"Landesregierung darf kein Haifischbecken sein" Grüne und FDP setzen Rhein Frist in Entlassungsaffäre

In der Affäre um den Rauswurf der Staatssekretärin Messari-Becker knöpfen sich Grüne und FDP jetzt Hessens Regierungschef Rhein vor. In einem Offenen Brief verlangen sie Antwort auf viele Fragen - und das schnell.

Nahaufnahme eines Briefes mit der Anrede "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Rhein" und dem Betreff "Entlassung von Frau Staatssekretärin Messari-Becker".
"Transparenz herstellen": Das fordern Grüne und FDP in einem Offene Brief von CDU-Regierungschef Boris Rhein im Fall von ex-Staatssekretärin Messari-Becker. Bild © hr
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Es kommt nicht häufig vor, dass ihre beiden Parteien im hessischen Landtag so eng zusammenarbeiten. Aber um zu demonstrieren, wie ernst es ihnen ist, traten Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner und sein FDP-Amtskollege Stefan Naas am Donnerstag in Wiesbaden gemeinsam vor die Presse.

"Ungewöhnliche Vorgänge in der Landesregierung erfordern ungewöhnliche Maßnahmen", begründete Wagner den Schritt. In der Affäre um die Entlassung der parteilosen Bau-Professorin Lamia Messari-Becker als Wirtschaftsstaatssekretärin wünschen Grüne und FDP von Regierungschef Boris Rhein (CDU) jetzt ultimativ Rechenschaft.

Einen Katalog mit zehn Fragen haben sie dem Unionspolitiker per Offenem Brief vorgelegt. Die möge der Ministerpräsident bitte bis Montag beantworten. Andernfalls behalten sich die beiden Oppositionsfraktionen "alle Instrumentarien vor, die der Landtag bereithält". Im Raum steht die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses oder eine Klage vor dem hessischen Staatsgerichthof.

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"Rufschädigend, unprofessionell, unwürdig"

"Das ist die letzte Chance in unseren Augen", sagte Naas. Es gehe hier um "nichts Triviales", betonte Wagner. Weil SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori seine Spitzenbeamtin Messari-Becker so "rufschädigend, unprofessionell und unwürdig" entlassen habe, drohe dem Bundesland Schaden.

Denn der zu Tage getretene Umgang mit der Ex-Staatssekretärin wird nach Meinung von Grünen und FDP qualifiziertes Personal für Spitzenpositionen abschrecken. In dem Brief an Rhein warnen die Kritiker, die Landesregierung dürfe "nicht als Haifischbecken gelten, in dem qualifizierte Menschen fürchten müssen, verbrannt oder Opfer von Machtspielen in einem Ministerium zu werden".

Trotz mehrfacher Nachfragen im Parlament habe die Landesregierung nicht erklärt, worin das angebliche "nicht hinnehmbare Fehlverhalten" bestanden habe, das Mansoori der Polit-Quereinsteigerin öffentlich vorwarf. In zwei Ausschussitzungen hatte die Opposition deshalb sowohl Mansoori als auch Kultusminister Armin Schwarz (CDU) vorgehalten, zu mauern und Parlamentsrechte zu ignorieren.

Wer kam wie an was?

Grüne und Liberale wollen auch wissen, auf welchem Weg das Wirtschaftsministerium zu Angaben eines Schulleiters über ein Elterngespräch gelangte, an dem Messari-Becker privat als Mutter wegen des Abiturs einer Tochter teilnahm.

Hintergrund: Als Mansoori im Juli erklärte, die parteilose Bauphysik-Professorin Messari-Becker zu entlassen, wurde durchgestochen, der Vize-Ministerpräsident habe der 51-Jährigen vorgehalten, in dem Elterngespräch an einer Schule mit der Position als Staatssekretärin Druck ausgeübt zu haben. Öffentlich äußerte sich Mansoori bisher nicht dazu. 

Messari-Becker, vor Jahren in die weltbekannte Experten-Organisation Club of Rome berufen, weist den Vorwurf kategorisch von sich. Sie hat den Minister zu einer Rücknahme des erhobenen Vorwurfs aufgefordert.

Kultusminister Schwarz hat vergangene Woche im Landtag erklärt, der Schulleiterbericht sei zu den Akten gelegt worden, weil er nichts schulrechtlich Relevantes ergeben habe. Deshalb soll Rhein der Opposition nun auch erklären, warum Messari-Becker trotzdem entlassen wurde. Außerdem rechtfertigen nach Ansicht von Grünen und FDP der zeitliche Ablauf der Vorgänge in den Ministerien und die Beteiligung der Staatskanzlei Zweifel, ob alles korrekt gelaufen sei.

Beamtenrechtler erinnert an Fürsorgepflicht

Gegenüber hessenschau.de hat sich der Jura-Professor Thorsten Masuch am Mittwoch im Interview darauf festgelegt, dass Mansoori den Vorwurf eines Fehlverhaltens nicht öffentlich hätte äußern dürfen. Für die Entlassung politischer Beamter sei keine Begründung nötig. Der Fall zeige vielmehr, dass eine Begründung der Betroffenen abträglich sein könne.

Die Fürsorgepflicht verbiete es dem Dienstherrn daher geradezu, eine Beamtin durch Kritik an ihrem Verhalten gegenüber Dritten ohne rechtfertigenden Grund bloßzustellen, sagte Masuch, der Mitverfasser eines Kommentars zum hessischen Beamtenrecht ist. "Eine solche Rechtfertigung sehe ich hier selbst dann nicht, wenn es ein Fehlverhalten gegeben hätte", fügte er an.

Im Fall von Messari-Becker komme hinzu, dass der Vorwurf ungeklärt sei, Aussage gegen Aussage stehe und das Kultusministerium auch keinen disziplinarrechtlichen Verstoß festgestellt habe. Der Beamtenrechts-Experte glaubt, Messari-Becker könne gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgehen.

Rhein will antworten

Am Rande eines Termins in Frankfurt auf den Brief von Grünen und FDP angesprochen, sagte Rhein am Donnerstag dem hr: Er werde die Fragen beantworten. Eine solche Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sei der "normalste Vorgang", es gebe keine Affäre.

Bei dieser Sichtweise bleibt auch die SPD. Deren Parlamentarische Geschäftsführerin Lisa Gnadl befand: Man nehme zur Kenntnis, "dass Grüne und Freie Demokraten sich entschieden haben, lieber eine einzelne Personalie zu skandalisieren, als politische Sacharbeit zu leisten".

Die Staatskanzlei bestätigte unterdessen der Deutschen Presse-Agentur, dass bei ihr der Widerspruch der Ex-Staatssekretärin gegen ihre Versetzung in den einstweiligen Ruhestand eingegangen sei. Die Landesregierung strebe eine "zeitnahe" Entscheidung darüber an.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe