Landtag beschließt Ausstieg Hessen will kein FSC-Ökosiegel mehr für Staatswald

Seit Jahren wird Hessens Staatswald nach den Öko-Standards des FSC-Gütesiegels bewirtschaftet. Nun steigt das Land aus. Die schwarz-rote Koalition will "mehr Beinfreiheit für Förster", die Grünen befürchten das Ende des Naturschutzes im Wald.

Ein markierter Baum in einem Wald nahe Frankfurt
Ein markierter Baum in einem Wald nahe Frankfurt. Bild © Imago Images
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Ein Musterland sollte Hessen werden, auch in Sachen Nachhaltigkeit. Deshalb machte sich das Land vor Jahren auf den Weg, den Staatswald so zu bewirtschaften, dass er und sein Holz eine Art Öko-TÜV-Plakette erhalten.

Auf Verhandlungen mit den Anbietern des Gütesiegels FSC fiel die Wahl. Denn es sei "international anerkannt" und lege einen "besonders hohen Standard für eine verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung" fest. Es war Roland Koch, Ministerpräsident einer CDU-Alleinregierung, der das vor 16 Jahren ankündigte.

Was später eine schwarz-grüne Koalition vollendete, ist nun vorbei. Der Umweltausschuss des Landtags hat am Dienstag in Wiesbaden mit den Stimmen der seit Januar regierenden CDU/SPD-Koalition sowie von AfD und FDP den Beschluss gefasst, aus der FSC-Zertifizierung des Staatswaldes auszusteigen.

Grüne: Naturschutz im Wald wird abgeschafft

Vorerst auszusteigen, wie das Regierungslager betont. Und das betreffe auch nicht den Naturschutz. Der gehe unvermindert und sogar effektiver weiter, versprach Umweltminister Ingmar Jung (CDU). Das mit dem vorläufigen FSC-Ausstieg sei auch wirklich ernst gemeint: 2028 soll geprüft werden, was die Zeit ohne das Gütesiegel ergeben hat.

Die Grünen besänftigte das Reden von einem Moratorium nicht, weil es beim FSC-Siegel nur ein Entweder-Oder gebe. "Sie schaffen den Naturschutz im Wald ab und versuchen das schön einzupacken", warf die Grünen-Abgeordnete Martina Feldmayer Schwarz-Rot in der Debatte vor. Sie sprach von einem "schwarzen Tag für den hessischen Wald".

Naturschutzverbände aufgebracht

Genauso empört und "mit großem Unverständnis" haben die hessischen Naturschutzverbände BUND, NABU, die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) sowie die IG BAU reagiert. In einer gemeinsamen Erklärung konstatierten sie einen "Rückschritt in die Vergangenheit ohne Not".

Wenn die CDU-Fraktion wie ihr forstpolitischer Sprecher Sebastian Müller von "mehr Beinfreiheit für die Förster" spricht, befürchten die Kritiker: Die hohen FSC-Standards würden zugunsten des Geldverdienens durch den Holzverkauf und zum Schaden des gesamten Ökosystems Wald mit seinen Bäumen, Insekten oder Pilzen aufgeweicht. Die Naturschutzleitlinien des Landes, die weiter Geltung besäßen, ließen das aber eigentlich gar nicht zu.

Bislang strenge Auflagen

Gut 342.000 Hektar ist der Hessen-Wald groß. Das international verbreitete, auf die jeweiligen Länder abgestimmte FSC-Zertifikat erhielt der Staatswald seit 2015, als die Grünen das Umweltministerium führten.

Die Experten des für die Abkürzung FSC stehenden Forest Stewardship Council checkten seitdem jährlich in einem langen Verfahren, ob die für Deutschland geltenden Auflagen im Umgang mit Natur und Mitarbeitern im Staatswald auch eingehalten werden.

Die Standards werden von Interessenvertretern aus den Feldern Wirtschaft, Soziales und Umwelt gemeinsam erarbeitet. Pflanzengifte sind tabu, Kahlschläge ebenso limitiert wie der Spielraum für schwere Erntemaschinen, die den Waldboden für Jahrzehnte plattwalzen. In einem Zehntel des Hessenforstes darf die Natur erst gar nicht gestört werden. Und der Anteil nicht-heimischer Bäume soll 20 Prozent nicht überschreiten.

Streit um neue Arten

Nicht zuletzt diese Höchstmarke für fremde Arten ist umstritten. Die Befürworter halten an ihr fest, weil ein höherer Anteil von Baumarten aus anderen Kontinenten einem "Russisch Roulette" gleiche, wie NABU-Geschäftsführer Mark Harthun sagt. Der Nutzen für mehr Stabilität des Waldes im Klimawandel sei dabei völlig ungewiss.

Das Risiko der fremden Arten für das bestehende Waldsystem ist laut Harthun dagegen groß. Klar sei vor allem: Der heimische Wald habe sich seit Urzeiten immer wieder erfolgreich an Klimaveränderungen angepasst. Am stabilsten werde auch diesmal ein naturnaher Wald mit europäischen Baumarten sein.

