuell zu regeln.

8. Warum es vielleicht doch nicht gebraucht würde…

Der Frankfurter Jura-Professor Uwe Volkmann bezweifelte allerdings in der Expertenanhörung schlichtweg die juristische Notwendigkeit für ein hessisches Gesetz. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben ließen dem Land ohnehin nicht viel Spielraum. Bestehende hessische Sicherheitsgesetze regelten den Rest. Fazit des Fachmanns für Grundrechte und Verfassungstheorie: Hier gehe es der Landesregierung wohl eher um Symbolik und einen "Prestigeeffekt".

9. … und auf welches Tier ein Jurist im Paragrafen-Dschungel stieß

Steht das geplante Versammlungsrecht unabhängig vom Inhalt der Vorgaben vielleicht an sich schon im Widerspruch zur hessischen Landesverfassung? Die Diagnose einer "weitreichenden Unvereinbarkeit" hat der Staatsrechtler Mathias Hong von der Hochschule Kehl gestellt - und damit auf einen möglichen Riesenelefanten hingewiesen, den andere Experten und auch Politiker im Paragrafen-Dschungel übersehen haben könnten.

Zitat
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.
(2) Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht werden
Zitat von Artikel 14 der hessischen Verfassung
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Dabei begrüßt Hong den Gesetzentwurf inhaltlich, lobt sogar eine "freiheitsstärkende" Weiterentwicklung gegenüber dem Experten-Musterentwurf. Aber: Die hessische Verfassung habe nun einmal einen sehr weiten Begriff von Versammlungsfreiheit. Abgesehen von einer denkbaren Einführung einer Anmeldepflicht seien Kundgebungen "vorbehaltlos" zu ermöglichen. Jede weitere Vorschrift wäre so gesehen als Vorbehalt unstatthaft – und erst nach einer Verfassungsänderung möglich.

Das wiederum würde bedeuten: Die Wähler direkt müssten gefragt werden. Denn in Hessen müssen sich alle vom Landtag verabschiedeten Verfassungsänderungen in einer Volksabstimmung bewähren.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 21.3.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de