Innenminister Beuth vor dem Hanau-Ausschuss "Die Polizei hat ihre Arbeit gut gemacht"
Einsatz, Notruf, Umgang mit Opferfamilien: Vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss des Landtags hat Innenminister Beuth Fehler eingeräumt - aber keine entscheidenden. Die Polizei habe keine Chance gehabt, das rassistische Attentat zu verhindern.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags seine Meinung bekräftigt, dass der rassistische Anschlag von Hanau nicht hätte verhindert werden können. Die "bittere Wahrheit" sei, dass es absolute Sicherheit nicht gebe, sagte er am Freitag.
Beuth äußerte sich am Mittag in einem längeren Statement, bevor die Abgeordneten ihre Fragen an ihn richten konnten. Knapp vier Stunden dauerte alles. Dabei trat der 55-Jährige wie schon häufiger Kritik am Einsatz entgegen. Die Polizei habe entgegen erhobener Kritik keineswegs versagt. "Sie hat ihre Arbeit gut gemacht", sagte der Minister.
Ausreichende Vorwarnungen habe es nicht gegeben, die Morde seien auch in der Tatnacht nicht zu verhindern gewesen. "Dafür ging der Täter zu schnell, zu planmäßig und zu skrupellos vor", sagte Beuth.
Beuth: Schlimmstes Ereignis
Es sei aber auch deutlich geworden, "dass es nötig ist, sich weiter zu verbessern", räumte er ein. Lehren haben man bereits gezogen. Der Innenminister nannte die Betreuung von Opfern, Angehörigen und Einsatzkräften, die Modernisierung des in der Tatnacht überlasteten 110-Notrufs der Hanauer Polizei sowie die Überarbeitung von Einsatzkonzepten. "Wir werden weitere Lehren aus der Tat ziehen", kündigte er an.
Neun Menschen mit Migrationshintergrund hatte ein psychisch kranker Rechtsextremist am 19. Februar 2020 erschossen, dann seine Mutter und sich selbst. Beuth sprach vom "schlimmsten Ereignis in der Geschichte unseres Landes". Dies habe "tieftrauernde, traumatisierte Angehörige" hinterlassen.
Minister spricht zu Angehörigen
Beuth war der letzte Zeuge im Untersuchungsausschuss. Der Landtag soll nach einem Beschluss der schwarz-grünen Regierungskoalition erst nach der Landtagswahl am 8. Oktober über einen Abschlussbericht debattieren und entscheiden.
Seit dem Sommer 2021 beschäftigen sich Abgeordnete in dem Untersuchungsausschuss mit dem Anschlag. Dabei soll geklärt werden, ob es vor, während und nach der Tat zu Behördenversagen gekommen ist.
Der CDU-Politiker wandte sich zunächst direkt an Überlebende und Familien der Opfer, die seinen Auftritt auf der Zuschauertribüne verfolgten. Er sprach ihnen seine "aufrichtige Anteilnahme" aus. Er hoffe, er könne mit seiner Aussage einen Teil ihrer Fragen beantworten.
Betroffene zeigten sich nach Beuths Vernehmung in der Sache enttäuscht und wiesen dessen Bekundung von Anteilnahme zurück. "Er hatte mehr als drei Jahre Zeit, auf uns zu zukommen und uns persönlich sein Beileid auszusprechen", sagte Said Etris Hashemi. Er wurde beim Anschlag verletzt, sein Bruder starb.
Opferfamilien und die Hanauer Initiative 19. Februar hatten bereits am Vortag heftige Kritik am MInister geübt, ihm und Polizeiverantwortlichen mangelnden Willen zu Aufklärung und sogar Vertuschung vorgeworfen. Sie zogen am Freitagabend demonstrierend vors Innenministerium.
"Keinerlei eindeutige Warnzeichen"
Beuth äußerte im Zeugenstand gegenüber den Opferfamilien Verständnis dafür, "dass Sie sich weiter nach dem Warum fragen" und dass ihnen Verbesserungen im Sicherheitsapparat nach der Tat kein Trost seien.