Minister: Nicht mehr zeitgemäß

Umweltminister Jung sieht das anders. Die FSC-Vorgaben seien "aus Sicht vieler Praktiker nicht mehr zeitgemäß", lautet sein Befund. In alte Fehler will er trotzdem nicht verfallen. Er bestreitet, dass bald die derzeit bei vielen Förstern und Waldbesitzern beliebte nordamerikanische Douglasie ein ähnlich geldbringendes wie ökologisch verheerendes Monopol haben wird wie einst die Fichte.

Ziel bleibe ein stabiler Mischwald. Außerdem machen Jung und seine Unterstützer geltend: Ein Gütesiegel für Nachhaltigkeit habe der Staatsforst mit dem PEFC-Standard (Program for the Endorsement of Forest Certification Schemes) ja künftig immer noch. Das Label, so wenden Kritiker ein, lasse wirtschaftlichen Interessen allerdings größere Freiheiten. Gegründet wurde es vor allem auf Initiative von Waldbesitzern und Holzindustrie.

Auch gegen einen grundsätzlichen Vorwurf muss sich der CDU-Minister in dem Streit wehren: Nach zehn Jahren Schwarz-Grün in Hessen habe er nun etwas wie eine Naturschutz-Zeitenwende eingeläutet. Die Union hatte vor allem in Abgrenzung zu den Grünen als vormaligem Koalitionspartner die Landtagswahl deutlich gewonnen. Tenor: Bürger im Allgemeinen und Bauern, Waldbesitzer oder Jäger im Besonderen würden durch grüne Ideologie gegängelt.

Den Richtungswechsel machte auch ein neuer Name des Ministeriums deutlich. Die CDU strich die Bezeichnung Klimaschutz. An die erste Stelle und vor den Umweltschutz rückte sie die Landwirtschaft. Weinbau, Forst, Jagd und Heimat kamen hinzu.

Entbürokratisierung oder Entökologisierung?

Dem Amtsinhaber werfen die Grünen vor, in einem eiligen Roll-back schon andere Schutzmaßnahmen der lange von ihnen bestimmten und von der CDU mitgetragenen Waldpolitik kassiert zu haben. Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung habe es die geplante Ausweisung von Schutzgebieten getroffen und das Verbot des Holzfällens in alten Eichenbeständen.

Minister und Koalition vertreten dagegen die These: Ohne FSC-Siegel könne das "Rohstoffpotenzial" des Waldes besser genutzt und der Klimaschutz sogar verbessert werden. So wüssten die gut ausgebildeten Förster im Staatsforst am besten, wie sie je nach Ortslage standortgerecht aufforsten.

SPD sieht keinen Widerspruch

Dass sie diese Politik mitträgt, ist für die SPD kein Widerspruch zu ihrem Landtags-Wahlprogramm des vergangenen Jahres. Seinerzeit, als sie die CDU noch durch eine Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP ablösen wollten, schrieben die Sozialdemokraten: "FSC betrachten wir als Mindeststandard." Mit enormen Verlusten landete die SPD noch hinter der AfD, schaffte es aber als Juniorpartnerin der Union nach 25 Jahren wieder in eine Landesregierung.

"Wir haben bereits ohne FSC einen sehr, sehr hohen Standard", sagt nun Alexander Hofmann, ihr forstpolitischer Sprecher. Gespräche mit dem Land über eine notwendige Änderung der Vorgaben habe FSC aber abgelehnt. Und außerdem handelt es sich bei dem Ausstieg des Landes laut SPD eben um ein Moratorium mit offenem Ende nach einer Auswertung.

FDP jubelt

Der These von der Vorläufigkeit des Beschlusses widersprachen am Dienstag nicht nur die Grünen, sondern auch FDP-Fraktionschefin Wiebke Knell. Allerdings freute sie sich dabei.

Ihre Fraktion hatte vergangene Woche im Landtag mit einer eigenen Initiative den nun beschlossenen Antrag von CDU und SPD erst hervorgerufen. Ihm stimmte die FDP-Frau nun auch grundsätzlich zu. Trotz der Beteuerung von CDU und SPD stehe das von der FDP seit Jahren geforderte FSC-Ende für den Hessenforst nun fest, findet Knell: "Natürlich ist dieses Moratorium der Ausstieg."

Kosten und Nutzen

Evaluation, Moratorium - die FDP hätte das nicht gebraucht. Schließlich habe Hessen seit hunderten von Jahren Erfahrung mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Und der Preis für das FSC-Siegel sei in jeder Hinsicht zu hoch, die Einschränkungen für die Holzwirtschaft seien es erst recht. 1,2 Millionen Euro kostet es laut FDP an Gebühren. Auf zehn Millionen Euro bezifferte sie die Einnahmeausfälle.

Eine Kosten-Nutzen-Rechnung, der Elmar Seizinger von FSC Deutschland am Rande der Ausschusssitzung widersprach. Angesichts des verkaufsfördernden Wirkens, des Nutzens für die Umwelt und der intensiven Prüfung seien die Kosten für das Gütesiegel "vergleichsweise gering", sagte er dem hr. Viele Bundesländer und auch Staaten setzten auf das Siegel. "Für sie scheinen die Kosten kein zu großes Problem zu sein."

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 22.05.2024, 7.20 Uhr

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Quelle: hessenschau.de