Im Vorfeld habe es aber "keinerlei eindeutige Warnzeichen" für die Gefährlichkeit des späteren Täters gegeben. Dem Verfassungsschutz sei er nicht bekannt gewesen, seine Internetseite mit der Drohung erst kurz vor der Tat online gegangen.
Auch beim Einsatz am 19. Februar sei es zu keinen eindeutigen Fehlern gekommen. Der Mörder habe die Tat innerhalb von fünf Minuten begangen, an beiden Tatorten sei die Polizei schon knapp drei Minuten nach der Alarmierung gewesen. Die Einsatzkräfte hätten ihres Bestes gegeben.
"Tragische Umstände" beim Notruf?
Beuth sprach den Fall von Vili Viorel Păun an, der den Täter im Auto verfolgte und erschossen wurde. Der 22-Jährige war mit mehreren Handyrufen beim 110-Notruf nicht durchgekommen, weil die Anlage veraltet und überlastet war. Anrufe, die niemand annahm, wurden nicht an andere Dienststellen weitergeleitet, wie es überall sonst in Hessen damals schon Standard war.
Das mache ihn sehr betroffen, sagte der Innenminister, sprach aber gleichzeitig von einem "tragischen Umstand". Die Modernisierung der Anlage sei damals verschoben und mit dem geplanten Neubau des Polizeipräsidiums verbunden worden. Dieses ihm seinerzeit unbekannte Problem sei inzwischen technisch behoben.
Es sei bei den späteren Ermittlungen auch "kein dienst- oder pflichtwidriges Verhalten" festgestellt worden. Beuth berief sich auf die Hanauer Staatsanwaltschaft: Zwischen dem ersten Handyanruf Păuns und dem Ende des Anschlags hätten lediglich drei Minuten gelegen. Selbst wenn der Alarm-Anruf durchgekommen wäre, wäre der Anschlag an beiden Tatorten erfolgt, referierte Beuth.
Keiner dachte an Notruf-Zwischenlösung
Der Innenminister verneinte die Frage des Grünen-Abgeordneten Frank Kaufmann, ob niemandem der Gedanke gekommen sei, für den Notruf vor dem Umzug ins neue Präsidium eine Zwischenlösung zu schaffen.
Der SPD-Abgeordnete Turgut Yüksel fragte kritisch, warum Beuth, der damalige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) oder der Polizeipräsident von Südosthessen seinerzeit nicht die Familien kontaktiert hätten, um ihre Anteilnahme auszudrücken und sich auszutauschen. "Wir haben uns anders entschieden", sagte der Innenminister.
Beuth ist seit 2014 Innenminister der schwarz-grünen Landesregierung. Der 55-Jährige hat für das Ende der Legislaturperiode im Januar des kommenden Jahres seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt.
Reaktionen auf Minister-Auftritt
Als enttäuschend bewertete die oppositionelle SPD den Auftritt Beuths. Der Minister habe die Chance verpasst, doch noch gravierende Fehler zu benennen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, sagte die Abgeordnete Heike Hofmann. Wenigstes habe der Ausschuss die Anliegen der Opferfamilien in den Fokus rücken können, meinte ihr Parteikollege Turgut Yüksel.
Die Linken-Abgeordnete Saadet Sönmez vermisste eine Entschuldigung Beuths: Rein strafrechtlich betrachtet stimme dessen Darstellung anscheinend, dass die Behörden keine Schuld am Tod der neun Opfer treffe. Beuth rede das "vielfache Versagen der Behörden" aber klein und lenke von der gesellschaftlich-politischen Dimension der Tat ab.
Dagegen hielt der AfD-Abgeordnete Dirk Gaw fest, Beuth habe auf Frage seiner Fraktion eingeräumt, dass er die politische Verantwortung für den veralteten Notruf trage. Wesentliche neue Erkenntnisse hätten die Befragungen im Untersuchungsausschuss aber nicht gebracht.
Jörg-Uwe Hahn (FDP) beklagte, dass der Attentäter trotz psychischer Erkrankung legal Waffen besitzen durfte. Die Untersuchung habe gezeigt, dass die Arbeit der Waffenbehörden überprüft werden müssten. Für den späteren Täter war die Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises zuständig.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 07.07.2023, 19.30 Uhr
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